Datum: 19.07.1997
Ressort: Reise
Autor: -
Seite: 65

Die Füße im Wasser, den Kopf im Feuer
Eine neue Reiseroute folgt dem "Englischen Patienten" durch die Wüsten und Oasen Südtunesiens
Woran erinnern diese Muster, die der Wind vom Grat der Sanddünen auf ihre Hänge gefaucht hat? Das Flugzeug fliegt lange genug über die Hügelketten, daß der Vergleich einfallen kann: Solche Verästelungen von Hauptadern in kleinere, scharfe Abzweigungen haben Flußläufe, gesprungenes Glas und der menschliche Blutkreislauf.

Diese Landschaft aus Grundstrukturen der Ewigkeit beeindruckt den Ankömmling, bevor sein Flugzeug in Tozeur landet. Wenn er in den Saharawind tritt, fühlt er die Wüste auf der Haut. Hier war es. Hier trug der Schauspieler Ralph Fiennes die verletzte Geliebte auf seinen Armen in die Höhle. Auf diesem Plateau schlug das kleine gelbe Flugzeug auf, der betrogene, rachedurstige Ehemann starb dabei. Hier kamen die Archäologen in den Sandsturm und mußten aus den Jeeps gegraben werden.

Genau hier. Wir stehen in der heißen Sonne und trotzdem im Schatten des Films "Der englische Patient" von Anthony Minghella. Unsere Route ist durch den Film und seine Landschaft inspiriert. Wir folgen den Drehorten in Südtunesien, in der Gegend des Bled el Djerid ­ "Land der Dattelpalmen". Es wächst eine kindliche Begeisterung, wenn man leibhaftig in der Szenerie steht, die im Kino mit dem Licht auf Sand und Stein wüstensehnsüchtig machte.

Außerdem steht Habib neben uns. Er ist unser Chauffeur, aber Menschen mit gutem Erinnerungsvermögen könnten in ihm jenen Muslim wiedererkennen, der in Großaufnahme zum Gebet rief, später vom Autodach fiel und die Havarie verursachte. Habib hat den Produzenten Saul Zaentz gefahren und wurde für eine Rolle ausgesucht. Unser anderer Fahrer, Tahar, war für Fiennes eingesetzt. Der hat nach den Dreharbeiten einen Videorecorder geschickt. Leider nicht den Film.

Die beiden Männer sehen im Hotel zum erstenmal den Film auf einer Kassette, die Linda Kreusel mitgebracht hat, unsere Reiseveranstalterin. Habib und Tahar vermissen viele gedrehte Szenen, aber so ist Film eben, und es bleiben genug Einstellungen übrig, damit die beiden sich aufgeregt zwischen dem Fernseher und uns hin- und herwenden ­ das war hier! Genau hier.

Wenn Linda Kreusel in die Hotels kommt, eilen die Chefs herbei. Linda will Südtunesien als Endreiseziel etablieren. Sie findet diese Landschaft viel zu interessant, als daß wie bisher die Badetouristen aus Hammamet oder Djerba nur für einen oder zwei Tage mit Bussen durchgehetzt werden sollten. "Man sah mich ungläubig an. Zwei Wochen in Tozeur? Die ganze Region war nur als Rundfahrt im Programm. Die Hoteliers hielten sich höflich zurück. Aber Weihnachten kam ich mit den ersten zwölf Gästen."

Wir wohnen im Hotel Dar Cherait, und auch die Weltläufigen unter uns reißen die Augen auf: kostbare maurische Ornamentik, Gold, Samt und Seide, orientalischer Polsterluxus.

Es wäre nicht verwunderlich, würde man eine Straße nach Linda benennen. Sie flüstert den Einheimischen die Verführung ihres Ortes ein, damit sie mit stolzen Augen auf diese Stadt sehen, in der Römer und Byzantiner Kastelle anlegten, die einmal Bischofssitz war. Jeder Besucher bekommt, wenn er will, ein eigenes Programm ­ je nachdem mehr Kultur, mehr Sport, mehr Erholung. Vorschläge für Familien, Singles, Mutter und Kind. Als sich eine Touristin nicht für ein Hotel in Tozeur entscheiden konnte, ließ Linda sie durch alle kutschieren und eins aussuchen. Linda kümmert sich darum, daß die Droschkenpferde im Schatten stehen und Wanderwege markiert werden.

