Posted By: Claudia Poser-Ben Kahla
In der Berliner Mitte - 03/12/2004 20:39
20.11.2004:
Medien: In der Berliner Mitte
Ging es um den Untergang des Abendlandes oder nur um Sozialhilfe ? Ging es um den Islam? Von Abu Bakr Rieger
(iz)Mit Tränen der Rührung haben wir es gesehen: Zur Prime Time dürfen nun auch des Öfteren Muslime live mitdiskutieren. Das ist neu und das ist ja auch gut so. Nadeem Elyas vom Zentralrat durfte am Donnerstagabend bei "Berlin Mitte" mitreden und bekam von Herrn Broder vom "Spiegel" immerhin zu hören - kleiner PR-Erfolg -, dass er eigentlich ganz „nett“ sei. Das ist wichtig für die Zukunft, da beim "Spiegel" die Subjektivität das dominante Erkenntnisverfahren ist.
Der Nachteil solcher Sendungen wurde allerdings bei "Berlin Mitte" auch schnell deutlich: Bei den meisten Talkshows geht es recht oberflächlich zu. Zumeist wird nicht einmal eindeutig geklärt, worüber man eigentlich diskutiert. Im Falle von "Berlin Mitte" blieb einigermaßen vage, ob man über den Untergang des Abendlandes, die Abschaffung der Sozialhilfe, den Kampf der Kulturen oder den Islam diskutiert. Das ging doch ziemlich durcheinander. Nach dem einstündigen Infotainment wusste wenigstens jeder, dass Herr Schönbohm „CDU“ und Frau Beck „Grüne“ ist und dass dies wie immer irgendwie voneinander verschieden ist.
Die große Schwäche der Sendung war die mangelnde Gesprächsführung der Moderatorin Maybritt Illner, die zwar wie immer „intelligent, scharfzüngig und rasant“ war, aber leider versäumte, klarzustellen, worum es eigentlich ging. Das Thema wäre überhaupt nur sinnvoll zu diskutieren gewesen, wenn man vorab klargestellt hätte, dass Islam und Kultur eben nicht per se dasselbe sind. Dann hätten Frau Meier und Herr Müller vor dem Fernsehgerät auch mitbekommen, dass ein libanesischer Bankräuber und ein betender Muslim „gesellschaftlich“ nicht der gleichen Kategorie angehören. So konnte man hören, was man wollte: Muslime sind gut, Muslime sind böse, Ausländer raus.
Ungeklärt blieb auch, wie die Gesprächsrunde meine Wenigkeit (also ein betender Weimarer, Rilke-Verehrer und Krawattenträger) oder die Zehntausende anderer deutscher Muslime in den angeblichen Kampf der Kulturen einordnen will. Islam ist längst keine Ausländerreligion mehr. De facto wächst der Anteil deutscher Muslime stetig, vor allem dann, wenn man „Deutsch sein“ bitte schön nicht an die alte kränkelnde Rasse, sondern an das Sprachvermögen bindet. Diese, so gesehen, deutschen Muslime wissen natürlich längst, dass 200 qm Marokko, Türkei oder Bosnien in einem Hinterhof zuwenig sind, um diesem Land gesellschaftliche Impulse zu geben. Dennoch, jeder Zweifel, dass wir deutschen Muslime und unsere hier geborenen Kinder etwa nicht zu dieser Gesellschaft gehören, ist – mit Verlaub - eine Unverschämtheit.
Auch einer anderen Illusion gab sich die Runde selbstgefällig hin: Dem romantischen Gedanken nämlich, die Exportnation Deutschland könne alle Konflikte der Welt aus diesem Land heraushalten, etwa so, als würden wir mit Frittenöl Auto fahren oder keine Luxus- und Rüstungsgüter an islamistische und antisemitische Regierungen verkaufen. Deutschland als gemütliches Einfamilienhaus sozusagen. Herr Schönbohm erinnerte ja auch, wenn ich mich recht entsinne, dass in deutschen Wohnzimmern an Weihnachten noch immer gesungen werde. Aber ist es das alte Weihnachten, das alte Deutschland?
