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Die regionalen ökonomischen Folgen des 11. September 2001

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1. Regionale Entwicklung
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Die Weltwirtschaft befand sich nach den Terroranschlägen vom 11. Septem-
ber 2001 in den USA in einer prekären Lage. Die Anschläge und die damit
zusammenhängenden politischen Entwicklungen haben die privaten Haushalte
und Unternehmen nicht nur in den USA stark verunsichert und die ohnehin
schwache Nachfrage und Produktion beeinträchtigt. Der Abschwung, der am
Ende des Jahres 2000 mit ungewöhnlicher Stärke eingesetzt hatte, setzte
sich weltweit kräftig fort. Die USA und Japan befanden sich vorher auf
Rezessionskurs, während die gesamtwirtschaftliche Aktivität im Euro-Raum
stagnierte. Auch die meisten Schwellenländer in Südostasien und Latein-
amerika waren von einer ausgeprägten Schwäche betroffen. Mit Ausnahme
Osteuropas und Chinas verlief der weltweite Abschwung synchron.

Von dieser Entwicklung war die Nah- und Mittelregion am härtesten betrof-
fen. Die direkten Kosten für die arabischen und anderen islamischen
Länder wurden in der ersten Phase auf rund 22 Mrd. $ geschätzt. Die indirekten Kosten und Auswirkungen sind ein Vielfaches und enthalten
gefährliche Dimensionen:

(a) Die wechselseitigen Anfeindungen zwischen den USA und der islamischen Welt bergen die Gefahr in sich, dass einige Staaten dieser Region den Rücken kehren;

(b) Die Ereignisse verstärkten den Eindruck, dass diese Region durch Unruhen, Gewaltanwendung, Extremismus und Terrorismus gekennzeichnet sei, was die Investitionsneigung in- und ausländischer Investoren beeinträchtigt;

(c) Durch berechtigte und in den meisten Fällen unberechtigte Verdächtigungen hinsichtlich der Involvierung in die Finanzierung terroristischer Aktivitäten gerieten islamische Finanzinstitutionen in Misskredit;

(d) Massive Einflüsse auf zahlreiche Sektoren, allen voran Luftfahrt, Transport, Tourismus und Versicherung;

(e) Steigerungen der Kreditkosten aufgrund erhöhter Risiken und damit begrenzter Zugang zu den Kapitalmärkten und ausländischen Direktinvestitionen.

Die Inangriffnahme mehrerer Großprojekte und ihre Finanzierung, auch und vor allem in der Öl- und Gasindustrie wurden hinausgeschoben. Von beson-
derer Bedeutung sind der Rückgang des Ölpreises und die politisch bedingte Beschränkung der OPEC-Fähigkeit zur Senkung der Produktion (amerikani-
scher Druck). In den letzten vier Monaten des Jahres 2001 sank der Ölpreis um ein Drittel, d.h. auf 18 $/b, verglichen mit 27,3 $/b im Vor-
jahr. Der neue (niedrige) Preis wird vielfältige Folgen für die Entwicklung der Konkurrenzverhältnisse, der Ölinvestitionen und der mittel- und langfristigen Ölversorgung der Weltwirtschaft haben. Er würde - wenn er
längere Zeit beibehalten würde - den Weltmarktanteil der OPEC erhöhen und
ihre Position stärken durch Behinderung der Investitionen in anderen Gebieten. Die Öleinnahmen der GKR-Staaten sanken im Jahr 2001 um 30% auf 85 Mrd. $, was nicht nur nationale, sondern auch regionale Auswirkungen
hat. Im Vorjahr betrugen die arabischen Öleinnahmen 150 Mrd. $ bei einem
Export von 15,2 Mio. b/d und einem durchschnittlichen Preis von 27,3 $/b.
Generell hat der Rückgang der Ölpreise die Leistungsbilanzsituation der Ölexportländer verschlechtert. Die ungünstige außenwirtschaftliche Entwicklung hat zur Vergrößerung der Haushaltsdefizite beigetragen. So
verzeichneten z.B. die GKR-Staaten ein zusammengefasstes Budgetdefizit
von 3,2 Mrd. $, verglichen mit einem Überschuß von 13,5 Mrd. $ im
Vorjahr. Dieses Defizit wird sich nächstes Jahr (2002) unter Zugrunde-
legung eines Ölpreises von 18 $/b auf 17,2 Mrd. $ ausweiten. In diesem
Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass die Ausgaben für Verteidigung
und Sicherheit, deren Anstieg in den letzten zwei Jahren gebremst werden
konnte, nun wieder kräftig erhöht wurden. Im Jahrzehnt 1990-2000 betrug
der amerikanische Rüstungsexport allein in die arabischen Golfstaaten 45
Mrd. $; die Verteidigungsausgaben fraßen mehr als 46% ihrer Öleinnahmen,
wobei gleichzeitig die staatliche In- und Auslandsverschuldung dieser
strukturell Gläubigerökonomien die Marke von 70 Mrd. $ überschritten
hatte. Im Jahr 2000 hatten die meisten Regionalstaaten ihre Verteidi-
gungsausgaben um 1 bis 5% reduziert; die Ausnahmen waren Israel, Iran,
Tunesien, der Jemen, Oman und die VAE. Im Jahr 2001 wurden die Verteidi-
gungsbudgets in Israel um 30% auf 9,1 Mrd. $, Iran um 21% auf 9,1 Mrd. $
und Saudi-Arabien um 15% auf 27,2 Mrd. $ erhöht. Generell haben sich die
Einfuhren aufgrund der gestiegenen Kosten für Transport, Versicherung und
Schutz verteuert. In einer Zeit des Rückgangs der Konsumnachfrage erhöh-
ten sich die Produktionskosten vor allem in den vom ausländischen Input
abhängigen Bereichen. Der Rückgang des Dollarkurses verteuerte die Impor-
te aus Ländern außerhalb der USA, und die machten rund 88% der gesamt-
arabischen Einfuhren aus. Das alles erschwerte die angestrebte Steigerung
und Diversifizierung der Exporte.

