http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2orient/liebesdichtungTB.htmLiebesgedichte aus der Abbasidenzeit
 In meiner Studie über Liebe und Liebesdichtung in der arabischen Welt des 9. und 10.
 Jahrhunderts habe ich bei der Übersetzung der arabischen Gedichte großen Wert auf
 philologische Texttreue gelegt und mich deshalb für eine Übertragung in nüchterner
 Prosa entschieden. Doch konnte ich während der Arbeit an diesem Buch nicht ganz
 der Versuchung widerstehen, einige Gedichte in deutsche Verse zu bringen. Ich hatte
 nicht vor, diese Nachdichtungen zu veröffentlichen, doch da vielleicht das eine oder
 andere Gedicht einen Eindruck von diesen im Westen kaum bekannten arabischen
 Gedichten vermitteln kann, scheinen mir diese Übersetzungen auf einer Internetseite
 gut aufgehoben. Die folgenden Gedichte stammen von Abû Nuwâs (757-815), Abû
 Tammâm (804-845) sowie von Dichtern aus dem 10. Jahrhundert, die ath-Tha’âlibî (st.
 1038) in seiner berühmten Anthologie, der Yatîmat ad-Dahr, gesammelt hat.  
 Inhalt:  
 Abû Nuwâs: Der Geliebte und der Mond
 Abû Nuwâs: Mond, Zweig und Hügel
 Abû Nuwâs: Erröten
 Abû Nuwâs: Abschied am Tigris
 Abû Nuwâs: Laß die Liebe sein!
 Abû Nuwâs: Böse Zungen
 Abû Tammâm: Erfüllte Liebe
 Abû Tammâm: Dein einziger Fehler
 Abû Tammâm: Warum strafst du mich?
 Abû Tammâm: Klage des Elenden
 Abû Tammâm: Geliebter der Schönheit
 Abû Tammâm: Der Liebesbote
 al-Babbaghâ: An einen Krieger
 Abû Firâs al-Hamdânî: Es war nicht der Wein
 Abû l-Ashâ’ir: Die Krankheitsursache
 Abû l-Faradj al-Idjlî Anbetungswürdig
 Ein Dichter des 10. Jahrhunderts: Der Singsklave
 ash-Shâshî: Der Schilfbrand
 Kushâdjim: Zwei Epigramme      
 Abû Nuwâs: Der Geliebte und der Mond (Ed. Schoeler S. 285f.)  
 Es imitiert der Mond dein Licht,
 und wer ihn sieht, sieht dein Gesicht.
 Wenn er dich nachahmt, gibt sein Glanz
 von deinem Glanze uns Bericht.
 Der du mein Alles bist, sei mild,
 und leiste auf den Zorn Verzicht!
 Oh Mondengleicher, in Geduld
 ertrag ich diese Liebe nicht!    
 Abû Nuwâs: Mond, Zweig und Hügel (S. 168)  
 Auf dessen Gesicht kein Makel liegt,
 an den sich das Kleid des Verführers schmiegt,
 der einzig an Schönheit ist und der sagt, 
 daß darin sein Anteil an dieser Welt liegt.
 Und Gott, als er schuf, erschuf ihn als Mond
 und als Hügel dort, wo ein Zweig sich biegt.
 So wiegt sich der Mond nun über dem Zweig,
 wenn der Zweig sich über dem Hügel wiegt.    
 Abû Nuwâs: Erröten (S. 196)  
 Die Wangen matt, sein Blick von ebender Natur,
 von gradem Wuchs, von ebenmäßiger Statur.
 Er sprach, als allzu lang mein Aug´ lustwandelnd sich
 vergnügt in seiner Wangen Paradiesesflur:
 "Dein Blick treibt Unzucht!" – "Strenger", sagt ich, "strafen ihn
 der Tränen Peitschen als ein Richter je verfuhr!"
 Da wurd´ er rot, und ich konnt´ seine Wangen kaum
 noch seh´n – wohin ich sah, war nur noch Röte pur!    
 Abû Nuwâs: Abschied am Tigris (S. 150)  
 Oh Krankheit, die mich lange schon bedrängt!
 Ach Feuer, das mein Inneres versengt!
 Der Tigris ist der Grund für all mein Leid,
 denn er hat meine Lieblinge versprengt!
 Als ich das Schiff beim Fortfahr´n sah und wie
 es meinen Herrn mir meinem Blick entzogen,
 stand ich am Tigrisufer winkend da,
 und meine Tränen mehrten noch die Wogen.    
 Abû Nuwâs: Laß die Liebe sein! (S. 166f.)  
 Und einer, dessen frischer Blick Begehren weckt,
 der, wenn er lacht, mit süßen, spitzen Zähnen neckt.
