Religion

In der Regel sind alle Söhne beschnitten, ob in Tunesien oder im Ausland lebend. Gründe hierfür sind die Religion, Hygiene, aber auch der Druck der tunesischen Familie, da sich die (Nicht-)Beschneidung nur schwer verheimlichen lässt. Evtl. Ausnahmen sind Kinder, deren Eltern getrennt sind oder uneheliche Kinder, die von ihrem Vater nicht offiziell anerkannt werden.

Trotz der Beschneidung sind einige Kinder auf einen christlichen Namen getauft, oder haben zumindest einen christlichen / europäischen Zweitnamen. Ihre Eltern möchten ihnen die Wahl der Religion selbst überlassen; in manchen Familien lernen die Kinder somit beide Glaubensrichtungen kennen, bis sie alt genug sind, sich zu entscheiden. Einige lassen sich auch als Jugendliche oder junge Erwachsene taufen.

In den meisten Fällen stellt sich die Frage der Religionswahl jedoch nicht: formal sind alle Kinder von Muslimen selbst Muslime. Je nach Religiosität des Vaters werden sie nicht, moderat oder streng muslimisch erzogen. Neben Familien, in denen die Kinder keine Religion vermittelt bekommen, zeichnet sich unter den in Europa lebenden Familien eine ‚moderate’ Erziehung aus: die Kinder lernen weder Koran noch müssen sie im Ramadan fasten, wichtig sind dem Vater dagegen der persönliche Glaube an Gott und das Tischgebet („bismillah“ – im Namen Gottes). In Tunesien werden die Kinder meist nicht (siehe Vater A) oder streng (siehe Vater B) religiös erzogen. Letzteren werden, wenn sie in der Schule keinen Religionsunterricht bekommen, von ihrem Vater Koranverse beigebracht. Der Besuch von Koranschulen (Kottab) ist hingegen sowohl in Tunesien als auch in Europa selten. In vielen Familien ist es üblich, dass die erwachsenen Kinder im Ramadan fasten; dies kann jedoch weniger mit dem Glauben als mit dem Druck der Gesellschaft und dem Ansehen der Familie verbunden sein.

Die meisten Kinder glauben an Gott; einige von ihnen bezeichnen sich als Muslime, viele jedoch schlicht als „gläubig“, wobei sie sich keiner Religion zugehörig fühlen. Die in Europa aufgewachsenen Kinder sind religiöser als jene, die in Tunesien leben, bzw. gelebt haben. Dies lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass die in Tunesien lebenden Väter häufig entweder selbst keine Religion ausüben (Vater A), oder besonders streng zu ihren Kindern sind, was wiederum zu Ablehnung führt (Vater B). Wenn sich die Kinder als Folge des Zwangs gegen die Islam auflehnen, oder wenn ihnen das Christentum durch den Schulbesuch vertrauter ist, kann es passieren dass sie sich mehr vom Christentum angezogen fühlen. Meist behalten sie ihre Gefühle jedoch aus Angst vor dem Vater für sich.

Einige Mütter bestehen darauf, ihre Kinder christlich zu erziehen. In einigen Fällen sind die Väter anfangs damit einverstanden, ändern jedoch im Laufe der Jahre ihre Meinung. Meinungsverschiedenheiten zur religiösen Erziehung der Kinder gehören zu den wichtigsten Konflikten deutsch-tunesischer Ehen.