Vor diesem Hintergrund hat sich das Wirtschaftswachstum der Nah- und
Mittelostregion 2000-2001 von 5,8 auf 2% verlangsamt, wobei die Entwick-
lung von Land zu Land unterschiedlich war. So war der Abschwung in Saudi-
Arabien von 4,5 auf 2,2%, in Ägypten von 5,1 auf 3,3% und in Israel von
6,4 auf -0,6% viel stärker als in Iran (von 5,1 auf 5%), wo die Konjunk-
tur durch die Performanz der Landwirtschaft, des verarbeitenden Gewerbes
und des Bausektors gestützt wurde. In Ägypten, Jordanien, Israel, die
Türkei, Tunesien und Marokko machte sich insbesondere der Rückgang der
Tourismuseinnahmen bemerkbar, während andere überschuldete Regional-
staaten (Libanon, der Sudan, Pakistan) den Rückgang der Gastarbeiter-
überweisungen nicht kompensieren konnten. Algerien konnte trotz der geo-
graphischen Entfernung von der Krisenzone und seines "Oil Stabilisation
Fund" das erhoffte Wachstum von 3,5% nicht erreichen. Die Aussichten der
Gesamtergion für das nächste Jahr waren düster: weitere Verschlechterung
der Situation der Leistungsbilanzen und weiter sinkende Wachstumsraten.
Insgesamt hat der 11. September die Anstrengungen der Nah- und Mittel-
ostregion zur Verringerung der bestehenden Kluft zu anderen Weltregionen
erschwert. Diese Region mit 290 Mio. Einwohnern hatte im Zeitraum 1965-99
ein durchschnittliches jährliches BIP-Wachstum von 3% und ein Wachstum
des BIP pro Kopf der Bevölkerung von nur 0,1%, verglichen mit 5,6% für
den ostasiatisch-pazifischen Raum, 1,4% für Lateinamerika, 2,4% für Süd-
asien und -0,2% für Afrika südlich der Sahara. Dieses Wachstum reichte
bei weitem nicht für die Hebung des Lebensstandards und die Lösung der
brennenden sozialen Probleme. Dabei ist zu bedenken, dass ein reales
Wirtschaftswachstum von mindestens dem dreifachen Prozentsatz des Bevöl-
kerungswachstums (in der Region 3 bis 4%) erforderlich ist, damit die
Masse der Bevölkerung den Fortschritt fühlen kann.

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2. Auswirkungen auf einzelne Bereiche
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Zwar erwiesen sich die ersten Befürchtungen als übertrieben, es gibt
jedoch ernstzunehmende Auswirkungen auf bestimmte Bereiche, die größten-
teils nachhaltigen Charakter haben. Art und Ausmaß der Auswirkungen hing
u.a. vom Umfang der bestehenden Verflechtungen des betreffenden Regional-
staates mit der US-Ökonomie, den EU-Ländern und Zentralasien zusammen.

2.1 Warenmärkte, Arbeitsmärkte, Tourismus und Luftfahrt

Die Auswirkungen auf die Warenmärkte waren vielfältig. Insbesondere der
Handelsverkehr zwischen der Region und den USA wurde beeinträchtigt; er
kam unmittelbar nach dem 11. September für einige Zeit fast zum Erliegen,
was zu Preissteigerungen, Spekulationsgeschäften und Mangelerscheinungen
führte. Besonders betroffen waren diejenigen Industrieunternehmen, die
sich auf amerikanische Inputs stützten bzw. als Exporteure vom amerikani-
schen Absatzmarkt abhängig waren und schnell nach Alternativen suchen
mußten. Überhaupt hatten die Exportfirmen der Region angesichts der welt-
weiten Rezession und des verschärften Wettbewerbs mit neuen Schwierigkei-
ten zu kämpfen. Erhöhte Versicherungs- und Transportkosten machten sich
nicht nur in der kriegsnahen Zone (Iran, Zentralasien, Pakistan, Golf-
staaten), sondern auch in Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien, Sudan und
Jemen bemerkbar. Die Verluste aufgrund der gestiegenen Goldpreise waren
in vielen Fällen beträchtlich. Nicht zuletzt ist auf die Erschwerung des
Abschlusses von Termingeschäften und langfristigen Verträgen hinzuweisen.

An dieser Stelle sei auf die Implikationen der Rückkehr einer zunehmenden
Zahl von Gastarbeitern und Studenten aus den USA und einigen europäischen
Ländern hingewiesen, die eine zusätzliche Herausforderung für die Be-
schäftigungspolitik bedeuteten. Hier ist zwischen kurz- und langfristigen
Effekten zu unterscheiden. Kurzfristig konnte die Belastung der Arbeits-
märkte und Bildungseinrichtungen verkraftet werden; man rechnete sogar
mit positiven Effekten der Nutzung des technologischen Wissens der Zu-
rückgekehrten. Weit problematischer sind die langfristigen Auswirkungen
der im Westen herrschenden Tendenzen zur Begrenzung der Einwanderung und
Zurückdrängung der etablierten Ausländer mit verschiedenen Mitteln
(rechtsgerichtete Strömungen). Sie könnten in absehbarer Zukunft
erhebliche Dimensionen annehmen und die betroffenen Regionalstaaten mit
unlösbaren Problemen der ökonomischen und sozialen Destabilisierung
konfrontieren.