 Wir war´n allein, nur Gott war unser Zeuge dort.
 Kein andrer hat im Zimmer uns zwei aufgeschreckt.
 Da sagte er, als meine Hand in seiner lag,
 nachdem er vorher mich mit Tadel eingedeckt:
 "Du liebst mich wohl?", worauf ich sprach: "Ist´s besser, wenn
 von Liebe oder Angst ist Demut ein Effekt?"
 "Und fühlst Verlangen du", fragt er, "Mein Herr", sprach ich,
 "gibt´s einen Teil an dir, der kein Verlangen weckt?"
 Da sagt er: "Fürchte Gott und laß´ die Liebe sein!"
 Ich sprach: "Falls das sich mit dem Will´n des Herzens deckt ..."    
 Abû Nuwâs: Böse Zungen (S. 237)  
 Die Tränen gab ich meinem Wein zum Bunde,
 doch was mich quält, kam nicht aus meinem Munde.
 Mein weinend Aug´ jedoch gab den Gefährten
 von dem, was ich verbergen wollte, Kunde.
 Da senkte ich den Kopf, denn viel Gerüchte
 begannen umzulaufen in der Runde.
 Nun, wer, mein Liebling, sag, kann wohl entkommen
 den bösen Zungen heil und ohne Wunde?
 Was aber, wenn die Liebe ich verkünde?
 Die Liebe ist an sich doch keine Sünde!    
 Abû Tammâm: Erfüllte Liebe (Ed. Azzam Nr. 292)  
 Gestorben ist die Liebesglut, gestorben ist der Brand.
 Eine Gazelle gab mir Trost, bei der ich Mitleid fand.
 Und von den Liedern floß mir Schlaf, wo Tränen einst geflos-
 sen sind, und Ruhe fand das Herz, das Sehnsucht nur gekannt.
 Das Schicksal war mir gütig, als es meinen Herrn mir gab.
 Das Schicksal faßt, wenn´s will, die Herzen an mit güt´ger Hand.
 So hört, bei allem was mir heilig ist, beschimpft das Schick-
 sal nie, weil diesmal es als Freund an meiner Seite stand!    
 Abû Tammâm: Dein einziger Fehler (Nr. 291)  
 Meine Tränen, all mein Sehnen mußt du kennen,
 meine Liebesglut kennst du und all mein Brennen!
 Du hast Anmut, Schönheit, Sitte und ein gutes
 Wesen, auch charakterfest muß man dich nennen.
 Übel ist nur eins an dir: Daß du mich gleichmachst
 jenen, die dem Liebestod entgegenrennen!
 Warum kehrst du dich denn ab – ich tat ja nichts! – und 
 Abkehr heißt doch Trennung vor endgült´gem Trennen!    
 Abû Tammâm: Warum strafst du mich? (Nr. 283)  
 Mach´, daß mein Aug vom Schlafe einen Anteil findet,
 und sei kein Herr, der grausam seinen Sklaven schindet!
 Hat dich mein Aug vielleicht in deiner Ehr´ verletzt,
 als es auf deine Schönheit seine Blicke sandte?
 Du klagtest mich als Sünder an und strafst mich jetzt,
 noch eh´ ich mich mit einem Wort nur an dich wandte!    
 Abû Tammâm: Klage des Elenden (Nr. 281)  
 Der meinem Aug des Schlafes Lust gestohlen,
 der mir mich zu beweinen hat befohlen,
 und der mich grausam tötet durch sein Meiden,
 und durch die Blicke, die mich nicht beachten:
 Zu dir fleht einer, gegen den du hart warst,
 den deine Übeltaten elend machten,
 und der die Erde jetzt sogar beneidet,
 auf die du niedertrittst mit deinen Sohlen!    
 Abû Tammâm: Geliebter der Schönheit (Nr. 283)  
 Ein Mond, der beim Lachen sprießende Perlen zeigt,
 so daß, wer ihn anschaut, vor lauter Verblüffung schweigt.
 Und jede nur denkbare Schönheit hat er übertroffen,
 so daß er jetzt alle Beschreibungskunst weit übersteigt.
 Als nun die Schönheit das Staunen sah, das seine Reize erwecken,
 da hat sich die Schönheit selbst vor seinem Antlitz verneigt.
 Wahrhaftig, ich wünschte, mit ihm bald vereinigt zu sein,
 und daß er, den Neidern zum Trotz, sich zärtlich mir zeigt.    
 Abû Tammâm: Der Liebesbote (Nr. 301)  
 Frei könnt ich sein von der Liebe, genesen von ihr,
 wäre mein Blick nur nicht an deinen Augen gehangen!
