UN-Internetgipfel im Zensurland Tunesien
Von: futurezone.orf.at
Datum: Thu, 27 Oct 2005 23:58:21 +0200
Betreff: UN-Internetgipfel im Zensurland Tunesien
UN-Internetgipfel im Zensurland Tunesien
Der Weltinformationsgipfel zum freien Austausch von Meinungen findet in Tunesien statt, wo Websites blockiert und Online-Oppositionelle verurteilt werden.
Passend wie selten sei der Bock zum Gärtner gemacht worden, bemängeln Menschenrechtler: Ausgerechnet in Tunesien richten die Vereinten Nationen im November den Weltinformationsgipfel [WSIS] aus, der den freien Austausch von Meinung und Information vor allem auch im Internet fördern soll.
Den nordafrikanischen Staat, von Präsident Zine el Abidine Ben Ali mit straffster Hand geführt, stufen die "Reporter ohne Grenzen" als denkbar ungeeignet ein, die Plattform für Menschenrechte und Medienfreiheit zu sein. Blockierte Websites, verurteilte "Cyber-Oppositionelle", Zensur, politische Gefangene und auch mögliche Fälle von Folter - all das wird Tunesien vorgeworfen.
Ben Ali ist Internet-Freak
Im Touristenparadies regelmäßig mit unglaublichen Spitzenergebnissen im Amt bestätigt, ist Ben Ali selbst ein bekannter Internet-Freak. Er hat den zweiten WSIS für den 16. bis 18. November nach Tunis geholt, um sein wirtschaftlich und technologisch modernisiertes Land glänzend vorzuführen.
Doch die schikanierten und bedrohten Gegner seines autoritären Regimes denken nicht daran, das Bild einer schönen neuen Welt in Tunis zuzulassen.
Acht Oppositionelle im Hungerstreik
Acht Oppositionelle sind in einen zunächst unbegrenzten Hungerstreik getreten, um massives Vorgehen der Justiz gegen ihre Organisationen anzuprangern sowie die "verschlechterten Grundfreiheiten" zu beklagen. Darunter sind Lotfi Hajji von der nicht zugelassenen Journalistengewerkschaft SJT und der Generalsekretär der legalen liberaldemokratischen Partei, Najib Chabbi.
Mit Diplomaten in Kontakt
Amerikanische und europäische Diplomaten sind mit den Hungerstreikenden schon in Verbindung getreten, was der Staatsführung kaum genehm sein dürfte. "Man hätte hoffen können, dass Ben Ali vor dem UNO-Gipfel seine Bereitschaft zum Wandel signalisieren würde", hält ein Diplomat fest, "er tut jedoch genau das Gegenteil, schiebt Riegel für Riegel vor."
Einen Kongress der alteingesessenen tunesischen Menschenrechtsliga LTDH vor dem Gipfel schlicht zu verhindern, "das war eine politische Entscheidung in juristischer Verkleidung", kritisiert Mokthar Trifi, Präsident der Liga. Der engagierte Trifi hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen und bereits vor Jahren von den "wahrscheinlich Hunderten von politischen Gefangenen" im Land Ben Alis gesprochen.
Wenn die Gründung der Journalistengewerkschaft SJT den in der Verfassung garantierten Rechten zum Trotz vereitelt wird und im Internet aktive Tunesier wegen "Terrorismus" verfolgt werden können, dann hat der Staatschef nach Einschätzung der "Reporter ohne Grenzen" die ihm von den Vereinten Nationen gegebene Chance verspielt, "seine Bilanz in Sachen Meinungsfreiheit zu verbessern." [Futurezone / dpa ]
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http://futurezone.orf.at/futurezone.orf?read=detail&id=276657