Neue aktuelle Probleme hatte der Tourismussektor, der in den letzten vier
Monaten 2001 weltweit um 11% und in der Nah- und Mittelostregion um 30%
zurückging (verglichen mit 24% für Südasien, Nord- und Südamerika, 10%
für Ostasien und 6% für Europa). 2001 war für den Welttourismus das
schlechteste Jahr seit 1982; die Touristenzahl sank um 1,3% auf 688 Mio.,
verglichen mit einem 7%igen Anstieg im Vorjahr. Der Rückgang der Touris-
museinnahmen, die für Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Israel,
Türkei und andere Regionalstaaten eine sehr wichtige Konjunkturstütze
darstellen, hat die Implementierung anspruchsvoller Aufbaupläne
behindert. Verzögert wurden z.B. die ägyptischen Projekte in Taba und
Nuwaibi', das marokkanische "Blaue Programm" zur Verdopplung der Hotel-
kapazität und die Projekte der Golfstaaten zur Steigerung der Hotel-
kapazitäten um 35%. Auf der anderen Seite rechnete man damit, dass sich
ein Teil der muslimischen Touristen, die gewöhnlich in westliche Länder
gehen, nunmehr als folge des 11. September in Richtung islamische Länder
umorientieren würden.

Die direkten Verluste der internationalen Luftfahrt wegen des 11.
September wurden auf 17 Mrd. $ geschätzt, mehr als die Gewinne der
letzten vier Jahre. Auch die regionalen Fluggesellschaften erlitten
Verluste in Milliardenhöhe. Die arabischen Fluggesellschaften ver-
loren rund 150.000 Passagiere. Anstatt der erwarteten 6% konnten sie
arabische 2001 ein Wachstum von nur 2,9% realisieren; das Wachstum
des Luftfrachtumsatzes verlangsamte sich von 8 auf 5%. Vor diesem
Hintergrund mussten die regionalen Fluggesellschaften ihre Strecken-
netze reduzieren, den Einsatz bestellter Maschinen hinausschieben
und die Flugpreise erhöhen. Sie ersuchten die betreffenden Regierungen
um Hilfe und Befreiung von Steuern und Abgaben sowie um Erleichterung
des intraregionalen Reiseverkehrs. Beispiele dazu waren:

(a) Egypt Air: Drosselung der Tätigkeit um 15% vom 24. September
2001 an, einschließlich Streichung der Flüge nach Karachi,
Aden, New York und Lagos, 20%iger Rückgang der Flüge in die
USA und nach Europa, Entlassung von 2000 Mitarbeitern, 30%ige
Senkung der Löhne und Gehälter.

(b) Royal Jordanian Airlines: 20%iger Rückgang der Buchungen im
Wert von 12 Mio. $; neuer Preisaufschlag von 5% zwecks Deckung
der gestiegenen Versicherungskosten.

(c) Kuwait Airlines: Streichung der Flüge nach Islamabad und Lahore
sowie Reduzierung der Flüge nach Damaskus, Amman und Doha.

(d) Gulf Air: 15%iger Rückgang des Geschäfts aufgrund der Streichung
der Flüge nach Colombo und Pakistan.

2.2 Kapitalmärkte

Die meisten Aktienmärkte in der Region verzeichneten in den ersten Wochen
nach dem 11. September deutliche Einbußen. Preise und Aktienindizes
zeigten sinkende Tendenzen. So sanken in der ersten Woche in Saudi-
Arabien die Aktienkurse um 4,3% und der allgemeine Aktienindex um 40
Punkte, in Bahrain um 3,5% bzw. 40 Punkte. Die kuwaitische Börse wurde
für drei Tage geschlossen. In Ägypten erreichte der Rückgang der Aktien-
kurse mit 5% die Grenze der Einstellung der Transaktionen, wobei die an
der Londoner Börse notierten internationalen Schuldverschreibungen
besonders große Verluste erlitten. Einige Börsen in der Region verzeich-
neten den Austritt ausländischer Akteure. Auch wenn sich diese Tendenzen
nicht überall und nicht mit gleicher Intensität fortsetzten, waren doch
einige Länder hart betroffen. Im Zeitraum 11.9.01-20.3.02 sanken die
Aktienindizes in Ägypten, der Türkei, Israel, Jordanien, Libanon, Kuwait,
Marokko und Tunesien zwischen 3,4 und 16,4 Prozentpunkten. Das Vertrauen
der Kapitalinvestoren war angesichts des fortgesetzten Krieges in
Afghanistan, des Vorgehens der Regierung Sharon gegen die Palästinenser,
des wiederholt angedrohten Militärschlags gegen den Irak und einer
möglichen geographischen und inhaltlichen Ausdehnung des "Krieges gegen
den Terrorismus" schwer wiederherzustellen.