 Du warst als Späher geschickt, doch als Dieb hast du dann
 mit deinen Augen die Schönheit von ihm eingefangen!
 "Ich sah ihn nicht", sprachst du, als du zurückkamst, dabei
 strahlte doch all seiner Schönheit Pracht auf deinen Wangen!
 Wolltst du, oh Bote, auch jenen verschweigen vor mir,
 sah man doch all seine Schönheit auf dir sichtbar prangen!    
 al-Babbaghâ: An einen Krieger (Aus der Yatîma)  
 Höre, du Krieger, es hat mich ein Leid angegriffen,
 das Krieg führt
 gegen den Körper und gegen mein Herz, als du
 auszogst zur Schlacht.
 Greifen die Römer dich an, so beschieße sie nur
 mit den Pfeilen
 aus deinen Augen, und sie werden alle
 zur Strecke gebracht!    
 Abû Firâs al-Hamdânî: Es war nicht der Wein (Aus der Yatîma)  
 Ich wurde trunken nicht vom Wein, den er 
 gereicht, ich wurd´s von seinen Blicken.
 Es ist der Grund, daß ich der Müdigkeit 
 mich nicht gebeugt, sein Beugen über mich gewesen.
 Es war´n des Trinkens Züge nicht, die mich
 betäubten, seines Antlitz´ Züge warn´s.
 Es war des Weines Wesen nicht, das mich
 hinwiederum erfrischt, es war sein Wesen.
 Was meinen Willen mir entwunden, war
 die Windung seiner Schläfenlocken;
 und was mir die Geduld entwandt,
 ist das, was sein Gewand umhüllt, gewesen.    
 Abû l-Ashâ’ir: Die Krankheitsursache (Aus der Yatîma)  
 Es hat dieser Jüngling krank mich gemacht
 mit seiner zwei Augen kränklichen Schein.
 Die Mattheit des Blicks voll Koketterie
 hat Mattheit verursacht meinem Gebein.
 Es mischte sein Geist sich mit meinem Geist,
 so wie sich das Wasser mischt mit dem Wein.    
 Abû l-Faradj al-Idjlî: Anbetungswürdig (Aus der Yatîma)  
 Ein Wangenflaum wie eine Stickerei auf einem Kleid.
 Ein Mond, nicht als Metapher, sondern ganz in Wirklichkeit.
 Und wär´s erlaubt, wir würden uns anbetend niederknien –
 doch wäre das ein Frevel, den das Recht uns nicht verzeiht!    
 Ein Dichter des 10. Jahrhunderts: Der Singsklave (Aus der Yatîma)  
 Mein ein und alles bist du,
           du perfektester der Menschen allesamt an Charme,
 du passendster von allen auch,
           für jeden, der sich einem Liebling anvertraut.
 Denn dein Gesicht, es ist Ergötzung
           für die Blicke, denn es ist so wunderschön,
 und deine Stimme ist Vergnügen
           für die Ohren, denn so köstlich ist ihr Laut.
 Es fragten viele Leute uns
           nach dir, und ihnen sagten wir bei dem Versuch,
 dich zu beschreiben: Sicher ist,
           daß, wer ihn sieht, ein Wunder ohnegleichen schaut!
 Denn wenn er blickt, dann als Gazelle,
           wenn er singt, dann tut er dies als Nachtigall,
 wenn er erscheint, dann anemonengleich,
           und wenn er geht, dann wie ein Zweig gebaut.                        
 ash-Shâshî: Der Schilfbrand (Aus der Yatîma)  
 An Schönheit wunderbar, wer hat dich "Mond" genannt?
 Hat je man einen Mond mit einem Mal gekannt?
 Solang mein Herz gesund, hielt ich die Lieb´ geheim,
 doch schmolz in mir das Herz und schwand mir der Verstand,
 und ich glich einem Schilf, vom Feuer aufgezehrt –
 wie kann das Röhricht denn verbergen einen Brand?    
 Kushâdjim: Zwei Epigramme (Diwan Nr. 45 und 57):  
 Der Falkner  
 An uns ging einer vorbei, der hielt in der Hand einen Sperber.
 Bei diesen beiden nun scheint mir eines erstaunlich zu sein:
 Der eine fängt Vögel, herab sich stürzend von hoher Warte;
 der andere fängt nur mit den Augen die Herzen ein!  
                              * * * * *  
 Der Schreiber  
 Ich sah ihn einmal, da hat er beim Schreiben einen Fehler gemacht.
 Den hat er dann mit seinem Speichel ausgelöscht.
 Da wünscht ich, daß ich in seinen Händen ein Schriftstück sei,
 und hoffte dann, er schriebe auch jetzt nicht fehlerfrei.  
 © Dr. Thomas Bauer, Nürnberg