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Wahlen in der arabischen Welt #23269
19/12/2005 19:02
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taslema Offline OP
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Schlechte Nachricht: In der arabischen Welt bleibt alles beim alten. Vier Jahre lang haben sich die verknöcherten Despoten der Region bemüht, ihre Regime demokratisch aufzuhübschen - nicht aus Überzeugung, sondern unter äußerem Druck. Neuerdings aber geben sie sich wieder ganz unbeschwert. Auf dem "Zukunftsforum" für Demokratie in Bahrein gebärdeten sich die arabischen Staatschefs so störrisch wie in alten Tagen, zum Mittelmeer-Gipfel der EU hielt es keiner für nötig, in Barcelona zu erscheinen. In Syrien baut sich Präsident Assad als arabischer Fels gegen den amerikanischen Hegemon auf, und nun hat sich auch Ägypten bei den Parlamentswahlen wieder Stillstand verordnet.


Bereits nach zwei von drei Wahlrunden gilt den autokratischen Regimen der Region das ägyptische Demokratie-Experiment als gescheitert. In der ersten Runde hatte der Staatsapparat die oppositionellen Muslimbrüder, die im alten Parlament drei Prozent der Abgeordneten stellten, noch großzügig gewähren lassen, und so gewannen sie ein Viertel der Sitze. In der zweiten Runde setzte er alle Mittel des Polizeistaats gegen sie ein - und konnte dennoch nicht verhindern, daß sie wieder ein Viertel der Mandate errangen. Für die arabischen Regime, die alle Opposition bisher stets mit Repression in Schach gehalten haben, lautete die erste Lektion der Wahlen: Ohne Fesseln ist die Opposition nicht mehr zu bändigen. Eine Gefahr, und das ist die zweite Lektion, bleibt sie aber auch bei der Rückkehr zur Repression.

Diese Erfahrung dürfte - wie alles, was in Ägypten geschieht - auf die ganze arabische Welt ausstrahlen. Nicht zufällig trat der politische Islam mit den 1928 gegründeten Muslimbrüdern von hier aus seinen Siegeszug an. Bis heute zehrt die arabische Kultur von der kurzen liberalen Epoche Ägyptens vor dem Zweiten Weltkrieg. Nassers Herrschaftssystem einer Militärbürokratie fand Nachahmer in allen großen arabischen Staaten. Ein demokratischer Durchbruch in Ägypten bliebe auch heute nicht ohne Folgen.

Eine bittere Erkenntnis bringt die Wahl auch für den Westen. Offenbar hat sich arabische Politik auf eine Alternative reduziert: auf die Wahl zwischen einem verbrauchten Regime und den Propagandisten des "Gottesstaats". Die regierende Nationaldemokratische Partei von Staatspräsident Mubarak führte den Wahlkampf mit dem Slogan "Neues Denken" - ein Hohn für eine Staatspartei, die ihre Mehrheit nur noch mit Stimmenkauf, Schlagstöcken und Verhaftungen verteidigen kann. Der Herausforderung durch die Muslimbrüder steht sie hilflos gegenüber. Das ist nicht zuletzt die Quittung dafür, daß sie die Entstehung einer säkularen Alternative hintertrieben hat.

Die Muslimbrüder hingegen werben mit der Losung: "Der Islam ist die Lösung." Wie dieser Islam an der Macht aussehen und wie mit den Nichtmuslimen verfahren würde, lassen sie offen. Für einen erheblichen Teil jenes Viertels der Wähler, die die Wahlen nicht boykottiert haben, waren sie dennoch attraktiv: Ihr Netz von Sozialleistungen funktioniert besser als das des Staats, und sie präsentieren sich auch den Protestwählern, die der Machenschaften einer verfilzten Elite überdrüssig sind, als glaubwürdige Adresse.

