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Gefängnis ohne Gitter
Tunesiens Diktatur

Von Marc Dugge und Alexander Göbel
Tunesien wählt einen neuen Präsidenten - der mit größter Wahrscheinlichkeit der alte bleiben wird. Zine El Abidine Ben Ali ist seit 22 Jahren an der Macht. Ein Mann, der Tunesien wirtschaftlich nach vorn gebracht hat - um den Preis einer Diktatur, die keine Widersprüche duldet.

Die Wahl scheint schon gelaufen, bevor sie überhaupt begonnen hat: Das Staatsfernsehen zeigt endlose Bilder von jubelnden Massen auf den Straßen von Tunis. Begeistert winken sie ihrem Präsidenten entgegen. Steif steht er am Rednerpult, sein Blick ist starr, er verzieht keine Miene. Mit seinem blauen Anzug und dem pechschwarz gefärbten Haar versprüht er zwar kein Charisma - wirkt aber jünger als 73. Zine el Abidine Ben Ali, der absolute Herrscher von Karthago.

"Wir werden Ihnen heute unser Programm vorstellen - ein Programm für das nächste Jahrzehnt - und die weitere Zukunft."

Das Programm ist er selbst, der Staat ist er selbst - und er will es noch lange bleiben. Für manche Beobachter klingt das wie eine Drohung. Denn mit großem Aufwand inszenieren Ben Ali und seine Regierung eine Scheinwelt, die über die wahren Verhältnisse hinwegtäuschen soll. Mit Erfolg."

Majestätische Palmen, weite Wüsten, atemberaubende Berglandschaften. Tunesien - ein Meer aus Licht und Sonne. Ein Traum aus 1001 Nacht - so wird es im offiziellen Werbespot dargestellt. Rund eine halbe Million Deutsche reisen pro Jahr in das Land, um dort in Strandressorts Urlaub zu machen. Die andere, düsterere Seite des Landes bekommen sie nur selten zu Gesicht. Michel Tubiana von der französischen Menschenrechtsliga:

"Man foltert in den Gefängnissen. Es herrscht Willkür. Tunesien hat eine demokratische Fassade, ist aber in Wirklichkeit eine Diktatur des Präsidenten der Republik."

Das meint auch der tunesische Menschenrechtler Kamal Jendoubi. Er lebt in Paris, wie die meisten seiner Kollegen. Wählen darf er nicht. Er steht nicht auf der Wählerliste. In Tunesien entscheidet der Staat, wer seine Stimme abgeben darf - Menschen wie Jendoubi gehören nicht dazu. In seiner Heimat ist er persona non grata, ein Strandurlaub dort kommt für ihn nicht mehr in Frage:

"Ich kann nicht mehr nach Tunesien reisen. Mir wird seit Jahren einfach kein Reisepass ausgestellt - ohne Begründung. In Tunesien bin ich offenbar wegen Volksverhetzung und Beleidigung des Staatschefs angezeigt worden. Wahrscheinlich wegen Artikeln, die ich in der französischen Presse geschrieben habe."

Den Präsidenten in der Zeitung zu kritisieren, das können Tunesier sowieso nur in Frankreich. In der Heimat ist das undenkbar. Präsident Ben Ali hat dort den perfekten Polizeistaat geschaffen. Ein Heer von Sicherheitsbeamten und Spitzeln überwacht und verfolgt Menschenrechts-Aktivisten und Journalisten. Permanent. Unliebsame Websites wie die Videobörse Youtube werden gesperrt, Zeitungen zensiert, Telefon- und Internetverbindungen streng kontrolliert. Der Preis des Systems: Ben Ali im Jahr 22 seines Entstehens.

7. November 1987: Ben Ali, damals Premierminister von Tunesien, setzt den greisen Staatspräsidenten Habib Bourguiba wegen angeblich "körperlicher und geistiger Unfähigkeit" ab und macht sich zu seinem Nachfolger. Diesen Putsch verkauft Ben Ali in den Medien als Jasmin-Revolution - doch seine schneidige, kühle Funktionärssprache verrät, dass von nun an ein anderer Wind wehen wird.

"Unser Volk hat eine weise und reife Entscheidung getroffen, für sich selbst und seine Nachkommen. Es hat beschlossen, den Institutionen dieses Landes ihren Platz zu geben. Daraus geht eine verantwortungsvolle Demokratie hervor, die dem Wohle aller dienen wird, auf der Grundlage der Herrschaft des Volkes"

Der Preis für Tunesiens rasanten Fortschritt ist hoch - doch nicht nur die nordafrikanischen Nachbarn blicken voller Neid auf den Wirtschaftswundermann Ben Ali. Denn sein Land steht im Vergleich zu anderen Maghreb-Staaten bestens da: Das Durchschnittseinkommen der Tunesier hat sich unter der harten Führung von Ben Ali und seinem Familienclan mehr als verzehnfacht. Die Lebenserwartung ist gestiegen, immer mehr Menschen können lesen und schreiben, es gibt eine bedeutende Mittelschicht. Tunesien gilt als "Pol der Stabilität" im Maghreb, es hat ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen und ist Frankreichs Lieblingspartner für das ehrgeizige Projekt der Mittelmeerunion. Auch deswegen muss Ben Ali aus Paris keine allzu harten Worte fürchten. Denn Frankreich braucht Tunesien als Absatzmarkt für seine Industrie. Und als Partner beim Kampf gegen islamistische Terroristen. Sarkozy bei einem Besuch in Tunis im Mai 2008:

"Der Grad der persönlichen Freiheiten nimmt zu. Das ist ein ermutigendes Zeichen, das ich begrüße. Ich bin hier Gast unter Freunden. Ich werde es mir nicht erlauben, unter Freunden als Lehrmeister aufzutreten."

Vielen Menschenrechtlern hat sich bei diesen Worten fast der Magen umgedreht. Auch Souhayr Belhassen von der Internationalen Menschenrechtsliga. Die Tunesierin warnt davor, sich von Ben Alis Tunesien allzu sehr betören zu lassen. Blenden zu lassen von einer weichgespülten Presse, vom Bild der unverschleierten Frauen in den Straßen und von wirtschaftlichen Erfolgszahlen:

"Was soll das denn nützen, wenn man ansonsten leben muss wie ein Tier? Wirtschaftlicher Fortschritt findet ja nicht im luftleeren Raum statt. Ohne Demokratie ist das alles nichts wert!"

Ohne Demokratie muss Zine el Abidine Ben Ali immerhin keine Gegenkandidaten fürchten. Und kann weiter der als absoluter Herrscher von Karthago regieren.

In Tunesien bleibt vermutlich auch nach den Wahlen alles beim Alten. "Tunesien - Erlebe Deine Träume" lautet der Werbespruch des Tunesischen Fremdenverkehrsamts. Die Opposition in Tunesien erlebt seit Jahren einen Albtraum - der noch mindestens fünf Jahre anhalten dürfte.