Original geschrieben von: Lyle Nhary
die demokratisierung+neuwahlen sabotieren.nchallah khir


Wobei man fairerweise sagen muß, daß "Demokratie" Umfrageergebnissen zufolge in Tunesien bei den Bürgern erst weiter hinten kommt, z.B. nach "Stabilität" und "Arbeitsplätze schaffen".

Das ist ja auch nicht verwunderlich, auch in Deutschland und anderen Ländern ist es den Menschen wichtig, in Sicherheit und ohne Geldsorgen zu leben - wie genau der Staat das zuwegebringt, ist für viele Menschen doch zweitrangig.
Es gibt Beispiele dafür, daß in einigen Demokratien die Leute schlecht leben und in einigen Diktaturen gut, die Staatsform ist also keine zwingende Voraussetzung für Wohlbefinden und Prosperität; nur die Ausnutzung - welcher Staatsform auch immer - für persönliche und Gruppen-Profite sorgt für Unmut (und das nicht nur in Tunesien, sondern ebenso in Deutschland und anderen Staaten).

Auch ich selbst bin, wie ich schon beim Ausbruch der Aufstände schrieb, der Meinung, daß ein stark gelenkter Übergang zu einer anderen Staatsform in Tunesien wünschenswert gewesen wäre - da hätte man dann zwar nicht die Anarchie gehabt, die für einige jetzt so praktisch ist, doch dafür, den richtigen Willen vorausgesetzt, Arbeitsplätze erhalten, Lohnsteigerung für alle dekretiert, den gesamten Sicherheitsapparat ausgetauscht und Sachschäden, Tote und Verletzte vermieden.

So schlingert Tunesien hin und her und die Bürger mit ihm und die einen Personen in der Übergangsregierung werden von anderen abgelöst, hier wird der eine, dort der andere Beamte ersetzt und durchs System rotiert, und im Juli wird dann die eine Übergangsregierung komplett von der anderen abgelöst, die dann wiederum etwa 1,5 Jahre im Amt bleiben soll, bis schließlich, 2 Jahre nach dem Umsturz, der Umschwung zur Demokratie vollzogen sein soll - das hätte man, wie zuvor angemerkt, in derselben Zeit auch anders haben können.

Und da dies wohl allen Beteiligten mit Durchblick klar ist, heißt die derzeitige Situation nichts anderes, als daß es nicht gewollt war.
Aufräumen sollte man auch gleich mit dem Vorurteil, daß dies alles zwingend notwendige Opfer auf dem Weg zur Demokratie sind. Das sind sie nämlich nicht und so gut wie keines, wenn überhaupt auch nur eines, der Opfer ist gestorben, weil sein Tod der Demokratie förderlich war. Gestorben wurde und wird, weil einige Elemente, Gruppen wie Personen, einen Vorteil erlangen wollen, und zwar ganz undemokratisch mit Gewalt. Und auch, weil die Akteure des Staates nur äußerst zögerlich die Justiz und den Sicherheitsapparat neu aufstellen - zweifellos gibt es auch dafür einen guten Grund, der aber wohl kaum mit Demokratie zu tun hat.

Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, Demokratie ist nicht, seine Meinung und seinen Vorteil ohne Beachtung anderer Interessenlagen und sogar gegen den Willen des Volkes durchsetzen zu wollen.
Das Wort "Demokratie" auszusprechen, ist ungefähr ebenso wirkungsvoll, wie einen Aufkleber "Bio" auf beliebige Nahrungsmittel zu kleben - beides dient vorwiegend nicht der Kennzeichnung, sondern der Manipulation. Demokratie, und ich rede von ernsthafter Demokratie, bedingt die Akzeptanz des Begriffes in den Köpfen aller Beteiligten, denn die Demokratie ist eine Gesellschaftsform, bei der, wie beim Pokerspiel, sich nur dann ein von allen Beteiligten anerkannter Erfolg einstellt, wenn alle nach denselben Spielregeln und somit keine "falsch" spielen.