2.3 Verlagerung eines Teils der arabischen und anderen Kapitalanlagen im
westlichen Ausland

Die öffentlichen und privaten Sektoren der Nah- und Mittelostregion
besitzen aus verschiedenen Gründen und Motiven und im Rahmen der seit
langem bestehenden internationalen Zusammenarbeit umfangreiche Kapital-
anlagen im westlichen Ausland (vorwiegend in den USA und Großbritannien
sowie mit Abstand im EU-Europa und Japan). Allein die arabischen Kapital-
anlagen werden auf 800 bis 1000 Mrd. $ geschätzt. Hinzu kommen beträcht-
liche Summen aus Iran, der Türkei, Israel und Pakistan. Hier wurde sowohl
direkt in produktiven Wirtschaftsprojekten als auch indirekt in Aktien,
Obligationen und Bankdepositen investiert. Nun wuchs bei Investitions-
entscheidungen nach dem 11. September der Einfluß politischer und psycho-
logischer Faktoren sprunghaft, während sich das Gewicht makroökonomischer
Indikatoren verminderte; politisch-strategische Berater waren gefragter
denn je. Aufgrund der Rückgänge der Aktienindizes in den USA, Europa und
Japan verzeichneten die nahöstlichen Kapitalanleger erhebliche Buchwert-
verluste. Der Morgan Stanly-Index für die Börsen von 24 Industrieländern
zeigte für den Zeitraum 11.-30.9.2001 einen 10,9%igen Wertverlust, wobei
der Rückgang in den USA 16% und in Europa 7% betrug. Entsprechend wurden
die Buchwertverluste für die arabischen Golfstaaten auf 40 Mrd. $ bezif-
fert. Die 125 saudischen Investmentfonds verzeichneten einen 9,7%igen
Verlust ihrer Buchwerte. Zwar haben sich die Kurse danach etwas korri-
giert, von besonderer Bedeutung blieb jedoch die Erschütterung des
Vertrauens in die Stabilität des westlichen Rechtsrahmens für muslimische
Kapitalinvestoren, zumal mit verschärften Diskriminierungen und erneuten
Kursverlusten im Falle einer Ausdehnung des "Krieges gegen den Terroris-
mus" zu rechnen war. Auch die nahöstlichen Direktinvestitionen gerieten
unter Druck und zwar aufgrund der rezessiven Konjunkturentwicklungen im
Westen und der befürchteten Diskriminierung. Ferner ist der enorme Rück-
gang der Zinssätze für Bankdepositen in Dollar, Euro und Yen zu beachten;
Depositen in arabischen Währungen wie z.B. im Ägyptischen Pfund wurden in
dieser Zeit fünfmal so hoch verzinst wie diejenigen in US-$ (zur Über-
windung der konjunkturellen Schwäche verfolgten die westlichen Staaten
eine expansive Politik mit mehrmaligen Zinssenkungen).

Vor diesem Hintergrund gab es Umdispositionen bezüglich der Risiko-
streuung (Diversifizierung der Investmentbereiche) und der geographischen
Verteilung der Kapitalanlagen, und tatsächlich wurden in der ersten Phase
der Krise einige Gelder von den USA (angeblich 20 Mrd. $ pro Tag) in
andere Länder verlagert. Allerdings profitierten die armen Regional-
staaten sehr wenig vom lang ersehnten Rückfluß des Auslandskapitals; die
Gelder wurden in andere westliche Länder (z.B. England) gebracht. Seit
vielen Jahren fordern Fachleute und Politiker im Nahen Osten eine syste-
matische Rückführung des umfangreichen Auslandskapitals; sie sahen im 11.
September eine seltene Gelegenheit. Doch die neuen Push-Faktoren im
Westen (erhöhte Risiken, Diskriminierung, verstärkte Kontrolle, Einfrie-
rungsgefahren, niedrige Gewinnerwartungen) reichten zur Auslösung eines
größeren Rückflusses nicht aus; man bevorzugte das Warten auf Normalisie-
rung der Verhältnisse, um die Verluste zu minimieren. Immerhin bestanden
begründete Hoffnungen, dass zumindest ein größerer Teil der Kapitalüber-
schüsse zukünftig in der Region bleibt und nicht in westliche Länder
abfließt.

2.4 negative Einflüsse auf ausländische Direktinvestitionen (ADI)

Hinsichtlich der ADI, von denen man sich Technologietransfer und Entwick-
lungsimpulse erhofft, blieb die Region des Mittleren Ostens und Nord-
afrikas (MENA) im Vergleich zu anderen Weltregionen lange Zeit vernach-
lässigt. Im Zeitraum 1989-99 entfielen auf die arabische Region nur 2,5%
der ADI in den Entwicklungsländern, verglichen mit einem BIP-Anteil von
8%. Auf der anderen Seite wurden in den letzten Jahren gewisse Erfolge
aufgrund der verstärkten Anstrengungen zur Verbesserung des Investitions-
klimas erzielt. 1996-98 verdoppelten sich die ADI von 3,33 auf 7,15 Mrd.
$, sanken 1999 auf 2,26 Mrd. und stiegen im Jahr 2000 wieder auf 4,6
Mrd.; sie machten damit nur 0,36% der weltweiten ADI aus. Berücksichtigt
man auch die Portfolioinvestitionen, so zeigt sich, dass die externen
Netto-Kapitalzuflüsse im Jahr 2000 um 33% auf 9,7 Mrd. $ anstiegen. Hier
zeigten sich die Effekte der fortgesetzten Reform-, Liberalisierungs- und
Privatisierungsprozesse. Etwa 60% der hereingekommenen ADI waren auf die
Privatisierungsprozesse zurückzuführen, wobei zu beachten war, dass vom $
100 Mrd.-Privatisierungspotential erst 10% erschlossen worden waren. Der
11. September 2001 bedeutete für den ADI-Bereich einen empfindlichen
Rückschlag. Die weltweite Verunsicherung der Investoren traf die MENA-
Region besonders hart, weil arabische und andere islamische Länder im
Mittelpunkt der Debatte über Terrorismus und der neuen amerikanischen
Strategie standen. Die Hoffnungen solcher Länder wie Ägypten, Marokko,
Jordanien und Saudi-Arabien bezüglich einer Steigerung der ADI wurden
enttäuscht. Die USA standen vorher auf der Investorenliste an erster bzw.
zweiter Stelle und waren z.B. in der Golfregion mit über 7 Mrd. $ ver-
treten. Der Rückgang der ADI aus den USA wurde durch EU-Länder und Japan
nicht kompensiert.

