Interview
"Eine andere Möglichkeit, mich auszudrücken"

Vor 20 Jahren gründete der irakische Lyriker und Verleger Khalid Al-Maaly den Al-Kamel-Verlag in Köln. Anlässlich dieses Jubiläums führte Qantara.de ein Gespräch mit ihm über die Schwierigkeiten arabischer Verlage und die Rezeption deutscher Autoren in den arabischen Ländern.

Herr Al-Maaly, ist der Al-Kamel-Verlag ein Import aus einem arabischen Land oder haben Sie ihn in Deutschland neu ins Leben gerufen?

Khalid Al-Maaly: Ja, ich habe den Verlag 1983 in Köln ganz neu gegründet. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich keine Erfahrung hatte, was Verlagsarbeit betrifft, Lektorat, Bücher machen, Setzen usw. Ich hatte nur eine bescheidene Erfahrung im schriftstellerischen und journalistischen Bereich. Meine ersten Veröffentlichungen gehen auf das Jahr 1974 zurück, meinen ersten Gedichtband habe ich 1978 in Bagdad veröffentlicht.

Warum braucht Deutschland einen arabischen Verlag?


Khalid Al-Maaly, Foto: privat



Al-Maaly: Ich habe diesen Verlag nicht für Deutschland gegründet, sondern weil ich mich plötzlich hier wieder gefunden habe. Dann kam der Krieg von 1982, also die israelische Invasion in den Libanon. Das gab für mich den Ausschlag, weil wir, die jungen arabischen Literaten, nach dieser Invasion keine Möglichkeiten mehr zu haben schienen, in der arabischen Welt zu veröffentlichen. Ich wollte damals nur die Texte und Gedichte veröffentlichen, die ich selber schrieb und nebenbei ein paar arabische Bücher, die man normalerweise nicht veröffentlichen kann, also Klassiker oder auch moderne Autoren. 1983 habe ich dann mit einer kleinen arabischen Schreibmaschine angefangen.

Es wurden doch damals nicht nur im Libanon Bücher herausgegeben, Sie hätten doch auch in anderen arabischen Ländern publizieren können.

Al-Maaly: Libanon ist für uns der Traum. Jeder arabische Schriftsteller oder Künstler träumte davon, im Libanon zu leben und dort zu veröffentlichen, weil es dort vor der Invasion eine gewisse Freiheit gab. Zum Teil gibt es sie immer noch, trotz aller neuen Gesetze. Nach der Invasion stand das Land unter Besatzung, und da habe ich die emotionale Entscheidung getroffen, hier einen Verlag zu gründen. Als der Traum von Beirut geplatzt war, habe ich eben versucht, eine andere Möglichkeit zu finden, um mich auszudrücken.

Was unterscheidet denn den Libanon von den anderen arabischen Staaten in Bezug auf die Verlagsarbeit?

Al-Maaly: Wenn ein Buch im Libanon veröffentlicht wird, kann es jeder Araber in allen arabischen Ländern erhalten. Wenn es aber bei einem engagierten Verlag in Ägypten, in Marokko oder Tunesien erscheint, erreicht es nicht jeden arabischen Leser, denn die Verlage leiden unter Vertriebsproblemen. Den libanesischen Verlegern sind außer der Zensur keine Grenzen gesetzt. Die Bücher von libanesischen Verlagen kommen zumindest auf alle arabische Buchmessen – falls das Buch nicht verboten ist. Deshalb lasse auch ich heute meine Bücher im Libanon drucken und kann sie in der ganzen arabischen Welt vertreiben.

Wo liegt der Schwerpunkt Ihres Verlagsprogramms?

Al-Maaly: Wir verlegen in erster Linie moderne arabische Literatur, Prosa und Lyrik. Dazu kommen arabische kritische Klassiker, die man nicht unbedingt jederzeit veröffentlichen kann. Auch Bücher über Tabuthemen, die man in den arabischen Ländern nicht behandeln kann, worüber man nicht sprechen kann...

Wollten Sie also durch einen in Deutschland angesiedelten Verlag auch Zensurbestimmungen in den arabischen Ländern umgehen?

Al-Maaly: Unter anderem, ja. Aber wir publizieren auch moderne Essays von arabischen und nicht-arabischen Autoren, die übersetzt werden. Wir haben auch ein großes deutschsprachiges Autorenprogramm.

Wie können Sie Bücher über Tabuthemen in der arabischen Welt verkaufen, wenn man nicht darüber sprechen kann?

Al-Maaly: Bücher, die zum Beispiel in Saudi-Arabien nicht verkauft werden dürfen, können die Leute ganz einfach in Bahrain kaufen, oder in Ägypten oder in den Emiraten.

Also hat jedes Land seine eigenen Tabuthemen?

