Ankunft in einer anderen Welt

Wenn ich einmal im Leben die Bedeutung des Begriffs "urlaubsreif" in ihren unangenehmsten Auswüchsen erlebt habe, dann war das wohl im Frühjahr 2001. Und so wollte ich mir nach vielen Jahren, in denen für Reisen einfach kein Geld vorhanden war, mal etwas Abstand, Sonne und Erholung gönnen.

Tunesien war unser Ziel. Ein Land, über das ich bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig wusste. Ein paar Postkarten von Freunden an meiner Schranktür, nichts weiter als die üblichen Klischees, die man auch in Schaufenstern von Reisebüros oder in Hochglanzprospekten findet: Palmen, Kamele und Wüste. Drei Wochen lang einfach mal abschalten, da war es mir fast schon egal, wohin, nur warm sollte es dort sein.

Nach ein paar äußerst stresserfüllten Tagen der Urlaubsvorbereitung, die noch dadurch erschwert wurden, dass ich mein Kurzfilmprojekt, das längst hätte beendet sein sollen, nicht fertigstellen konnte, fand ich mich dann eines frühen Morgens zusammen mit Britta, die sich als hervorragende Organisatorin und "Reiseleiterin" entpuppte, vollkommen ausgelaugt und übermüdet im Flieger nach Monastir wieder. Der Urlaub konnte beginnen!

Das erste Ziel auf unserer geplanten Reiseroute war Sousse, nur wenige Kilometer von Monastir entfernt. Nachdem uns der freundliche Taxifahrer wohlbehalten in der Innenstadt von Sousse abgesetzt hatte, ließen wir uns mit unseren Rucksäcken auf einer Mauer nieder und beobachteten ziemlich müde - es war noch vor 9.00 Uhr morgens und wir hatten wenig geschlafen – das Treiben. Und langsam kam es über mich: Dieses Gefühl, dem Stress der vergangenen Wochen entkommen zu sein, keine Verpflichtungen und Termine zu haben und einfach die Dinge auf mich zukommen zu lassen.

Ein Straßenfeger kehrte das Pflaster und aus dem Laden gegenüber hörte man ein Radio plärren, das arabische Musik spielte. Die ersten Händler öffneten ihr Geschäft und ein paar Mopeds knatterten vorbei. Die Luft atmete sich seltsam anders als die von zu Hause. In ihr lag eine Mischung aus Seeluft, dem Duft von frischem Gebäck, Mopedabgasen und Staub. Auch die Sonne schien hier eine andere zu sein. Trotz der frühmorgendlichen Stunde war es schon ziemlich warm, so dass es mir vorkam, als wäre es bereits Mittag.

Die ersten Touristen, die offenbar mit einem Reisebus vom Strandhotel in die Medina gebracht wurden, trudelten ein. Shorts, T-Shirt und Badelatschen bildeten einen unwirklichen Kontrast zur Kleidung der Tunesier.

Nachdem wir unsere Rucksäcke im "Hotel de Paris", einem kleinen, freundlichen und relativ günstigen Medinahotel, abgelegt hatten, zogen wir los, die Medina von Sousse zu erforschen. Hier machten wir unsere ersten Erfahrungen mit den Händlern. Naiv, wie wir anfangs noch waren, ließen wir uns auch gleich in ein Geschäft hineinbitten. Der freundliche Besitzer, der (wie so ziemlich alle tunesischen Händler) Verwandte und Freunde in Köln, Hamburg und Berlin hatte, Deutschland über alles liebte und uns einen besonders guten Preis machen wollte, da wir ihm als seine ersten Kunden Glück brächten, zeigte Britta sein gesamtes Sortiment an Ketten mit einem Anhänger in Form der "Hand der Fatima", einem weit verbreiteten Glücksbringer im arabischen Raum.

