07.02.2005:
Hintergrund: Mein Weg zum Islam - Amir Bekaric
Ein junger Bosnier beschreibt die Reise seines Lebens hin zum Din

Meine ersten Berührungen mit dem Islam fanden in Sarajevo statt. Früh am Morgen und abends zum Sonnenuntergang hört man schon den Muezzin aus dem tiefen Tal der Miljacka zum Gebet rufen. Auf einem Hügel, der sich bis in die Altstadt erstreckt, sitzen wir im Garten, und blicken auf die Stadt, die sich bis zum mächtigen Gebirgsmassiv Igman erstreckt. Ein riesiges Geflecht aus Minaretten und Kirchtürmen breitet sich vor uns aus. Nachdem die Gebetsrufe des Muezzin verstummen, ertönen die Glocken der Kathedrale und das ganze zerfließt in einem tiefroten Sonnenuntergang über den vielen Hügeln, die die Stadt in einem riesigen Kreis umarmen.

Meine Mutter ist katholisch, mein Vater ist ein im Kommunismus aufgewachsener nicht praktizierender Muslime. Sie lernten sich in Sarajevo kennen, heirateten in Zagreb und zogen 1972 nach Deutschland. Einige Jahre später kam ich in Nordrhein-Westfalen zur Welt. Da sich meine Eltern nicht darauf einigen konnten, ob ich getauft werden sollte, oder beschnitten werden müsste, überließen sie mir die Entscheidung für den Tag, wenn ich dafür alt genug bin.

Religion spielte eigentlich nur eine sehr kleine Rolle in meinem Leben. Allerdings glaubte ich immer an Gott und wurde durch die Ereignisse und Erfahrungen darin mehr und mehr bestärkt. Ich habe mich zwar schon häufiger in Kirchen aufgehalten, nur leider hatte ich vorher noch nie die Gelegenheit genutzt, auch mal in eine Moschee zu gehen. Für mich war das eine fremde Welt, die ich bisher nur von außen betrachtet habe. Leider hatte ich auch seit meiner Kindheit tiefe Vorurteile gegenüber Muslimen.

In der Nachbarschaft gab es viele Probleme mit türkischen Vätern und Ehemännern. Muslimische Frauen wurden gezwungen, mehrere Meter hinter dem Ehemann zu gehen, die Kinder wurden regelmäßig geprügelt und auch die Mütter waren häufig Opfer von Gewaltausbrüchen. Unsere türkischen Nachbarn haben nicht nur auf mich einen sehr negativen Eindruck hinterlassen. Dass ein solches gewaltbereites Verhalten nichts mit dem Islam zu tun hat, ist erst heute für mich selbstverständlich.

Ich lernte eine junge Frau kennen, heiratete, wir bekamen einen Sohn und das Leben nahm seinen Lauf. Geld war für mich damals der Schlüssel zur individuellen Freiheit und zum Glück. Ohne Geld bist du nichts - hieß es in meinem Verwandtenkreis. Nur wenn du in deinem Beruf erfolgreich bist und ein Vermögen vorweisen kannst, hast du es in dieser Gesellschaft geschafft und wirst anerkannt. Ich denke, ich bin in meinen jungen Jahren schon relativ weit gekommen, bis - ja bis an jenem Tag alles wie ein Kartenhaus zusammengebrochen war.

Meine Frau wollte sich von mir trennen und unseren Sohn selbstverständlich für sich behalten. Ich realisierte nicht sofort, was das für mich bedeutete. Ich hatte einige Monate vorher meinen Job gekündigt, da eine Versetzung nach Süddeutschland für meine Frau nicht in Frage kam. Ich hatte meinen Sohn verloren, denn eine normale Beziehung konnte ich mit „einmal im Monat Besuchzeit“ nicht aufrecht erhalten. Es war zutiefst demütigend, vor Gericht zu stehen und nichts tun zu können. Die Unterhaltsforderungen überstiegen bei weitem das, was ich monatlich zahlen konnte. Das Gehalt wurde verpfändet. Ich hatte plötzlich riesige Schulden und da stand ich nun, ohne Familie, ohne Job und ohne Geld. Alles war verloren.

Vor etwa zwei Jahren war ich wieder in Sarajevo. Diese Stadt hatte schon seit meiner Kindheit immer einen besonderen Reiz auf mich ausgeübt. Irgendwie, obwohl ich seit den Kriegsereignissen nur unregelmäßig zu Besuch war, fühlte ich mich hier schon immer wie zu Hause. Ich wusste nicht ganz, was mich erwartete, Sarajevo war wie der letzte Grashalm für mich. Ich suchte etwas, wusste aber nicht genau was.

Ich lernte eine Frau kennen, eine Muslimin. Sie erklärte mir, was es bedeutet, Muslimin zu sein, was es bedeutet fünf mal am Tag zu beten und so weit wie möglich nach islamischen Regeln zu leben. Ich hatte viele Fragen, die mir nicht gleich alle in vollem Umfang beantwortet werden konnten. An einem Tag während des Ramadans im November 2003 traute ich mich das erste Mal in eine Moschee. Ich muss zugeben, dass ich mich nicht besonders wohl in meiner Haut fühlte.