Al-Maaly: Ja. Die Saudis waren zum Beispiel früher sehr streng, heute sind die Kuwaitis sehr streng. Die Werke von den beiden Mystikern Halladsch oder Niffari sind in Kuwait und in Saudi-Arabien verboten, aber in den Arabischen Emiraten oder in Ägypten nicht. Andere sind in Saudi-Arabien nicht verboten, dafür aber in Kuwait. Oder Bücher von islamischen Klassikern, islamischen Richtern wie Scheich Nafsawi oder große Koranwissenschaftler wie Al-Suyuti, islamische Erotik usw., diese Bücher sind in Saudi-Arabien streng verboten, in Tunesien gehören sie zu den besten Büchern, sie sind die Besonderheit des Jahres auf der Buchmesse.
Oder nehmen Sie die Kindheitserinnerungen von Sayyid Qutb , die mit seiner späteren Lehre nichts zu tun haben. Es ist nur ein literarisches Werk, aber weil der Verfasser Sayyid Qutb heißt, ist dieses Buch in Tunesien streng verboten. In Saudi-Arabien kann man es dagegen kaufen, obwohl auch dort die anderen Werke von Sayyid Qutb verboten sind.

Kommen wir auf die deutschen Autoren in Ihrem Programm zurück. Wen haben Sie bisher verlegt?

Al-Maaly: Wir haben viel deutschsprachige Prosa im Programm, Nicolas Born, Ingeborg Bachmann, Christa Wolf, Günter Grass, Peter Handke, Barbara Frischmuth, Rainer Maria Rilke...

Sind das alles Ãœbersetzungen aus dem Deutschen?

Al-Maaly: Ja, wir übersetzen nur aus dem Deutschen. Wir haben auch Lyriker im Programm wie Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Christian Morgenstern, dann haben wir wissenschaftliche Bücher von Heinz Halm, Josef van Ess, Annemarie Schimmel…

Alles deutsche Orientalisten...

Al-Maaly: Ja, wissenschaftliche Bücher über den Islam sind sehr gefragt, gerade die von deutschen Orientalisten. Sie haben in der arabischen Welt einen guten Ruf, weil sie nicht in die Kolonialpolitik verwickelt waren. Wir haben auch Soziologen wie Ulrich Beck oder Christa Wichterich und Philosophen, wie Emmanuel Kant, Jürgen Habermas, Peter Sloterdijk.

Sie lassen also auch Neuübersetzungen anfertigen von Autoren, die schon aus einer Drittsprache übersetzt wurden, etwa Kant oder Hegel?

Al-Maaly: Ja, die deutschen Philosophen wurden bisher hauptsächlich aus dem Französischen oder Englischen übersetzt. Bei uns werden sie bis auf eine Ausnahme, alle aus dem Deutschen übersetzt. Wir haben jetzt begonnen mit den gesammelten Werken von Nietzsche. Als erstes wird ‚Ecco Homo’ erscheinen, dann ‚Also sprach Zarathustra’, wir wollen die gesammelten Werke zum ersten Mal ganz aus dem Deutschen übersetzen.

Wie sieht es mit der Prosa aus? Sie haben Grass und Handke erwähnt, aber haben Sie auch junge Autoren im Programm?

Al-Maaly: Nein, aber wir haben es mal mit Christa Wolf probiert. Sie ist eine sehr bekannte Autorin, aber in der arabischen Welt stößt sie kaum auf Interesse. Ich weiß nicht, warum. Ich habe auch über sie geschrieben und referiert, aber es bringt nicht viel. Das Buch muss für sich selbst sprechen. Sie wird einfach ganz wenig gelesen. Nur ihr Roman Kassandra wird ab und zu gekauft. Das hat mich anfangs gewundert. Erst später habe ich verstanden, warum. Es gab eine in der arabischen Welt sehr populäre mexikanische Seifenoper mit dem Titel Kassandra, und die Leute haben gedacht, das sei das Buch zur Sendung. Also, es braucht viel Zeit, das geht nicht von heute auf morgen. Eine ganz andere Erfahrung habe ich mit einem französischen Autor gemacht, Gilbert Sinoué. Er hat ein Buch mit dem Titel ‚Avicenne ou La route d'Ispahan’ geschrieben, das auch auf Deutsch übersetzt ist und großen Erfolg hier hatte. In der arabischen Welt hatte der Roman seltsamerweise auch Erfolg, es wird jetzt eine zweite Auflage gedruckt.

Man muss wissen, dass in der arabischen Welt nur wenig gelesen wird, sehr wenig. Es gibt keinen organisierten Buchmarkt, es gibt Zensur in jedem Land, es gibt keinen normalen Vertrieb. Wenn man Christa Wolf oder Günter Grass mit einer Auflage von tausend Exemplaren in zwei, drei oder sogar vier Jahren verkaufen kann, dann ist das ein Erfolg.

Günter Grass war im September 2002 im Jemen zusammen mit anderen arabischen und deutschen Dichtern, und die arabischen Zeitungen haben mehrmals darüber berichtet. Hat sich Grass’ neuer Kontakt zur arabischen Welt in den Verkaufszahlen der Blechtrommel niedergeschlagen?