Wer schon einmal in einem tunesischen Touristenort Urlaub gemacht hat, wird wissen, dass es einfacher ist, aus einem Gefängnis für Schwerverbrecher zu entfliehen als aus einem tunesischen Souvenirladen. Uns gelang es dennoch, den geschäftstüchtigen Mann davon zu überzeugen, dass Fatimas Hand an Brittas Hals uns für 30 Dinar doch ein wenig zu viel des Glücks bedeuten würde und wir lieber darauf verzichten wollten. Als wir wieder draußen waren, ging es erst richtig los: Die Händler stürzten sich auf uns wie die Adler auf ihre Beute, beteuerten, wie sehr sie Deutschland liebten, dass sie Verwandte in München, Dresden und Frankfurt hätten und dass sie uns einen besonders guten Preis machen würden, da wir die ersten Kunden wären und Glück brächten...

Irgendwie schafften wir es, der "Gefahrenzone" zu entkommen und konnten unser nächstes Ziel anvisieren: die große Moschee in ihrer ungewöhnlichen, festungsartigen Bauweise. Da das Betreten der Gebetsräume für Nicht-Muslime verboten ist, setzten wir uns auf eine Treppe im Vorhof und genossen die angenehme Ruhe, die sich leider nach und nach verzog, als immer mehr Touristen dort auftauchten. Weil man, wie jeder gute Reiseführer bestätigt, eine Moschee nicht mit kurzen Hosen betreten darf, händigte man unpassend gekleideten Touristen Tücher aus, die sie wie einen Rock um ihre Hüften wickeln mussten. Ich muss schon zugeben, dass es uns ein wenig amüsierte, wie schnell ein deutscher Tourist zum Schotten mutieren konnte!

Nicht die Schotten, sondern die Aghlabiden errichteten Ende des 8. Jahrhunderts den Ribat (Wehrkloster) von Sousse. Eine Sehenswürdigkeit, die man nicht zuletzt deshalb besuchen sollte, weil man vom Wachturm aus eine herrliche Aussicht über die Stadt und den Hafen hat. Von hier aus erblickt man auch die unpersönlichen Hotelklötze am Strand, welche das Stadtbild ein wenig trüben. Wir waren froh, ein einfaches Medina-Hotel ausgewählt zu haben und den Urlaub nicht wie der typische Pauschaltourist in einer Bettenburg mit Swimming-Pool, Animation und "all-inclusive"-Angebot verbringen mussten, völlig abgeschottet vom tunesischen Leben.

Danach zog es uns in die abgelegeneren Winkel der Medina, und wir unternahmen einen vom Reiseführer vorgeschlagenen Medinaspaziergang. Leider erwähnte unser Reiseführer mit keinem Wort den freundlichen Herrn, der uns auf dem Weg in Richtung Kasbah aufhielt und uns warnte, dort weiterzugehen. Er schlug uns einen anderen Weg vor, mit viel schöneren Sehenswürdigkeiten, die besser geeignet für ein junges Paar wie uns wären. Da er uns nicht so recht überzeugen konnte, wurde er konkreter: Der Weg führe vorbei an einem Haus, in dem Damen einem zweifelhaften Gewerbe nachgingen, die Gegend sei verrufen. Ein wenig leid tat er uns dann schon, als wir unseren Weg trotzdem fortsetzten und er sich vermutlich ernsthafte Sorgen um unser Seelenheil machte. Wahrscheinlich hatte er im Gegensatz zu den Händlern keine Verwandten in Hamburg, Frankfurt oder Berlin, die ihm von St. Pauli oder dem Drogenstrich hätten erzählen können. Doch vielleicht war es besser so, denn diesen Kulturschock hätte er wohl nur schwer verdauen können.

Mit einem Strandspaziergang beendeten wir dann unseren ersten Urlaubstag. Erschöpft fielen wir in unsere Betten und holten unseren wohlverdienten Schlaf nach. Der war auch bitter nötig, denn dies war erst der Anfang einer Reise, die uns noch zahlreiche, aufregende Erlebnisse und Eindrücke bescheren sollte.

Jens