Warum einige Muslime in Deutschland vielleicht auch zu Recht Wertphilosophie Made in Germany in Frage stellen, wurde kaum beleuchtet. Unsere Menschenrechtsphilosophie hat ja - wie unsere Autos - an Qualität verloren. Muslime sprechen nicht nur aus bequemen Sesseln heraus, sondern oft eben auch aus schmerzlicher Erfahrung. Der muslimische Horizont, fern einer rein nationalen Erfahrungswelt, entspricht sowiewo eher Goethes Idee des Weltbürgers als Schönbohms "ich bin stolz ein Deutscher zu sein". Ein Wunder also, dass der eine oder andere unsere praktische Trennung von nationaler Politik und globaler Humanität weniger akzeptiert? Vielleicht, weil Muslime Verwandte in Sebrenica, Falludscha oder Kabul haben? Sind Muslime vielleicht auch ein Ärgernis, ein Spiegel, weil sie unsere eigene moralische Integrität und Unbefragbarkeit doch unbewusst in Frage stellen?
Natürlich ist das Zusammenleben in Deutschland - da hat Broder völlig Recht - nicht nur Staatssache. Liegen nicht, Herr Broder, einen Steinwurf vom Spiegel-Verlagsgebäude - also vor Ihrer Tür - die von unseren deutschen Männerkollegen aufgesuchten trostlosen Orte der industriellen Massenprostitution, der Versklavung, Gewalt und Ausbeutung, mit ihrem aktuellen Importschlager, den osteuropäischen Frauen? Ändern wir Abendländler, im Interesse einer europäischen Hochzivilisation, dies gemeinsam?
Im Kern wollten Schönbohm und Broder also Muslime herauswerfen, die „leitkulturell“ nicht der deutschen DIN-Norm entsprechen. Das funktioniert dann eben doch schnell nach dem beliebten Muster "wir sind so zivilisiert, weil sie so unzivilisiert sind". Die unscharfe Rhetorik gegen die da (Sie wissen schon, eben die da) bedient natürlich auch niedere Instinkte. Hoffen wir, dass beide nur die in Promillegröße agierenden Gruppe der Zweizimmerwohnungskhalifen, Verbrecher, Hetzer und prügelnden Patriarchen rauswerfen wollen. Das wäre ja gut. Ach ja, nebenbei bemerkt, Herr Schönbohm, es gibt da auch die eine oder andere "arische" Gruppe in den neuen Bundesländern, die nicht ganz demokratisch, aber ganz gut im Ausfüllen der Sozialhilfeanträge ist.
Kein Muslim würde behaupten wollen, daß die Immigrantencommunity ohne Problem wäre oder die Hochzivilisation des Islam etabliert hätte. Verwirrung gibt es heute auf allen Seiten. Viele Muslime verteidigen heute nicht den Islam, sondern eine diffuse Mischung aus Nationalismus und Kultur. Ich finde, Männer, die ihre Frauen schlagen, sind nicht nur bedauernswert unglückliche Geschöpfe, sondern auch grausige Memmen. Man muss eben immer wieder sagen, wie das Nadeem Elyas auch tapfer versuchte, dass mancher Exzess den Muslimen, nicht aber dem Islam, zugeordnet werden kann. Gerade als praktizierender Muslim (im Grunde eine seltene Gattung) deassoziiert man sich leicht von manchen Muslimen, aber eben nicht vom Islam. Das ist sozusagen unser Stolz, ein Muslim zu sein.
Dennoch hatte die Sendung auch ihre positiven Überraschungsmomente. Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, konnte glaubhaft vermitteln, dass es ihm nicht um „Ideologie“ gegen irgendjemanden geht, sondern um die schlichte Sorge, dass sein Bezirk veröden könnte. Er war der Mann, der am Klarsten wusste, worüber er spricht. Hier würde sich auch lohnen, weiterzureden. Ich glaube persönlich nicht, wie es Buschkowsky andeutete, dass der Zerfallsprozess in unseren Städten mit den bunten Kopftüchern muslimischer Frauen oder überhaupt mit dem Islam zusammenhängt. Ich mache für die Verödung der Städte weniger Menschen als vielmehr unser entfesseltes Wirtschaftsmodell verantwortlich. Es wäre schön, mit dem Bürgermeister zu diskutieren, ob die Muslime und die Moscheen nicht doch aktiver und kreativer am Bezirksleben teilnehmen könnten. Gerade wenn der Islam auch architektonisch Raum bekommt, könnte die soziale Kompetenz der Muslime jeder Stadt zu Gute kommen.
