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Zur Situation der Medien in Tunesien (Deutsch) #151814
11/12/2005 13:10
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Claudia Poser-Ben Kahla Offline OP
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Medien in TunesienDie Kehrseite des Paradises
„Ihr habt keine Rechte hier, aber Willkommen in Tunesien." Mit diesen Worten hat ein tunesischer Polizist in Zivil eine Delegation von Reporter ohne Grenzen im Juni in Tunis davon abgehalten, an einer öffentlichen Anhörung im Gericht teilzunehmen. Dieser Satz zeigt, wie paradox die Situation in Tunesien ist: Mit dem Tourismus als inzwischen wichtigste Einnahmequelle ist das Mittelmeerland auf ein positives Image angewiesen. Zwar hat Tunesien alle intentionalen Vereinbarungen zur Wahrung der Menschenrechte unterzeichnet, doch bietet sich hinter der schönen Fassade aus Meer, Stränden und Märkten ein erschreckendes Bild: Grundlegende Menschenrechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit sowie eine pluralistische Demokratie existieren nicht.

Präsident Ben Ali hat seit seiner Machtübernahme im November 1987 eine Propagandamaschine par exellence aufgebaut: Schlagzeilen sind immer die Tätigkeiten der Regierung. Kritische Journalisten werden mundtot gemacht; die „Schere im Kopf“ hat sich bei vielen etabliert. Hunderte Webseiten sind gesperrt, Journalisten und Internetnutzer sind hinter Gittern. Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen ist es daher völlig unverständlich, wie die Vereinten Nationen einen Gipfel, der der dem Austausch von freier Meinung und Information diesen soll, in einem Land stattfindet, das zu den weltweit repressivsten zählt und auf der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen zur weltweiten Situation der Pressefreiheit Rang 147 von 167 einnimmt.

Die Medienlandschaft in Tunesien ist stark dezimiert: Neben den vorwiegend von der Regierung finanzierten Tageszeitungen La Presse (franz.) und Essahafa (arabisch) gibt ein Dutzend weiterer regierungsnaher Tages- und Wochenzeitungen. In den Schlagzeilen sind so gut wie immer Ben Ali und Regierungsmitglieder zu finden. Zwei landesweit erscheinende oppositionelle Publikationen - die monatliche Attariq aljadid sowie die Wochenzeitung Al-Maoukif - nehmen zwar einen überraschend unabhängigen Blickwinkel ein. Doch die Zeitungen, die von der Regierung anerkannten politischen Parteien gehören, haben mit ihrer geringen Auflage von 3.000 bzw. 5.000 Stück einen sehr geringen Einfluss, verglichen mit den 55.000 Exemplaren, die täglich von La Presse erscheinen.

„Die Regierung würde uns gerne schließen – aber auf der anderen Seite nutzt sie uns als Feigenblatt für eine freie Presselandschaft in Tunesien. Jegliches Vorgehen gegen uns würde den internationalen Ruf schädigen“, sagt Rashid Kashana, Chefredakteur von Al-Maoukif.

Auch die audiovisuellen Medien sind so gut wie komplett unter staatlicher Kontrolle. Radio (mehrere landesweite Sender) und Fernsehen (C**** 7 und C**** 21) unterstehen der Regierung von Ben Ali und senden vor allem staatliche Propaganda.
Der einzige private TV-Sender ist Hanibal TV. Doch hier empfängt der Zuschauer keine Nachrichten sondern Unterhaltungsprogramme, Komödien und Koch-Programme. Mit Mosaique FM existiert ein offiziell unabhängiger Radiosender, der neben Musik auch Nachrichten bringt. Doch er ist - auch nach eigenen Angaben - sehr regierungsnah.