2.5 Einflüsse auf Banken und Kapitaltransfer, besondere
Herausforderungen für die islamischen Finanzinstitutionen
und Stiftungen

Im Rahmen ihrer weltweiten Kampagne zur "Austrocknung der Terror-
finanzierungsquellen" schufen die USA eine bedenkliche Atmosphäre von
Verdächtigungen, die den internationalen Kapitaltransfer tangierte und
insbesondere islamische Institutionen in Mitleidenschaft zog. In vielen
Fällen wurde über das Ziel weit hinausgeschossen. Zur Identifizierung und
Einfrierung von verdächtigen Konten und Vermögen wurden Tausende von
Banken und Finanzorganisationen innerhalb und außerhalb der USA in die
Suche einbezogen. Die von den US-Behörden herausgegebenen Terrorlisten
wurden mehrmals geändert und erweitert, wobei viele angegebene Namen
verwechselbar waren. Hier haben nicht nur westliche Staaten mit den USA
kooperiert, sondern auch alle arabischen Staaten, insbesondere die Golf-
staaten, wenn dieser Prozeß Kontroversen (z.B. zwischen den USA und
Saudi-Arabien) begleitet war. Das Ergebnis der siebenmonatigen Suche war
relativ klein: In den USA wurden 104 Mio. $ beschlagnahmt bzw. ein-
gefroren, in Italien nur 4 Mio. $. Das war nicht verwunderlich, weil Bin
Laden und seine Organisation al-Qa'ida vorwiegend Kanäle außerhalb des
Bankensystems benutzten: direkter Geldtransfer, informelle Überweisungen,
Offshore-Konten in Freizonen usw. Die Untersuchung beschränkte sich nicht
etwa auf klar definierte Transaktionen, Firmen und Personen, sondern
bezog sich allgemein auf Tausende von Personen, Unternehmen und Institu-
tionen in islamischen Ländern. Das verursachte natürlich Unruhe und
Verunsicherung und stieß auf rechtliche Bedenken wegen des Fehlens
gerichtsrelevanter Beweise, der Missbrauchsmöglichkeiten, der exterrito-
rialen Anwendung amerikanischer Beschlüsse, der Gefährdung des Bank-
geheimnisses, der Benachteiligung von Konkurrenten und anderer Auswirkun-
gen. In einer Atmosphäre des Generalverdachts und der Kollektivbestrafung
wurden viele muslimische Kunden westlicher Banken benachteiligt. Das
Vertrauen wurde erschüttert. Die in 40 Ländern tätigen islamischen Banken
mit einem Gesamtvermögen von 250 Mrd. $ waren herausgefordert, den
Generalverdacht zu beseitigen, ihre mühsam aufgebaute Geschäftsbasis zu
verteidigen und den fortschrittlichen Charakter ihrer Finanzierungs-
instrumentarien für produktive Projekte zu verdeutlichen. Betroffen waren
auch die zahlreichen islamischen Stiftungen, die religiöse Abgaben
(Zakat, Sadaqat, Spenden) sammeln und in verschiedenen Ländern karitative
und sozialpolitische Aufgaben erfüllen. Sie leisteten wesentliche Bei-
träge zur Linderung der Not in Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Kosovo,
Afrika und anderen Gebieten sowie bei Naturkatastrophen. Die amerikani-
sche Kampagne hat einerseits Spender und Management verunsichert,
andererseits aber als Trotzreaktion eine neue Unterstützungswelle für
ausgewählte Stiftungen in der islamischen Welt ausgelöst. Zakat und
religiöse Spenden gehören zu den Grundpfeilern des Islams und sind eine
bedeutsame traditionelle Grundlage der Sozialpolitik. Diese Stiftungen
und andere Nichtregierungsorganisationen bilden heute in mehreren
islamischen Ländern neben dem staatlichen und privatwirtschaftlichen
Sektor einen wachsenden dritten Sektor. Vor dem Hintergrund der sozialen
Folgen der Öffnungspolitik und der Globalisierung sowie der veränderten
Rolle des Staates haben sich ihre Tätigkeiten enorm ausgeweitet; sie
reichen von Moscheenbau und Schaffung sozialer Einrichtungen über Wasser-
versorgung, Gesundheitspflege, Berufsbildung, Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit und Armut, Sozialhilfe bis hin zu (islamisch orientierter)
Frauenemanzipation, Umweltschutz und Verteidigung der kulturellen Identi-
tät. Es gibt Ansätze für ihre Einbeziehung in die nationalen mehrjährigen
Entwicklungspläne. Ihr Anteil an der Gesamtheit der zivilgesellschaft-
lichen Vereine hat sich z.B. in Ägypten im Zeitraum 1965-2001 von 17 auf
36% erhöht. Zu beachten sind ferner die Aktivitäten größerer islamischer
Stiftungen und Gesellschaften der Golfstaaten, die sich auf den inter-
nationalen humanitären Bereich konzentrieren und durch staatliche
Zuwendungen und private Spenden finanziert werden.

