Da ich schon lange in diesem Forum mein Unwesen treibe und viele kennen von mir nur meinen unorthodoxen Nick, will ich mich eben der Vorstellungsparade anschliessen.
Ich bin einer der wenigen Schreibtischtäter wenn nicht der einzige , die aus Tunesien schreiben, bin naemlich in diesem ewig schönen Land geboren und aufgewachsen, ich hatte zunächst mit Deutschland und der deutschen Sprache nichts am Hut und die Tatsache, dass ich nach dem Abitur mein Medizinstudium in Tunis abbrach und nach
Deutschland ging, geht eher auf das Konto des unberechenbaren Schicksals, das irgendwann am Strand von Sousse, mich mit einem leuchtenden Stern in Verbindung brachte, Amor liess seinen Pfeil nicht stecken. Der Lauf des Schicksals entscheidet sich nicht selten durch ein an sich banales Ereignis, es war eine Sonnenbrille. Es war an einem schoenen späten Nachmittag im Sommer, die Sonne bereitete sich für den Abschied vor und eine Mischung aus kuehler Meeresluft und Yasminduft streichelte sanft meine Schläfen, ich weidete mich an einer unbeschreiblich schoenen Augen- und Beinwiese, die mir meine Tischnachbarin grosszügig anbot. Ich hatte ein
unaufschiebbares Beduerfnis zu verrichten - immer in den denkbar unguenstigsten Augenblicken stelle ich öal fest - und dann war sie verschwunden, auf dem Stuhl lag jedoch eine Sonnenbrille, ich eilte hin und konnte sie noch erwischen. "Du tust deinen huebschen Augen unrecht, wenn du sie hinter dieser Brille versteckst, ich weiss daher
nicht ob ich sie dir zurückgeben soll" - hab es auf Englisch gesagt, war immer der Klassenbeste in Englisch, damals klang Deutsch für mich wie Chinesisch- Mit diesem geistreichen Satz leitete ich eine meiner schönsten und zugleich problemreichsten Lebensepisoden ein. Es ist mir vorher nie in den Sinn gekommen, Tunesien zu verlassen und hätte jeden für verrückt gehalten, der mir das prophezeiht hätte. Alles schien
seinen normalen Gang zu gehen, ich war im dritten Semester Medizin, hatte ein Stipendium und gute Zukunftsausichten. Als meine Familie meinen unangemeldeten Abflug erfuhren, glaubten sie an einen geschmacklosen Witz, bis sie einsehen mussten, dass der Witz durchaus Wahrheit sein kann, eine stinkbanale Sonnenbrille hat mich aus
der Bahn geschleudert.
Ich weiss jetzt nicht, ob ich meine Entscheidung bereuen sollte, wer weiss was aus mir hätte werden können angesichts der legendären Unberechenbarkeit des Schicksals.
Bis vor meiner Abreise in den europäischen Kontinent, hatte ich keine Vergleichmöglichkeit bzw. nichts als Illusionen. Der Tourismus hat es ermöglicht Kontakte anzuknöpfen, man roch an den Touristen, die so angenehm anders waren, die
Freiheit, den Wohlstand und die lockeren Sitten, und man hat keine Minute daran gezweifelt, dass dort das Paradies eine Niederlassung hatte. Aber erst in der kalten Ferne wird doch einem den unschätzbaren Wert seiner Heimat und der damit
verbundenen Wertvorstellungen unmissverständlich bewusst. Es ist immer die Unwissenheit bzw. die perspektivische Beschränktheit, die die Menschen dazu verleitet, über ein Volk oder eine Land ein oft falsches Urteil zu fällen. Nicht selten werden die Araber von gewissen Europäern, besonders denjenigen, die selten aus ihren Löchern rauskommen,selten den Kontakt zu anderen Völkergemeinschaften suchen und ihre Informationen hauptsächlich in den populistischen Medien beziehen, als düstere Gestalten taxiert, scheinheilig, faul, hinterhältig, rachesüchtig, agressiv, diese Araber, die man auf Fotoreportagen sieht, schmutzig, mager, zerlumpt oder im abgenutzten Klamotten, deren Kinder in Fliegenschwarm gezeigt, ein kulturloses Volk, das den zivilisatorischen Prozess verschlafen hat.