Neugründung von Publikationen: Zensur mittels Quittung

Offiziell hat zwar jeder das Recht, eine Publikation in Tunesien herauszugeben. Es ist keine Zulassung notwendig; lediglich eine „einfache“ Registrierung im Innenministerium, für die es dann eine Quittung gibt. In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus: Der Beleg wir oft nicht ausgehändigt, und ohne ihn darf etwa eine Druckerei nicht drucken. So hat die tunesische Menschenrechtlerin und Journalistin Sihem Bensedrine seit 1999 dreimal vergeblich versucht, ihre Zeitschrift Kalima zu registrieren. Mittlerweile veröffentlicht sie sie vom Ausland aus im Internet. Der frühere Universitäts-Professor und Regierungskritiker Mohammad Talbi wartet schon seit 1989. Ohne Beziehungen zu hochrangigen Politikern ist es offensichtlich nicht möglich, eine Publikation neu zugründen; auch nicht zu Architektur-, Kultur- oder Technologiethemen. Auch der international anerkannte Tunesische Journalistenverband mit 160 Mitgliedern darf in Tunesien nicht offiziell tätig sein.


Journalisten hinter Gittern
Das Pressegesetz erlaubt Haftstrafen von ein bis drei Jahren für die Verleumdung von u.a. Behörden- und Regierungsmitgliedern, von fünf Jahren, wenn der Präsident, und von sechs Monaten wenn eine Privatperson verleumdet wird.
Zwar heißt es offiziell, dass seit 1987 kein Journalist wegen seiner Arbeit verhaftet wurde, doch ergaben die Recherchen von Reporter ohne Grenzen: Mindestens sechs Journalisten sind in den vergangenen Jahren verhaftet und wegen „Diffamierung" und dem „Verbreiten falscher Nachrichten" verurteilt worden. Derzeit ist mit Hamadi Jebali, Herausgeber der Wochenzeitung Al-Fajr, noch ein Journalist hinter Gittern. Er ist 1991 wegen „Diffamierung" und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" verurteilt worden und kommt voraussichtlich 2008 frei. Der Rechtsanwalt Mohammad Abou ist für mehrere Jahre im Gefängnis, u.a., weil er auf der Website Tunisnews die Folter von Gefangenen in Tunesien mit den Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib verglichen hat.

Zensur betrifft weniger die nationale Presse, denn die sind ohnehin unter staatlicher Kontrolle, sondern vielmehr die ausländische: Zahllose französische, europäische und arabische Publikationen dürfen nicht in Tunesien erscheinen. So werden Lieferungen von Le Monde und Libération immer wieder an der Grenze zurückgehalten oder mit Tagen Verspätung ausgeliefert. Offiziell jedoch heißt es: „Seit dem 7. November 1987 ist keine Zeitung und kein Magazin am Erscheinen gehindert worden.“

Auch der das Bild Tunesien außerhalb der Landesgrenzen wird kontrolliert: Die Tunesische Agentur für Außenkommunikation überwacht und koordiniert alle Anfragen ausländischer Journalisten, auch zu Themen wie Wissenschaft, Kultur und Soziales.

Ebenso ist das Internet, von Ben Ali nicht erst anlässlich des Weltinformationsgipfels als wichtiges Medium anerkannt, ist in Tunesien nicht frei von Kontrolle. Zahlreiche Webseiten, etwa von Menschenrechtsgruppen und politischen Parteien, die nicht offiziell anerkannt sind, können in Tunesien nicht aufgerufen werden. Fünf junge Internetnutzer erhielten für den Besuch verbotener Webseiten bis zu 13 Jahren Haft. Und Sihem Bensedrine ist u.a. wegen ihrer journalistischen und Menschenrechtsarbeit im Internet mehrfach in Zeitungen diffamiert, auf offener Straße angegriffen, inhaftiert und misshandelt worden.

Reporter ohne Grenzen hat aus all diesen Gründen die Vereinten Nationen bereits im Juli aufgefordert, das Vorgehen Ben Alis zu verurteilen, um so einige positive Maßnahmen im Vorfeld des Gipfels zu erwirken. Bisher ist nichts dergleichen geschehen.

Infos aus Nr. 181

Claudia Poser

Re: Zur Situation der Medien in Tunesien (Deutsch) #151815
13/12/2005 22:40
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Claudia Poser-Ben Kahla Offline OP
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Dies sind Infos aus dem Newsletter Nr. 181

Claudia