Stark sind die Muslimbrüder auch in anderen Ländern - in Syrien, Jordanien, Tunesien und bei den arabischen Sunniten des Iraks. Meist sind sie verboten, werden aber geduldet. Gemeinsam mit der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hizbullah bilden sie den Kern der mehr oder minder gemäßigten Islamisten. In der arabischen Welt genießt wahrscheinlich keine andere Ideologie mehr Sympathie als ihr politischer Islam. An die Macht drängen sie nicht mit brachialer Gewalt, sondern über demokratische Wahlen. Wo immer freie Wahlen stattfinden, schneiden sie gut ab.

Ideologische Konkurrenz haben die Muslimbrüder kaum. Assads panarabischer, antiwestlicher Trotz mobilisiert noch immer Massen. Zahlenmäßig klein bleiben indessen die einheimischen arabischen Demokraten und Bürgerrechtler, die die Stagnation ihrer Länder mit der Schaffung eines Rechtsstaats, der Erweiterung politischer Mitwirkungsmöglichkeiten und der Beendigung der Kleptokratie aufbrechen wollen. Der Westen steht damit vor einem Dilemma: Fordert er demokratische Wahlen, kann er siegreiche Islamisten nicht länger ignorieren. Setzt er indessen weiter auf die Autokraten und ihre korrupten Regime, treibt er nur weitere Wähler in die Arme der Islamisten. Mindestens eines der großen säkularen Länder der arabischen Welt müßte sich erfolgreich von innen reformieren. Nur davon könnte eine Signalwirkung auf alle anderen ausgehen.

Der islamistischen Herausforderung steht der Westen ebenso hilflos gegenüber wie Mubaraks Staatsapparat. Noch ist die Begeisterung für die Idee, den Terrorismus durch Demokratisierung des Nahen Ostens zu bekämpfen, in Washington nicht ganz erloschen. Doch selbst wenn Präsident Bush nicht in ein Popularitätstief gestürzt wäre, würde er sie wohl nicht mehr mit dem gleichen Furor weiterverfolgen. Schon der Aufstieg schiitischer Islamisten im Irak hat Bushs Demokratisierungseifer gedämpft. Den entscheidenden Wendepunkt in der Forderung nach mehr Demokratie dürfte die unerwartete Wahl des Radikalen Ahmadineschad zum iranischen Staatspräsidenten gebracht haben. In den arabischen Hauptstädten hat es sich schnell herumgesprochen, daß die Umgestaltung der arabischen Welt in Washington nicht länger oberste Priorität hat. Dort wird sich freilich ohne wohldosierten Druck von außen - und der kann nur aus Washington oder von der EU kommen - wenig ändern.

Re: Wahlen in der arabischen Welt #23270
19/12/2005 19:11
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Licht ins Dunkel der Repression Die marokkanische Wahrheitskommission legt ihren Bericht über die Repression unter dem verstorbenen König Hassan II. vor. Menschenrechtlern geht er nicht weit genug
MADRID taz Marokko arbeitet seine dunkelsten Jahre auf. Die "Instanz für Fairness und Aussöhnung" (IER) veröffentlichte am Wochenende eine erste Zusammenfassung des Abschlussberichts ihrer Arbeit. Das Dokument beschäftigt sich mit den "bleiernen Jahren", die Periode, in der Hassan II., der Vater des jetzigen Königs Mohammed VI., sein Land mit harter Hand regierte. 592 Menschen kamen laut IER zwischen 1959 und 1999 ums Leben, über 600 verschwanden spurlos in Gewahrsam der Geheimdienste, Armee oder Polizei.

16.861 Dossiers füllen die IER-Akten. In 9.779 Fällen wurde bisher eine Entschädigung genehmigt. Mit Hilfe der Informationen aus den Anhörungen ehemaliger Gefangener und Zeugen wurden die Leichen von 663 Menschen gefunden , die bisher als verschwunden galten. Den jüngsten Fund machte die erste und bisher einzige Wahrheitskommission in der arabischen Welt auf einem Fußballplatz in Casablanca. Ein ehemaliger Spieler soll die IER auf die Spur von 81 Leichen gebracht haben, alles Opfer der Repression gegen soziale Unruhen im Juni 1981. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei waren die Folge eines Generalstreiks, zu dem alle großen Gewerkschaften aufgerufen hatten. 66 Menschen seien dabei ums Leben gekommen, lauteten die offiziellen Angaben. Die Gewerkschaften gehen von hunderten aus. Die Funde dürften letztere Version bestätigen.