Überhaupt bedeutete die diskriminierende Behandlung von Muslimen in
den USA und einigen europäischen Ländern einen Rückschlag für die
Glaubwürdigkeit der vorher betriebenen westlichen Politik der Förderung
der Bürgerrechte und des Aufbaus von Zivilgesellschaften. Nach Angaben
der Organisation "Cair" gab es im Berichtszeitraum in den USA 1516
Klagen betroffener Muslime wegen Verletzung der Bürgerrechte, Diskri-
minierung und Gewaltanwendung, von denen 525 nicht mit den Terror-
anschlägen zusammenhingen. Es wurden 2250 Muslime direkt angegriffen.
Die Reaktionen westlicher Menschrechtsorganisationen waren ausgesprochen
schwach. Auch konnten arabische Menschenrechtsorganisationen den
betroffenen Menschen kaum helfen. Die erforderliche genaue Definition
von Terror und seine Unterscheidung vom berechtigten Widerstand gegen
eine Besatzungsarmee (Palästina/Israel) wurde im Westen nicht wirksam
thematisiert. Die von der US-Regierung geforderte Kontrolle der Finanz-
mittel bezweckte u.a. auch die finanzielle Austrocknung solcher
Organisationen wie der libanesischen Hizbullah und der palästinensischen
Hamas und al-Jihad al-Islami, die von den USA und Israel als Terror-
organisationen, von der islamischen Welt aber als Widerstandsbewegungen
betrachtet werden. Die vorher viel diskutierten Konzepte der "One World",
der "internationalen Zivilgesellschaft" und der "Demokratisierung durch
Globalisierung" traten plötzlich in den Hintergrund.

2.6 Ölsektor, Versorgungssicherheit und Energiepolitik

Die mit dem 11. September verbundene amerikanische Politik hat viel-
fältige Implikationen für den Welt-Ölmarkt und die Versorgungssicher-
heit der Weltwirtschaft. Da war zunächst die Besorgnis über mögliche
terroristische Anschläge bzw. militärische Angriffe auf Ölanlagen und
die Notwendigkeit eines verstärkten Schutzes. Noch wichtiger waren
die Befürchtungen über die langfristigen Folgen der niedrigen Ölpreise:
Steigerung der Nachfrage bei stagnierendem Angebot, Gefährdung der
langfristigen Versorgungssicherheit, strukturelle Veränderungen des
Weltenergiemarktes durch falsche Perzeptionen. In den USA herrschte
eine Stimmung, die eine rücksichtslose Zerstörung zulässt und die
Nahostregion als "hoffnungslosen Fall" betrachtet. Es wurde argu-
mentiert, die Region solle isoliert, marginalisiert und ignoriert
werden, und da die Ölabhängigkeit einen solchen Kurs undenkbar mache,
solle man die Abhängigkeit vom Nahostöl so weit wie möglich verringern.
So mobilisierte man die Verbraucher in den westlichen Ländern, um
den Ölverbrauch zu senken und ein verstärktes risikoloses politisches
Engagement zugunsten Israels zu ermöglichen (eine Illusion). Es gab
andere aktuelle Gefahren für die westliche Ölversorgung: Das unge-
schickte militärische Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten ent-
fremdete die islamische Welt. Der auf die Regionalstaaten ausgeübte
Druck, sich der "Antiterror-Allianz" anzuschließen vergrößerte
die Kluft zwischen den herrschenden Regimes und ihren muslimischen
Bevölkerungen, was die Gefahr des Ausbruchs von Unruhen und Aufständen
in sich barg. Hier ist auf die neuartige Entwicklung der saudisch-
amerikanischen Beziehungen hinzuweisen. Saudi-Arabien fungierte seit
1985 im Interesse der USA und ihrer Verbündeten als Bollwerk für
Stabilisierung des Ölmarktes und der Ölpreise auf niedrigem Niveau.
Nach dem 11. September fällt es der Königsfamilie schwer, sich mit
der amerikanischen Politik zu identifizieren; der Spagat zwischen
der Solidarität mit den USA und der Berücksichtigung der Stimmung der
eigenen Bevölkerung wurde immer schwieriger. Die Ölexportländer werden
solchen Entwicklungen nicht tatenlos zusehen; es können sich feind-
selige Einstellungen entwickeln. Politiken, die darauf abzielen,
die Ölverwendung kontinuierlich zu senken, unterminieren die Logik
moderater Ölpreise und eines adäquaten Stellenwerts des Öls in der
internationalen Energiedeckungsbilanz. Wenn sich die westliche Politik
gegenüber der arabisch-islamischen Welt nicht grundlegend ändert,
wird sich der Konflikt zwischen Ölproduzenten und -verbrauchern
verschärfen und zu größerer Instabilität des Weltölmarktes führen.

Grundsätzlich besteht auch die Gefahr eines wirksamen Einsatzes der
arabischen "Ölwaffe" angesichts des brutalen Vorgehens der israelischen
Armee gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten. Zwar sind
hinsichtlich der Wirksamkeit eines Ölembargos heute (im Vergleich zu
1973) solche neue Realitäten wie höhere Flexibilität des Marktes und
das Vorhandensein höherer strategischer Vorräte zu berücksichtigen,
eine eventuelle 50%ige Drosselung des arabischen Ölexports von 15
auf 7,5 Mio. b/d würde trotzdem nicht voll kompensiert werden können
und könnte zu einer Verdopplung der Ölpreise führen. Ferner sind die
voraussichtlichen Auswirkungen des angedrohten amerikanischen Militär-
schlages auf den Ölmarkt zu beachten. In einem solchen Krieg würden
höchstwahrscheinlich vitale Öleinrichtungen in der Golfregion und im
Irak zerstört werden; Tankergesellschaften würden kaum ihre Schiffe
in die Kriegszone schicken.