http://www.islamische-zeitung.de/cgi-bin/artikel/5215
Medien: In der Berliner Mitte
Ging es um den Untergang des Abendlandes oder nur um Sozialhilfe ? Ging es um den Islam? Von Abu Bakr Rieger
(iz)Mit Tränen der Rührung haben wir es gesehen: Zur Prime Time dürfen nun auch des Öfteren Muslime live mitdiskutieren. Das ist neu und das ist ja auch gut so. Nadeem Elyas vom Zentralrat durfte am Donnerstagabend bei "Berlin Mitte" mitreden und bekam von Herrn Broder vom "Spiegel" immerhin zu hören - kleiner PR-Erfolg -, dass er eigentlich ganz „nett“ sei. Das ist wichtig für die Zukunft, da beim "Spiegel" die Subjektivität das dominante Erkenntnisverfahren ist.
Der Nachteil solcher Sendungen wurde allerdings bei "Berlin Mitte" auch schnell deutlich: Bei den meisten Talkshows geht es recht oberflächlich zu. Zumeist wird nicht einmal eindeutig geklärt, worüber man eigentlich diskutiert. Im Falle von "Berlin Mitte" blieb einigermaßen vage, ob man über den Untergang des Abendlandes, die Abschaffung der Sozialhilfe, den Kampf der Kulturen oder den Islam diskutiert. Das ging doch ziemlich durcheinander. Nach dem einstündigen Infotainment wusste wenigstens jeder, dass Herr Schönbohm „CDU“ und Frau Beck „Grüne“ ist und dass dies wie immer irgendwie voneinander verschieden ist.
Die große Schwäche der Sendung war die mangelnde Gesprächsführung der Moderatorin Maybritt Illner, die zwar wie immer „intelligent, scharfzüngig und rasant“ war, aber leider versäumte, klarzustellen, worum es eigentlich ging. Das Thema wäre überhaupt nur sinnvoll zu diskutieren gewesen, wenn man vorab klargestellt hätte, dass Islam und Kultur eben nicht per se dasselbe sind. Dann hätten Frau Meier und Herr Müller vor dem Fernsehgerät auch mitbekommen, dass ein libanesischer Bankräuber und ein betender Muslim „gesellschaftlich“ nicht der gleichen Kategorie angehören. So konnte man hören, was man wollte: Muslime sind gut, Muslime sind böse, Ausländer raus.
Ungeklärt blieb auch, wie die Gesprächsrunde meine Wenigkeit (also ein betender Weimarer, Rilke-Verehrer und Krawattenträger) oder die Zehntausende anderer deutscher Muslime in den angeblichen Kampf der Kulturen einordnen will. Islam ist längst keine Ausländerreligion mehr. De facto wächst der Anteil deutscher Muslime stetig, vor allem dann, wenn man „Deutsch sein“ bitte schön nicht an die alte kränkelnde Rasse, sondern an das Sprachvermögen bindet. Diese, so gesehen, deutschen Muslime wissen natürlich längst, dass 200 qm Marokko, Türkei oder Bosnien in einem Hinterhof zuwenig sind, um diesem Land gesellschaftliche Impulse zu geben. Dennoch, jeder Zweifel, dass wir deutschen Muslime und unsere hier geborenen Kinder etwa nicht zu dieser Gesellschaft gehören, ist – mit Verlaub - eine Unverschämtheit.
Auch einer anderen Illusion gab sich die Runde selbstgefällig hin: Dem romantischen Gedanken nämlich, die Exportnation Deutschland könne alle Konflikte der Welt aus diesem Land heraushalten, etwa so, als würden wir mit Frittenöl Auto fahren oder keine Luxus- und Rüstungsgüter an islamistische und antisemitische Regierungen verkaufen. Deutschland als gemütliches Einfamilienhaus sozusagen. Herr Schönbohm erinnerte ja auch, wenn ich mich recht entsinne, dass in deutschen Wohnzimmern an Weihnachten noch immer gesungen werde. Aber ist es das alte Weihnachten, das alte Deutschland?
