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Kultur oder Terrorismus
Araber und Deutsche im Frankfurter Römer
Wenn das „Annemarie Schimmel Forum für Interkulturelle und Interreligiöse Verständigung“ kurz vorm Auftakt der dieses Jahr der „Arabischen Welt“ gewidmeten Frankfurter Buchmesse Wissenschaftler und Politiker zu einem Symposium lädt, dann darf man mehr erwarten als Formeln. Wie ein neuer Anfang im Verhältnis von Orient und Okzident aussehen könnte, das war die Leitfrage im Frankfurter Römer. Samuel Huntingtons als „Kampf der Kulturen“ bekannt gewordene Theorie vom Zusammenprall der Zivilisationen soll nicht das bestimmende Raster sein, durch das sich Islam und Christentum gegenseitig wahrnehmen, darin waren sich die Redner einig. Aber will man von Islam und Christentum überhaupt sprechen?
Der Eröffnungsvortrag des Friedens- und Konfliktforschers Ernst-Otto Czempiel gibt die Lesart vor: Nein, der politische Terror sei kein Produkt des Islam oder eines radikalisierten Flügels. Moderne Religionen seien grundsätzlich „gewaltavers“. Die religiös-kulturelle Deutung der gegenwärtigen Konflikte verdecke den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beitrag des Westens zur Gewalteskalation. In den fundamentalistischen Bekundungen von Terroristen vermag Czempiel nur den subjektiven Glauben an religiöse Motive zu erkennen, in dem sich einst auch mancher Kreuzritter befunden habe.
„Interessen“ heißt das Zauberwort, auf das die Redner unisono die Aufmerksamkeit lenkten. Eine merkwürdige Umkehrung: Wenn sonst die großen Köpfe für die hehren Motive zuständig sind, während der gemeine Zeitgenosse dem Realismus materialistischer Motive frönt, scheint es sich hier genau andersrum zu verhalten. Über 60 Prozent der Deutschen glauben einer Allensbach-Umfrage zufolge an einen Kampf der Kulturen. Dagegen hämmern die Profis der interkulturellen Verständigung uns ein: „It's the economy, stupid!“ So, nur höflicher, Scheich Ahmed Zaki Yamani, Gelehrter, Mäzen und über 20 Jahre saudi-arabischer Ölminister.
Der Publizist Michael Lüders begründet, warum man den Blick von Kulturen auf Interessen lenken sollte: In Huntingtons Modell sind die wesentlichen Züge der Kulturkreise schon vorgegeben und in den Religionen fest verankert. Daher müsse man auf die Interessen gar nicht mehr eingehen. Lüders mahnt den Westen wie die arabische Welt zu Realismus. Letztere fordert er auf, anzuerkennen, dass der politische Islamismus ebenso gescheitert ist wie vor ihm der arabische Nationalismus. Deren Antworten auf die Herausforderung des Westens haben die Verhältnisse in den arabischen Ländern nicht verbessert. Nun stünde die arabische Welt vor der Aufgabe, die Initiative für Bildung und Bürgerrechte zu ergreifen.
Doch genau hier stößt der Spaten des Dialogs auf den Fels der Interessen. Das wurde im leidenschaftlichsten Beitrag der Tagung deutlich. Mit sarkastischen Worten legt der tunesische Historiker Mohammed Talbi seinen vorbereiteten Vortrag über den „Euro-Islam“ beiseite: „Das ist ja nutzlos, hier von Kultur zu sprechen, denn alle anderen sprechen von Terrorismus.“ Scharf geißelt der 80-Jährige jeden Versuch, das Konfliktpotenzial in der Religion auszumachen. Wenn man glaube, dass das Evangelium von der Liebe spricht, der Koran aber von der Gewalt, dann führe man einen Dialog zwischen Tauben.
Vor allem aber macht Talbi deutlich, wie bitter es für arabische Intellektuelle sein muss, vom Westen zur Initiative für Menschenrechte aufgerufen zu werden. Das Interesse des Westens verkörperten stabile undemokratische Regimes wie Tunesien und Saudi-Arabien. Wie müssten sich Menschen fühlen, die sich den Werten der westlichen Aufklärung verschreiben, um genau diese Werte unter Mithilfe westlicher Politiker mit Füßen getreten zu sehen?
Wenn ein Dialog damit beginnt, dass sich die Partner kennen lernen, dann sind Talbis Ausführungen eine erste echte Übung in Verständigung. Es gibt freilich auch Optimismus. Der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan erläutert eine Lesart des Islam, nach der die europäischen Muslime die europäische Kultur keineswegs abstoßen müssen, um Muslime sein zu können. Michael Adrian