Yup, auch für mich kommt eine Konvertierung zum Islam nicht in Frage, doch dies hat weniger mit dem Islam zu tun, als vielmehr, daß für mich Religion jeglicher Ausprägung als Mittel zur Organisierung und (Ver)Führung von Menschen keinen Platz in der heutigen Zeit mehr hat und in die Vergangenheit gehört. Traditionen hingegen sind ein anderes Thema und denen gegenüber bin ich durchaus aufgeschlossen, zumindest solange, wie sie von religiosen Inhalten befreit oder unbeeinflußt sind (so interessiert es mich z.B. überhaupt nicht, welche Inhalte "Weihnachten" oder "Ostern" haben, während ich die Tradition des Baumschmückens, Eiersuchens oder Schenkens durchaus teile.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß eine solche Einstellung, wenn man sie denn gut begründen kann, auch in Tunesien akzeptiert wird und erstaunlicherweise sogar manchmal geteilt wird. Das mag auf dem Lande anders aussehen, doch es gilt zumindest für die größeren Städte.

Die Frage des Essens und Trinkens stellt sich eigentlich kaum - jeder ißt halt, was er mag und beim Trinken scheinen die meisten Tunesier es eh' ncht mehr so eng zu sehen, angebotener Alkohol wird meist getrunken und umkehrt auch dem Gast angeboten (grad eben am tunesischen Teil des Strandes noch wurde ich zum Wein eingeladen, der aus einer umwickelten Flasche ausgeschenkt wurde - fast wie in den USA <g>).

In Deutschland lebe ich in einer Stadt mit hohem Türkenanteil und ich kenne es eigentlich auch von dort nicht anders, jeder nach seiner Fasson und zu seinem persönlichen Glück, die wirklich extremen und weltverbesserischen Ansichten dürften hier wie dort in der Minderzahl sein (mal ausgenommen ländiche Gegenden, doch auch das gilt hier wie dort).

Im übrigen kenne ich deutsch/tunesische Paare die seit vielen Jahren verheiratet sind und in Tunesien leben, und die meist ebendiese praktische Form des Verschiedenseins leben, so daß dies unter Umständen eher der Schlüssel zu einer langen Partnerschaft sein könnte, als eine einseitige Hin- und Aufgabe.
Nicht zu vergessen - auch in der tunesischen Gesellschaft ändert sich einiges, und es gibt nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene, denen die Religion egal ist, wenn sie durch sie an ihrem Verständnis von neuer Freiheit gehindert werden (was natürlich vielen Eltern gar nicht gefällt), insofern sehe ich in jedem Falle eine allmähliche Erosion der "Werte" und eine Umorientierung, ähnlich wie es z.B. im Deutschland der 60er und 70er Jahre stattfand.

Was die Musik angeht, die ist mir in Tunesien schon zu sehr amerikanisch <g>, ich kann einfach nicht so recht auf die ständige Rap- und House Beschallung, habe aber noch mehr Probleme mit "traditioneller" tunesischer Musik, die m.E. so produziert wird, daß man Katzen an eine Leine hängt und dann reihum an den Schwänzen zieht. Das aber ist reine natürlich Geschmackssache, ich tue mir beispielsweise auch freiwillig keine deutsche Volks- oder Heimatmusik mit Schunkel- oder Humtata-Garantie an - jeder, wie er es mag, doch ich mag es jedenfalls nicht. :-)

Der Punkt ist doch der, daß das Mischen von Kulturen nicht durch Gesetze oder künstliche 50%-Regelungen vonstatten geht, sondern dadurch, daß in jedem Einzelfall eben verschiedene Kulturen, Methoden und Denkweisen aufeinanderprallen und sich dann mal die eine und mal die andere und mal eine Mischform durchsetzt, bei einer Familie (oder generell bei den Beteiligten Seiten) endet es dann 30:70, bei einer anderen 50:50, bei einer dritten 90:10, usw. Was ich aber für falsch halte, ist es, sich gegen den eigenen Willen von einer Kultur aufsaugen zu lassen, dies ist nicht notwendig und schon gar nicht im Wege der vorauseilenden Gehorsams. Das hat niemals in der Vergangenheit so funktioniert, und das funktioniert auch heute nicht, nicht in Tunesien, nicht in Deutschland und auch nirgendwo anders.
Jeder Mensch ist ein Botschafter in eigener Sache, von seinen eigenen Gewohnheiten, Traditionen und Lebensweisen (die natürlich national oder regional geprägt oder erlernt sind) und es wird geradezu erwartet, daß er diese auch vertritt (denn sonst fragt man sich ja, warum er sie überhaupt pflegt und wie ernsthaft es ihm damit ist) und man will sie sehen, verstehen und das daraus entnehmen, was man selbst als übernehmenswert erachtet.