Warum einige Muslime in Deutschland vielleicht auch zu Recht Wertphilosophie Made in Germany in Frage stellen, wurde kaum beleuchtet. Unsere Menschenrechtsphilosophie hat ja - wie unsere Autos - an Qualität verloren. Muslime sprechen nicht nur aus bequemen Sesseln heraus, sondern oft eben auch aus schmerzlicher Erfahrung. Der muslimische Horizont, fern einer rein nationalen Erfahrungswelt, entspricht sowiewo eher Goethes Idee des Weltbürgers als Schönbohms "ich bin stolz ein Deutscher zu sein". Ein Wunder also, dass der eine oder andere unsere praktische Trennung von nationaler Politik und globaler Humanität weniger akzeptiert? Vielleicht, weil Muslime Verwandte in Sebrenica, Falludscha oder Kabul haben? Sind Muslime vielleicht auch ein Ärgernis, ein Spiegel, weil sie unsere eigene moralische Integrität und Unbefragbarkeit doch unbewusst in Frage stellen?
Natürlich ist das Zusammenleben in Deutschland - da hat Broder völlig Recht - nicht nur Staatssache. Liegen nicht, Herr Broder, einen Steinwurf vom Spiegel-Verlagsgebäude - also vor Ihrer Tür - die von unseren deutschen Männerkollegen aufgesuchten trostlosen Orte der industriellen Massenprostitution, der Versklavung, Gewalt und Ausbeutung, mit ihrem aktuellen Importschlager, den osteuropäischen Frauen? Ändern wir Abendländler, im Interesse einer europäischen Hochzivilisation, dies gemeinsam?
Im Kern wollten Schönbohm und Broder also Muslime herauswerfen, die „leitkulturell“ nicht der deutschen DIN-Norm entsprechen. Das funktioniert dann eben doch schnell nach dem beliebten Muster "wir sind so zivilisiert, weil sie so unzivilisiert sind". Die unscharfe Rhetorik gegen die da (Sie wissen schon, eben die da) bedient natürlich auch niedere Instinkte. Hoffen wir, dass beide nur die in Promillegröße agierenden Gruppe der Zweizimmerwohnungskhalifen, Verbrecher, Hetzer und prügelnden Patriarchen rauswerfen wollen. Das wäre ja gut. Ach ja, nebenbei bemerkt, Herr Schönbohm, es gibt da auch die eine oder andere "arische" Gruppe in den neuen Bundesländern, die nicht ganz demokratisch, aber ganz gut im Ausfüllen der Sozialhilfeanträge ist.
Kein Muslim würde behaupten wollen, daß die Immigrantencommunity ohne Problem wäre oder die Hochzivilisation des Islam etabliert hätte. Verwirrung gibt es heute auf allen Seiten. Viele Muslime verteidigen heute nicht den Islam, sondern eine diffuse Mischung aus Nationalismus und Kultur. Ich finde, Männer, die ihre Frauen schlagen, sind nicht nur bedauernswert unglückliche Geschöpfe, sondern auch grausige Memmen. Man muss eben immer wieder sagen, wie das Nadeem Elyas auch tapfer versuchte, dass mancher Exzess den Muslimen, nicht aber dem Islam, zugeordnet werden kann. Gerade als praktizierender Muslim (im Grunde eine seltene Gattung) deassoziiert man sich leicht von manchen Muslimen, aber eben nicht vom Islam. Das ist sozusagen unser Stolz, ein Muslim zu sein.
Dennoch hatte die Sendung auch ihre positiven Überraschungsmomente. Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, konnte glaubhaft vermitteln, dass es ihm nicht um „Ideologie“ gegen irgendjemanden geht, sondern um die schlichte Sorge, dass sein Bezirk veröden könnte. Er war der Mann, der am Klarsten wusste, worüber er spricht. Hier würde sich auch lohnen, weiterzureden. Ich glaube persönlich nicht, wie es Buschkowsky andeutete, dass der Zerfallsprozess in unseren Städten mit den bunten Kopftüchern muslimischer Frauen oder überhaupt mit dem Islam zusammenhängt. Ich mache für die Verödung der Städte weniger Menschen als vielmehr unser entfesseltes Wirtschaftsmodell verantwortlich. Es wäre schön, mit dem Bürgermeister zu diskutieren, ob die Muslime und die Moscheen nicht doch aktiver und kreativer am Bezirksleben teilnehmen könnten. Gerade wenn der Islam auch architektonisch Raum bekommt, könnte die soziale Kompetenz der Muslime jeder Stadt zu Gute kommen.
http://www.islamische-zeitung.de/cgi-bin/artikel/5215