Al-Maaly: Nein, gar nicht. Wenn Grass in den Jemen fährt oder Habermas nach Ägypten, dann bringt das nichts. Als Habermas in Ägypten war, hatte ich wirklich gedacht, jetzt wird das Buch gut verkauft, aber nein.
Es wurde zwar viel über die Bücher gesprochen, aber nichts verkauft. Es gibt hingegen Bücher, über die kein Wort verloren wird, und trotzdem werden sie ausverkauft. Zum Beispiel Gilbert Sinoué, über den zwar fast nichts geschrieben wird, aber die Leute kaufen sein Buch.

Aber obwohl insgesamt so wenig gelesen wird, muss man andererseits auch sagen, dass es ein großes Interesse gibt. Das merke ich sehr stark, wenn ich zum Beispiel nach Tunesien fahre, oder wie vor kurzem zum ersten Mal nach Kuwait oder nach Dschidda in Saudi-Arabien. Dort habe ich erlebt, wie durstig die Leute nach besonderen Titeln sind.

Oder nehmen wir die Buchmesse in Riad. Diese Messe wird hauptsächlich von Männern besucht, nur an acht Stunden von den ganzen zehn Tagen sind Frauen zugelassen, es gibt dort Sittenwächter, die immer schreien, alle zwei, drei Stunden ertönt ein Gebetsruf, dann muss man beten gehen, wie soll man da arbeiten? Und trotzdem habe ich dort die meisten Bücher verkauft. Die Menschen haben diese Bücher nicht einfach so gekauft, sondern weil sie sie kannten. Das heißt, dass sie sie lesen. Das trifft auch auf Syrien und Tunesien zu, das sind keine reichen Länder, aber die interessanten Bücher werden immer nachgefragt und gekauft. Das Gleiche gilt für Marokko, dort werden meine Bücher auch sehr gut verkauft.

Gerade dort könnten die Leser doch auf die französischsprachige Literatur ausweichen, weil alle Intellektuellen dort Französisch sprechen.

Al-Maaly: Ja, das sagt man, aber meine Erfahrung ist das Gegenteil. Sie wollen auch gerne Habermas auf Arabisch lesen, und zwar aus dem Deutschen übersetzt. Vielleicht war es früher einmal anders.

Wie bekannt ist denn im Vergleich die deutschsprachige Literatur in den arabischen Ländern?

Al-Maaly: Man muss leider zugeben, dass sie nicht sehr bekannt ist. Günter Grass ist sehr bekannt, sogar ich habe über Günter Grass gelesen, als ich noch in der Schule war, und habe, bis ich nach Deutschland kam, immer wieder über ihn gelesen. Später habe ich ihn dann publiziert. Früher waren nur einige wenige Kurzgeschichten veröffentlicht und mehr noch seine politischen Thesen. Hermann Hesse aber wird viel übersetzt und viel gelesen, Thomas Mann eigentlich ganz wenig. Früher hatte man viel deutsches Theater übersetzt.

Brecht...

Al-Maaly: Ja, Brecht, aber auch Peter Weiß. Ich habe selbst im Irak noch ein Theaterstück von Peter Weiß gesehen.

Der Verlag trägt den Namen Al-Kamel. Das Al ist der arabische Artikel, das Kamel ist das Tier, das immer mit Arabern in Verbindung gebracht wird, nicht immer unbedingt im positiven Sinn. Warum haben Sie Ihren Verlag so genannt?

Al-Maaly: Das Kamel ist ein geduldiges Tier. Es hat die Araber tausende von Jahren durch die Wüste getragen hat. Es gehört zu ihnen, zu ihrer Umgebung.

Sie feiern in diesem Jahr Ihr 20-jähriges Jubiläum. Welches ist der bestverkaufte Titel der letzten 20 Jahre?

Al-Maaly: Insgesamt Bücher über Erotik bei den Arabern, Klassiker, meistens von islamischen Scheichs. Wir haben eine Reihe, die noch nicht abgeschlossen ist, aber sie verkauft sich immer noch sehr gut.

Welches ist das bestverkaufte Buch eines deutschen Autors?

Al-Maaly: ‚Was ist Globalisierung’ von Ulrich Beck und die Gedichte von Paul Celan.

Und welche Autoren stehen als nächstes auf Ihrer Liste?

Al-Maaly: Die gesammelten Gedichte von Friedrich Nietzsche und ‚Der Mann ohne Eigenschaften’ von Robert Musil.

Interview: Larissa Bender; © 2003 Qantara.de
Veröffentlicht: 05.02.2003 - Letzte Änderung: 13.03.2003

Bestellen können Sie die Bücher des Al-Kamel Verlags über

Verlag Hans Schiler
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Tel.: +49 (0)30 322 85 23
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