Die 8 000 Hotelbetten der Region sind nur zu 29 Prozent ausgebucht, die Besucher halten sich im Schnitt anderthalb Tage auf. Viel zu wenig, um die Oasen mit Hunderttausenden Palmen zu erleben, die heißen Quellen. Die Schluchten, wie mit Säbelhieben in Granit geschlagen. Die lehmfarbenen Städte mit Medina und Souks. Die Architektur, die mit versetzten Steinen in den unverkleideten Fronten an Kelims erinnern. Die Fata Morganas über der Salzwüste, wie Reitergruppen über dem Horizont schwebend. Der "Englische Patient" ist nur ein spektakulärer Zugang, der an Bedeutung verliert, wenn man erst einmal da ist und der Wüste verfällt.

Die Betreuer jagen uns eine steile Sandwand hoch, zwei Schritte vorwärts, einer zurück. Der Sand ist fein wie Mehl. Wir rutschen von dernächsten Düne und sehen ein schwarzes Berberzelt. Unser Hotel hat das Abendessen hergeschafft, und das Wunder eisgekühlten Wassers.

Immer wieder kehren wir auf dieser Abenteuerreise de luxe in die Obhut der Ernährung und Erfrischung zurück. Selbst im Chott el Djerid, dem größten Salzseengebiet, steht plötzlich ein Frühstücksbüfett. Wobei ein Wind weht, der sogar das Gelbe aus dem hartgekochten Ei wirbelt. Zweihundert Kilometer ziehen sich die Salzseen hin. Um diese Jahreszeit bildet sich eine dicke Kruste mit aufgebogenen, geplatzten Rändern wie Metallbleche. Die tückischen Sümpfe sieht man nicht.

Die Wüste ist ein magischer Ort. Wer alleine tief hineingeht und sich gut den Rückweg merkt, fühlt die Stille wie einen neuen Sinn. Kein Laut. Die Stille faßt dich an. Und als die Sonne in der Sahara untergegangen ist, leuchtet die Wüste noch minutenlang wie von innen.

Um die Chotts gruppieren sich die Oasengebiete. Sie ernähren sich von fossilem Grundwasser ­ die Palme will mit den Füßen im Wasser stehen und mit dem Kopf im Feuer. Schon bereitet das Absinken des Grundwasserspiegels Probleme, die durch den Ausbau von Hotels und Pools verstärkt werden.

Im November werden die Datteln reif sein, die ein Gärtner in den Schatten der Wedel biegt, nachdem er mit nackten Füßen und ohne andere Hilfe als seine Arme in den Gipfel geklettert ist. Die 400 000 Palmen dieser Oase müssen dreimal pro Jahr bestiegen werden. Zwischen Datteln, Bananen, Granatäpfeln fließen die uralten Wasserläufe. Die Touristin legt sich hinein, mit Kleid und Schuhen und der Gewißheit, schnell von selbst zu trocknen.

Denn es ist heiß. Man sollte nicht im Sommer herkommen. Unsere Gruppe kauft Turbane und Pumphosen und probiert, ob das Leben in Landestracht leichter ist. Ist es nicht. Wir stellen uns unter jeden Wasserfall in den Oasen. Noch spätabends bläst der Schirokko wie ein durchgedrehter Fön Heißluft durch die Kleider. Am schönsten ist es hier, wenn es bei uns kalt ist. Dann dehnen sich Blumenfelder nach Regen, und es soll Frösche geben.

Von der Gewalt des Regens künden Ruinen in Tamerza: Das Wasser hat 1969 die Lehmziegel aufgeweicht und den Ort weggeschwemmt. Etwas weiter haben die Bewohner neue Häuser aufgebaut ­ billiger, als die Ruinen wegzuräumen, und an Platz herrscht kein Mangel.

Demnächst kommt George Lucas. Er dreht die Fortsetzung von "Krieg der Sterne". In der Wüste steht schon das hölzerne Skelett einer Stadt, in ihrem Rücken sind merkwürdige Apparate aufgebaut. Alles kam mit Hubschraubern und ist streng geheim. Weshalb auch gleich vier Männer mit Knüppeln gerannt kommen: keine Fotos. Die Schauspieler werden ab 21. Juli im Dar Cherait in unseren Betten schlafen. Tahar und Habib werden sie zum Drehen fahren, und Linda hat wieder ein neues Programm. Regine Sylvester

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1997/0719/reise/0012/