Ein anderer zu beachtender Bereich sind die Konsequenzen des laufenden
Machtkampfes in der kaspisch-zentralasiatischen Region, deren Energie-
potential das der Nordsee übertrifft und nach der Golfregion das größte
Wachstumspotential für Öl- und Gasproduktion darstellt. Hier versuchten
die USA, ihre Ölunternehmen zu unterstützen, die Pipeline-Infrastruktur
in verschiedene Richtungen zu beeinflussen, die Türkei zu begünstigen
und Iran auszuklammern, wobei sie einen begrenzten Erfolg erzielen
konnten. Sie übten Einfluß auf die Verteilung der Rechte in umstrittenen
Gebieten. So kam z.B. die amerikanische Unterstützung des Aufbaus der
aserbaidschanischen Marine nach dem Vorfall im Juli 2001, als iranische
Kriegsschiffe ein aserbaidschanisches Ölforschungsschiff zum Rückzug
aus dem Konzessionsgebiet Alov-Araz-Sharg zwangen, das innerhalb des von
Iran beanspruchten 20%igen Anteils am Kaspischen Meer liegt. Die Ende
2001 erfolgte Aufhebung der Begrenzung der Wirtschafts- und Militärhilfe
für Aserbaidschan durch den US-Kongreß kam in einer Zeit, da die
Ingenieurarbeiten für die projektierte Ölleitung Baku-Tbilisi-Ceyhan
sowie die Baupläne für die Gasleitung Aserbaidschan-Türkei fast fertig-
gestellt waren. Generell hat die verstärkte amerikanische Präsenz in
Afghanistan und Zentralasien die ohnehin schwierigen Grenzprobleme
in der Region weiter kompliziert. Die Anrainerstaaten des Kaspischen
Meers (Russland, Iran, Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan)
konnten sich über einen neuen rechtlichen Status dieses Meeres nicht
einigen, was die Durchführung anspruchsvoller Projekte zur Erschließung
des Öl- und Gaspotentials behindert. Aserbaidschan profitierte von der
amerikanischen Unterstützung hinsichtlich westlicher Ölinvestitionen
und der Verstärkung seiner politischen Position auf Kosten Irans. Die
neuen unabhängigen Republiken Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan
bilden in mancher Hinsicht eine Herausforderung für die traditionellen
Mächte Russland und Iran; Das hier entdeckte Öl und Gas wird in Märkten
konkurrieren, in denen Russland und Iran massive Interessen haben.
Russland verbuchte hinsichtlich des Öl- und Gastransports Punktgewinne;
es erlaubte den Transport turkmenischen Erdgases via russisches Gebiet
nach Europa, erzielte Transitgebühren und verstärkte seine Stellung als
Hauptgaslieferant nach Europa. Es wurde sowohl für Europa als auch für
die südkaukasischen Staaten als Energielieferant und Wirtschaftspartner
attraktiver. Die russische Ölgesellschaft, die auch im Irak umfangreiche
Joint-ventures vereinbart hat, entwickelt sich zu einem global player.
Was die konkurrierenden Interessen der Türkei und Irans betrifft, so
ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die USA die Türkei unterstützten
und die iranischen Bestrebungen durch Sanktionen zu behindern suchten.
Aber weder die Türkei noch Iran konnten bei der angestrebten infra-
strukturellen Vernetzung mit Zentralasien wesentliche Erfolge erzielen.
Iran fürchtet eine politische Erpressung aufgrund seiner Umzingelung
durch amerikanische Militärstützpunkte in den Nachbarländern. Europa
wird zukünftig der wichtigste Absatzmarkt für Öl und Gas aus dem
kaspisch-zentralasiatischen Raum sein und hat entsprechende Interessen;
seine Unternehmen sind an der Erschließung der Öl- und Gasfelder
beteiligt. Die EU hat zwar mit allen Regionalstaaten Kooperationsab-
kommen unterzeichnet und unterstützt den Aufbau einer länderüber-
greifenden Infrastruktur, verhält sich jedoch nicht als eine Macht
mit geopolitischen Interessen. Sie hat sich hinsichtlich des Verlaufs
projektierter Pipelines neutral verhalten, obwohl sie mehr als andere
Mächte daran interessiert ist, dass die Versorgungslinien nach Europa
führen. Zwar wurde die Europäische Energiecharta initiiert, eine
gemeinschaftliche Energieversorgungsstrategie konnte jedoch bisher
aufgrund strittiger Kompetenzverteilung nicht entwickelt werden. Eine
solche Strategie könnte dazu beitragen, die Pipelineführung zum Schwarzen
Meer zweckmäßig zu gestalten, bestimmte osteuropäische Häfen anzubinden
und den südkaspischen Raum (Turkmenistan, Iran, Aserbaidschan) durch eine
Gasleitung via Türkei an das mitteleuropäische Netz anzuschließen. Damit
könnten die im EU-Grünbuch beschriebene Versorgungslücke geschlossen und
ein gesamteuropäischer Wettbewerbsmarkt entwickelt werden.

Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass die bestehende politische
Instabilität in Afghanistan und den zentralasiatischen Republiken die
Erschließung der Energieressourcen, den Transport und die Überwindung der
Unterentwicklung behindert. Die Tatsache, dass die Lage in Afghanistan
noch nicht geklärt ist und dass repressive Regimes in Zentralasien die
Unterstützung der USA als carte blanche für Unterdrückung der Opposition
betrachten, kann die Region weiter destabilisieren. Erforderlich ist
nicht die Fortsetzung des Machtkampfes auf der Basis egoistischer
nationaler Interessen, sondern eine gesamtregionale Strategie mit lang-
fristigen Aufbauprogrammen und Verpflichtungen.