Bereits im Vorhof der Gazi-Husrev-Beg Moschee in Sarajevo fühlte ich mich beobachtet. Mir gingen Fragen durch den Kopf wie - darf ich überhaupt hier rein?- oder - was passiert, wenn die Leute merken, dass ich nicht beten kann oder dass ich (noch) kein Muslime bin. Das Gefühl verstärkte sich noch, als ich den Eingangsbereich betrat, meine Schuhe auszog und langsam etwas zögernd die Moschee betrat. Mich überraschten zunächst die hellen weißen Wände und die Höhe des Innenraums. Ich setzte mich gleich am Anfang rechts in eine Ecke auf die Bank. Neben mich gesellten sich noch einige ältere Herrschaften und musterten mich von oben bis unten. Die Moschee füllte sich sehr schnell. Doch, was ist das? Jeder betete für sich individuell und alle durcheinander. Ohne Ordnung begann jeder seine Verse aufzusagen, der eine stand und der andere hatte seine Stirn schon auf dem Boden und so ging es eine Zeit lang, solange bis der Imam den hohen Saal betrat. Es wurde sehr schnell still, alle reihten sich in Reihen hinter den Vorbeter. Die Lücken wurden schnell geschlossen. Ich kann mich noch genau an einige Gesichter erinnern die sich noch vor dem Gebet umdrehten und mich anschauten (einige habe ich später in der Altstadt wieder getroffen). Die älteren Herrschaften neben mir verrichteten ihr Gebet im Sitzen und bewegten sich im Einklang mit der Masse soweit sie konnten. Die ganze Masse machte auf mich einen sehr homogenen Eindruck, alle waren gleich vor Gott, egal ob er vorne oder hinten, rechts oder links stand. So saß vielleicht ein Professor neben einem Polizisten, ein Verkäufer neben einem Bank-Manager. Da die Lücken von vorne nach hinten gefüllt wurden, wusste man auch nie genau neben wem man das Vergnügen hatte. Alle standen mit dem Gesicht nach Mekka so eng zusammen, dass sich die Schultern berührten. Man konnte den gemeinsamen Geist förmlich fühlen, alles war im Einklang, alles war sauber - alle waren gleich vor Gott. Als ich das gemeinsam ausgesprochene Amin von allen in der Moschee Anwesenden hörte, ging mir ein Schauer den Rücken runter. Ich war verblüfft wie ähnlich der Islam dem Christentum ist - ist das wirklich das gleiche Amen der Muslime wie das der Christen in der Kirche? Wie oft hörte ich dieses Wort in der Kirche von meiner Großmutter und jetzt dieses Erlebnis in einer Moschee.

Mir wurde sofort bewusst, dass der Islam mit dem Christentum tiefer verwurzelt ist, als ich es mir vorstellen konnte. Dass sich diese Religion als Fortführung des jüdischen und christlichen Glaubens versteht, sollte ich doch sehr bald in vielen Gesprächen erfahren. Eine weitere Handlung der Betenden hatte für mich einen sehr symbolischen Charakter - kurz vor dem Ende des Gebets neigten alle im Einklang ihre Köpfe jeweils einmal zur rechten und zur linken Seite, so als ob Ihnen jemand auf den Schultern sitzen würde, als ob es darum ginge, jemanden zu beschwichtigen oder gar etwas Böses zu vertreiben. Das Gebet ist wie in jeder Religion ein Akt der Reinigung oder gar Befreiung vor den Sünden, die wir alle täglich begehen, einige bewusst und einige sogar völlig unbewusst. Vor allem im muslimischen Gebet ist dies sehr deutlich zu spüren. Allein die Abdest - Regeln, die rituellen Waschungen vor dem Gebet, haben einen befreienden Charakter und tatsächlich, nach jeder Waschung fühle ich mich völlig entspannt und meine Gedanken klar und deutlich sortiert.

Soweit zu meinem ersten Besuch in der Beg-Moschee. Es entstanden viele Fragen, fast schon zu viele für eine einzige Person. Im Frühjahr 2004 machte ich mich auf dem Weg zur Weißen Moschee in Sarajevo. Gleich im ersten Gespräch mit dem Imam fühlte ich eine tiefe Verbundenheit. „Der Islam möchte dir helfen und nicht strafen, er möchte dich einfach nur näher an Gott bringen.“ Und das ist das ganze Geheimnis. Eine Woche lang setzten wir uns täglich zusammen und sprachen alle Themen an, die mir auf der Zunge lagen. Nach kurzer Zeit war ich mir sicher - das ist mein Weg. Mein verfallenes materialistische Fundament, nach dem ich mein bisheriges Leben ausrichtete, konnte ich beiseite legen. Das einzige, was jetzt zählt, ist der Glaube an Gott - an Allah.

Im April 2004 sprach ich in Sarajevo das Glaubensbekenntnis aus und bin seitdem Muslim.

http://www.islamische-zeitung.de/cgi-bin/artikel/5454