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Die Ästhetik des Ausrufezeichens

Von Olaf Möller

Aziz will nicht baden. Zwei Frauen bekommen den kleinen autistischen Jungen nicht ausgezogen. Aziz' Krankheit ist nicht das einzige Problem im Haus dieser Großfamilie in Tunis. Seine Mutter Aicha hat sich dem Gatten entfremdet, ihre kürzlich erst verheiratete Tochter Meriem hat Angst vor Sex mit ihrem Mann, und die zweite Tochter Emna pflegt ein Verhältnis mit ihrem Musiklehrer, einem verheirateten Herrn.

Aicha glaubt, es sei gut für den Jungen wie die Frauen des Hauses, an ihrer aller Geburtsort, den verlassenen Stammsitz der Familie auf der Insel Djerba, zurückkehren. Dort beginnt eine Zeit der Erinnerungen an das einsame Leben der Frauen in dem Haus, welche elf Monate im Jahr auf ihre weit weg arbeitenden Männer warteten. Jenen einen Monat mit ihnen nannten sie die "Zeit der Männer" - und bis dahin versagten sie sich alles. Ihre Begehren blieben unausgesprochen, unausgelebt, ungeboren.

"Zeit der Männer, Zeit der Frauen" gehört zu jener Kategorie von Filmen, die wissen, dass man sie einfach gut finden muss: Ein ernsthaftes, weit ausgebreitetes, argumentativ konstruiertes Sozialdrama über die Unterdrückung der Frau in Tunesien, inszeniert von Moufida Tlatli, einer der ganz wenigen Filmemacherinnen Nordafrikas.

Das kann man nicht ernsthaft schlecht finden, und das ist es auch nicht, nach konventionellen Standards. Das Drehbuch ist luftdicht in seiner Konstruktion, die Probleme der Figuren und damit der Gesellschaft sind präzise beschrieben und werden sorgsam - oft in vielsagenden Blicken und beredten Ellipsen - diskutiert; alle sind irgendwie Opfer ihrer Kultur. Die Einstellungen sind geduldig lange und die Schnitte klassisch gerade; die Farbschemata für zwei Erzählebenen sind durchdacht und werden durchgehalten.

Das alles geht so lang, bis man keine Luft mehr bekommt - nicht weil man das Eingesperrtsein der Frauen so intensiv spürte, sondern weil die Inszenierung alles Leben aus der Geschichte und ihrer Welt und somit dem Film würgt; weil die Bilder nichts aussagen, sondern nur bedeuten, weil der Schnitt nicht gestaltet, sondern interpunktiert.

Tlatli macht alles richtig, und das so offensichtlich, dass es wie eine solide Uni-Hausarbeit wirkt, abhak- und ignorierbar. Käme der Film von hier, würde jeder sagen, der Neue Deutsche Frauenfilm sei abgefrühstückt. Aber da er von einer tunesischen Filmemacherin kommt, lobt man sie dafür, dass sie uns zeigt, wie gut man bei ihr daheim doch unsere Lektionen verinnerlicht hat.