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3. Änderung der amerikanischen Sanktionspolitik
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Im Zusammenhang mit dem 11. September gab es einen Paradigmenwechsel in
der amerikanischen Sanktionspolitik angesichts der höheren Priorität des
"total war on terrorism" und der Bildung entsprechender Bündnisse. Die
Wirtschaftssanktionen sind nicht mehr eine bloße außenpolitische Straf-
maßnahme; ihre Verschärfung bzw. Aufhebung dient nunmehr der Bildung
nützlicher Bündnisse und dem Kampf gegen die Feinde Amerikas. Insbeson-
dere ihre Aufhebung fungiert als Lockmittel. So wurden z.B. die Sanktio-
nen gegen Pakistan und Indien am 23.9.2002 aufgehoben, weil das "im
nationalen Interesse der USA" liege. Der US-Präsident ließ sich vom
Kongreß ermächtigen, alle bestehenden Restriktionen der Militär- und
Wirtschaftshilfe für die kommenden fünf Jahre aufzuheben, wenn das
betroffene Land (z.B. Syrien, Iran oder China) seine Position ändere und
nunmehr die amerikanische Politik unterstütze. Die neuen Bündnisse müssen
nicht unbedingt dauerhaft sein, sie sind auf bestimmte (gegebenenfalls
befristete) Ziele ausgerichtet. Dabei sind die Verbindungen des betrof-
fenen Landes zu Bin Laden und seiner Organisation al-Qa'ida nicht der
alleinige Maßstab. Viele Anhänger von Bin Laden und al-Qa'ida kommen aus
Saudi-Arabien, Kuwait, Ägypten, Jordanien und Pakistan; trotzdem blieben
diese Regimes Verbündete der USA. Demgegenüber wurde die Kampagne gegen
den Irak verstärkt, obwohl seine Regierung nach offiziellen amerikani-
schen Erklärungen mit dem 11. September und den Terrororganisationen
nichts zu tun hat. Der von Washington angestrebte gewaltsame Regime-
wechsel im Irak ist darauf zurückzuführen, dass der irakische Präsident
Saddam Husain amerikanische und britische Ölinteressen 1972 nationali-
siert hatte und gegen amerikanisch-israelische Hegemonialansprüche im
Nahen agiert.

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4. Wirtschaftspolitische Reaktionen der Regionalstaaten
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Angesichts der unmittelbaren Folgen des 11. September und der damit
verbundenen amerikanischen Politik, der Eskalierung des israelisch-
arabischen Konflikts und der möglichen Ausdehnung des "Antiterrorkriegs"
auf bestimmte Länder (Irak, Syrien, Somalia, Sudan, Jemen) ergriffen die
Regionalstaaten verschiedene Maßnahmen zum Schutz ihrer Binnen- und
Außenwirtschaft. Dazu gehörten:

(a) Verfolgung einer restriktiven Haushaltspolitik und Kalkulation
der Einnahmen und der Entwicklungspläne unter Zugrundelegung
niedriger Ölpreise,

(b) verstärkter Schutz solcher vitaler Einrichtungen wie Kraftwerke,
Ölfelder, Pipelines, Raffinerien, Häfen, Flughäfen und Industriezonen
vor terroristischen Anschlägen und ausländischen militärischen
Angriffen,

(c) Sicherung des Imports strategischer Güter zwecks Vermeidung
gefährlicher Engpässe und Drosselung der Einfuhr von Luxusgütern,

(d) Verbesserung der Börsen- und Bankenaufsicht einschließlich der
Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen und der Bekämpfung
von Devisenspekulationen und Geldwäsche,

(e) Unterstützung der betroffenen Flug- und Versicherungsgesellschaften,

(f) Förderung des intraregionalen Handels und Tourismus,

(g) Versuche zur Schaffung geeigneter Beschäftigungsmöglichkeiten
für die aus den USA und anderen westlichen Ländern zurückgekehrten
Studenten, Arbeitnehmern und anderen Bürgern,

(h) Modifizierung der politischen und außenwirtschaftlichen
Beziehungen zu den wichtigsten ausländischen Mächten im
Lichte ihrer Positionen in den aktuellen Konflikten und
ihrer Politik gegenüber der islamischen Welt, was u.a. eine
Verstärkung der Beziehungen zu China und Russland bedeutete.

Der Irak, Ägypten und Libyen unternahmen konkrete Schritte zur Ausweitung
ihrer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China. Eine beson-
dere Herausforderung war die Konzipierung einer langfristigen Strategie
gegenüber den USA. Auf der Ebene der arabischen Bevölkerung (Zivil-
gesellschaft) gab es Aufrufe zum Boykott amerikanischer und israelischer
Produkte, die sich auf andere islamische Länder auszudehnen drohten. Der
amerikanische Export in den arabischen Raum betrug 2001 rund 17,2 Mrd. $,
davon 80% nach Saudi-Arabien, Ägypten und VAE, und gerade in diesen drei
Ländern waren die Boykottaufrufe am stärksten und wirksamsten. Die
arabischen Staaten beschlossen auch offiziell, ihren Handelsboykott gegen
Israel und die USA selektiv zu beleben. So könnte sich der 15%ige
amerikanische Anteil am gesamtarabischen Import tendenziell zugunsten der
EU-Länder und anderer Exporteure verringern. Das alles sollte allerdings
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierungen Ägyptens, Saudi-
Arabiens, Marokkos und Jordaniens trotz des Drucks ihrer Bevölkerungen an
ihrem strategischen Verhältnis zu Washington festhielten.

Aziz Alkazaz

http://home.arcor.de/m.gscheidlen/2002/Januar/020131GI.007
http://www.uruklink.net/iraqnews/ereport17.htm

http://www.beepworld.de/members3/kwp/folgen_11_9.htm

Claudia