'Hallo Zusammen,

ich sehe es ähnlich wie Simla.
Dieses Statement betrifft nur meine eigenen Erfahrungswerte und klammert die Politik weitgehend aus.

Auch in meinem Umfeld arbeiten die Menschen - fast alle.
Nun, zumindest alle, die arbeiten wollen, tun dieses auch.

Was den Tourismus betrifft, da gibt es ja die verschiedensten Varianten. Die regulären Jobs in den Hotels und Agenturen und auch diejenigen, die am Strand ihr Geld verdienen.
Es gibt, besonders im Winter, jede Menge Baustellen etc.
Dann gibt es die ganz normalen Jobs von der Müllabfuhr über Geschäfte bis hin zu allen möglichen Bürojobs.

Es gibt auf Djerba Menschen aus ganz TN, die hier ihr Geld verdienen in allen Bereichen.

Ich kenne Bauern und Bauarbeiter, die so wenig verdienen, dass ich kaum meine Miete davon zahlen könnte, die aber davon ihre ganze Familie durchbringen und im Groben zufrieden sind.
Ich kenne Besserverdienende in den Hotels, die trotzdem den Ansprüchen ihrer Familie und ihren eigenen nicht mehr gerecht werden können.
Ich kenne auch Strandverkäufer, die mit einem Peugeot 407 zur Arbeit fahren, und wenn sie 20 Meter weiter sind, ihren Job so gut machen, dass ich ihnen gleich 10 TND in die Hand drücken könnte. Ich kenne aber auch welche, die nur auf der Suche nach europäischen Kontakten sind.
Ich kenne Ausflugsverkäufer (besonders Reiten und Quad) in den Hotels, die im Sommer Summen verdienen können, dass ich nur staunen kann und vor Neid erblasse. Die verdienen, wenn sie gut sind, mehr als ihre Chefs.
Ich kenne - im Winter - gelangweilte Strandreiter ohne Geld in der Tasche. Wenn man denen vorschlägt auf einer Baustelle zu arbeiten, oder bei uns den Garten zu machen, oder das Haus von aussen zu streichen... gegen Bezahlung natürlich... dann ziehen sie es vor sich doch lieber weiter zu langweilen und sich durchzuschnorren. Nun ja, wir suchen immer noch!!!
Ich kenne Frauen, die ihre Babys morgens mit Dreck einschmieren und dann beim Supermarkt betteln gehen; wenn Europäer vorbei kommen, weinen die Kinder besonders oft, da hat Mama den Zwerg mal eben gekniffen. Ist aber lukrativ, wenn man sieht, wie sie wohnen.
Ich kenne auch Familien am Rande der Sahara: die jungen Männer arbeiten als Wüstenguides und/oder ziehen mit ihren Schaf- oder Dromedarherden durch die Weidegründe im Winter. Im Sommer verkaufen sie ihre Tiere. Davon leben ganze Grossfamilien recht ordentlich. Und sie lachen über unser Chaos hier, und sind froh, wenn sie dem nach ein paar Tagen wieder entkommen.

Was uns hier 'leider-gottseidank' fehlt, ist die Industrie, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen würde.

Ich denke, dass es insgesamt viele Möglichkeiten gibt. Aber dazu ist es wie in Europa:
Als erstes muss ich mich und meine Möglichkeiten selber der Realität entsprechend einschätzen.
Dann muss ich mir überlegen, als was ich arbeiten will und kann, und was ich bereit bin dafür auf mich zu nehmen.
Und dann kann ich mich auf die Suche nach einem adäquaten Job machen.

Wenn ich allerdings Zuhause sitze und darauf warte, dass mir der genialste Chef meinen Traumjob mit Spitzengehalt an meiner Haustür und im Umkreis von maximal 5 Kilometern offeriert, dann kann ich lange warten.
Das ist in Europa auch nicht anders.
Auch da kann man nicht oben in der Hirarchie anfangen zu arbeiten. Und wenn mal mal Sternekoch im Fernsehen werden will, dann fängt man überall auf der Welt als Küchenjunge an.

Und Selbständigkeit scheitert auch in Europa oft genug an der Bürokratie. In D z.B. muss ich einen Führerschein machen, wenn ich Mofa fahren will, einen Jagd- und Waffenschein, wenn ich Jäger werden will und ich brauche eine Genehmigung für jeden Flohmarktstand. ... Wieso gehen hier alle davon aus, dass sie alles in bestens kaubaren Häppchen vorgesetzt bekommen müssen, vor allem ohne Gegenleistung? Eigenständigkeit und Selberdenken ist gefragt. Und ich glaube, die Tunesier bestimmter Schichten müssen dringend begreifen, dass ihr altes Clandenken nicht mehr greift (frei nach dem Motto: Papa (oder dessen Beziehungen) wirds schon richten).

Und fragt mal nach, wieviele von den Studierten auch einen Abschluss in der Tasche haben... Sehr viele sind Studienabbrecher. Und da kenne ich mich aus. Habe irgendwann mal Lehramt studiert, als ich das erste Staatsexamen hatte, brauchte es keine Lehrer mehr. Dann habe ich eine Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht, 2 Jahre gearbeitet, dann kam die Gesundheitsreform. Dann hatte ich allerdings genug und wurde in TN Reiseleitung. Zwischendurch habe ich mal kurzfristig in einer Assistence wieder in D gearbeitet. Nein, es ist kein linearer Aufstieg. Aber es geht immer weiter, wenn man nur will und nicht nur von Flexibilität redet.

Mir ist bewusst, dass die Lebenshaltungskosten und die Ansprüche nicht in Relation zu den Gehältern wächst. Und mir ist auch bewusst, dass es nicht in allen Regionen Tunesiens für alle den passenden Job gibt. Und ein Riesenproblem ist und bleibt die Korruption.

Mag sein, dass ich hart bin, aber ich kann das arbeitstechnische Gejammer nicht mehr hören.
Muss ein Rezeptionist mit 500 TND Gehalt 2 Autos vor der Haustür stehen haben, weil er mit dem Auto zur Arbeit fahren will und seine Frau zum Kindergarten und zum Frisör?
Manchmal glaube ich, dass die Tunesier vergessen haben, wo sie eigentlich leben. TN ist nach wie vor ein "3.Welt-Schwellenland". Und solange sich in den Köpfen hier nichts ändert, wird sich auch im Land nichts ändern. Und damit auch am Leben des Einzelnen.

In diesem Sinne und frei nach dem Motto:
‘Wer auf höhere Berge steigen will, muss auch schärferen Wind vertragen können.’

(Sorry, das war mal wieder sehr sehr ausführlich)


Alles lediglich meine bescheidene und subjektive Sichtweise, welche ich - meistens - im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte kundtue s47 s28