Original geschrieben von: Picknicker

Wieso ist Tunesien so ein Billig-Urlaubsland?
Alle die Ihren Billigurlaub in Tunesien verbringen, tun das u.A. auf Kosten der Tunesien Gehälter.


So einfach ist das ganz und gar nicht - der Tourismus trägt nämlich nur mit weniger als 10% zum tunesischen Bruttosozialprodukt bei. Außerdem waren es in der Vergangenheit ursprünglich nicht hauptsächlich die Arbeitgeber, die für das niedrige Lohngefüge verantwortlich waren, sondern die Regierung hat es nicht erlaubt, daß wesentlich höhere als die Mindestlöhne gezahlt wurden. Daß dies dann in einem Lohndumping und Wettlauf um möglichst niedrige Löhne endete, liegt in der Natur der Sache (auch in Deutschland ist dieser Mechanismus nicht unbekannt - hier werden zu hohe Lohnabschlüsse und -zahlungen negativ wahrgenommen und kommentiert, auch wenn der Staat selbst keine Grenzen zieht).
In der Folge wurden z.B. im Hotelwesen etwa seit den 90er Jahren Besitzer angezogen, die aus anderen Branchen kamen und das dort erwirtschaftete Geld nicht außerhalb Tunesiens anlegen konnten. Das floß in großem Umfange in neue Hotels. Da der Besitzer jedoch nicht "vom Fach" ist und zudem hohe Renditen für seine Investition sehen will, ging das Hotelwesen sowohl im Hinblick auf die Qualität des Personals, als auch auf die renditeschädigenden Erhaltungsinvestitionen den Bach hinunter.
Von der anderen Seite übten die Reiseunternehmen Druck aus und forderten regelmäßig steigende Rabatte für die Bestückung der Hotels mit Touristen, was sich dann zusätzlich in sinkenden Löhnen und Real-Substanzen niederschlug.

"Die Touristen" haben ursächlich mit dem niedrigen Lohnniveau nichts, oder zumindest kaum etwas, zu tun, weder direkt noch indirekt - und es wäre auch zu einfach, einseitig den Hotelbesitzern, den Reiseunternehmen oder der Regierung die Schuld zu geben. Tatsächlich haben alle diese Akteure ihren Teil beigetragen, mnachmal nacheinander, manchmal gleichzeitig.

Und es ist, trotz der hohen Arbeitslosenzahlen, auch nicht richtig, daß niemand Arbeit finden könnte - richtig ist dagegen, daß die Arbeitslosigkeit bei Universitätsabgängern prozentual wesentlich höher ist, als bei Hilfsarbeitern und richtig ist auch, daß Hilfsarbeiten mit ein wenig Suche und Einsatz zu finden sind (und zwar im, doch hauptsächlich außerhalb des Tourismus, in Fabriken und auf dem Bau und auch in der Landwirtschaft).
NICHT einfach zu finden sind allerdings Arbeitsplätze, die zu einem hohen Ausbildungsniveau passen, weil das tunesische Bildungssystem schon seit Jahren weit über den "Bedarf" hinaus ausgebildet hat. Die Folge davon ist, daß Universitätsabgänger, die keine extremen Qualifikation besitzen, und das sind wegen der medianen Ausbildung die meisten, sich bemühen, ebenfalls im Service- und Hilfsarbeiter-Bereich eine Anstellung zu finden und somit weit unter ihrem "Niveau" arbeiten - was in Frustrierung, Desinteresse und Hochmut gegenüber dem Arbeitssektor resultiert.

Es ist zwar einfach und plakativ, Touristen für alles Übel Tunesiens verantwortlich zu machen, doch man verwechelt hier allzu leicht dann auch Ursache und Wirkung. smile