" Ich und meine Frau haben lange gezögert, bevor wir gekommen sind. Wir hatten Angst enttäuscht zu werden ..., wir sind fasziniert ..., uns hat der Aufenthalt hier so gut getan, dass wir uns entschlossen haben, eine Woche zu verlängern, trotz der Sorge unserer Tochter, die uns jeden Tag anruft und an die Gründe unserer Verspätung nicht glauben kann, wir fühlen uns einfach wohl, man schläft besser, gewinnt neuer Ideen, neue Hoffnungen und einen gewissen Optimismus, niemals waren wir dermassen trunken vor Freude, vor Sonne uns Schlaf, die Distanz zu sich selbst wurde auf einen angenhemen Mass verringert."
Umgekehrt und aus mangelnder Erfahrung und übertriebener Mystifizierung malt sich die tunesische Jugend in fröhlichen Farbenein idealisiertes Bild von Deutschland und Europa zurecht, das später von der erlebten Wirklichkeit stark in Frage gestellt wird. Früh oder spät gelangt man zu der Erkenntnis, dass das menschliche Glück nicht im Individualismus zu finden ist, nicht in der Überfüllung, dem Reichtum, der hohen Lebensstandart, sondern einzig und allein in der Güte, Bescheidenheit und der Rückbesinnung auf bewährte Tungenden. Die Tunesier leiden zum Teil heute noch unter
materieller Armut, lange Zeit durch den Kolonalismus bedrängt und ausgepresst, aber die geistige und menschliche Armut ist uns erspart geblieben, wir sind glücklicher als die vielen reichen Völker, die einen viel höheren Lebensstandart aufweisen.
Wozu soll dieser hoher Lebensstandard gut sein, wenn er menschliche Krisen generiert, eine Menge von Haesslichkeiten und Problemen, die dem Menschen Komplexe geben, ihn traurig stimmen und ihm den ursprünglichen Sinn des Lebens entziehen. Auch wenn der Himmel ohne Wolken ist, die Baeume in Blueten stehen, die Gaerten voller Duft, die
Waelder voller Voegel, die Stadt sauber und festlich geschmueckt, so sind die Menschen trotzdem ungluecklich. Die Freude an einem einfachen entspannten Leben scheint in weiter Ferne zu rücken , Stumpfsinnig, ausgelaugt, immer still, zurückgezogen und ohne Laecheln, leben sie wie Sklaven ihrer Gesellschaft.
" Ich kann dir nicht sagen, wie unglücklich und verloren ich mich hier fühle, es war wohl der grösste Fehler, den ich hätte begehen können, ich verfluche den Tag, an dem ich den Entschluss fasste, hierher zu kommen. Bin nur noch ein seelischer Wrack, das ist ein Tunnel ohne Ende mein Freund und wer sich soweit hineingewagt hat, der kommt auch nicht so leicht wieder raus, wenn überhaupt, mich terrorisiert vor allem der
Gedanke, dass das letzte Kapitel meines Leben hier in diesem dunklen Tunnel geschrieben wird."
Das Paradies hat sich als Einbahntunnel entpuppt.
Tunesien, das ist vor allem das Licht, das ist für mich die Duft der Yasminblüten an einem herrlichen Sommertag, das ist die warme melodische Stimme des Muzzin, die in aller Frühe ertönt und das Gemeinschaftsfefühl immer aufs Neue stärkt, das ist diese Flagge, die mit dem Herzen eines jeden Tunesiers einen Bund fürs Leben geschlossen hat, es ist die Herzlichkeit, die wir mit der Mutterlmilch eingesaugt haben, das ist die angeborene Gelassenheit, die wir mit uns herumspazieren tragen, es ist der Olivenbaum, der uns seine Weisheit ins Ohr flüstert, .......

Ich hoffe lieber Jens, du hast eine Telantwort auf deine Frage.
von steif (Lamine)