Vor wenigen Wochen wurden an einer anderen Stelle bereits 31 Tote gefunden. Auch in Fes fanden die Menschenrechtler zwei Massengräber mit den sterblichen Überresten von 106 Menschen. "Die Opfer stammen von einer Demonstration am 14. und 15. Dezember 1990", heißt es in einem Kommuniqué der IER. Auch damals hatten die Gewerkschaften gegen die schlechten Lebensbedingungen mobilisiert.

Abgesehen von den Opfern der Repression bei sozialen Protesten geht die IER auch einem der bestgehüteten Staatsgeheimnisse auf den Grund. Erstmals wurden auf dem Gelände des einstigen Geheimgefängnisses Tazmamart Exhumierungen durchgeführt. Mit Hilfe der Aussagen von Überlebenden und ehemaligen Wärtern konnten dieser Tage 32 Tote geborgen werden. Nach Tazmamart im Atlasgebirge, 450 Kilometer von der Hauptstadt Rabat entfernt, wurden Militärs verbracht, die 1971 und 1972 versucht hatten, König Hassan II. zu stürzen. "Sie ließen uns ein Loch (in der Wand der winzigen unterirdischen Zellen, d. Red.), gerade groß genug, um atmen zu können, damit wir lange genug lebten und genügend Nächte hatten, um die Verfehlung zu sühnen", erzählt ein Überlebender im Buch "Das Schweigen des Lichts", in dem der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun die Erinnerungen von Repressionsopfern zusammengetragen hat.

Die 17-köpfige IER wurde 2003 von König Mohammed VI. ins Leben gerufen, um "die Wahrheit über die schweren Menschenrechtsverletzungen herauszufinden". Ab Dezember 2004 hörte die Kommission ehemalige Repressionsopfer an. Fernsehen und Radio berichteten live über die Anhörungen. Der Abschlussbericht der IER wurde bereits Ende November dem König vorgelegt. Dieser "befahl" jedoch erst jetzt seine Veröffentlichung. "Die Verantwortung des Staates bei den Menschenrechtsverletzungen ist geklärt und durch nichts zu entschuldigen", erklärte IER-Präsident Benzekri, der selbst 17 Jahre Haft als politischer Gefangener verbüßte, als er jetzt in Rabat den Bericht vorstellte. Die Konsolidierung des Rechtsstaats "verlangt nach Reformen im Sicherheitsbereich, in der Justiz, Gesetzgebung und Haftpolitik". Außerdem fordert die Kommission ein Ende der Straffreiheit für die Täter.

Die IER durfte zwar die Geschichte der "bleiernen Jahre" aufarbeiten, ohne aber die Täter beim Namen zu nennen oder gar vor Gericht zu bringen. Während die Regierung den Bericht begrüßt und den "festen Willen" des Königs lobt, die Missstände aufzuarbeiten, kommt von der Marokkanischen Menschenrechts-Assoziation (AMDH) Kritik. "Die IER hat weniger als die Hälfte dessen geleistet, was wir von ihr erwarten", erklärt der AMDH-Sprecher und ehemalige politische Gefangene Mohammed El-Boukili. Die Opferzahlen seien viel zu niedrig gegriffen. "Es sind weit mehr als 600 Menschen verschwunden, und die Bilanz der Repression in Casablanca und Fes beläuft sich auf weit über 1.000 Tote." Die gerichtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen stehe aus. Auch die Polisario, die Befreiungsbewegung in der von Marokko besetzten Westsahara, beklagt sich. Die 500 Verschwundenen seien nicht alle in den Bericht aufgenommen worden.

19.12.2005, Seite 14, 156 Zeilen