Montag, 21. Dezember 1998
Stuttgart - Djerba
Wohlverdienter Urlaub nach einem bewegten Jahr, vollgepackt mit Hausrenovierung, Internetservice, Single-Arbeit.
Die Zugfahrt ist mit drin im Ticket. Um elf starten wir nach Karlsruhe. Der Zug fährt pünktlich. Diethard wuchtet die Koffer nach oben ins Gepäcknetz. Schon greift der Hunger nach uns. Urlaubsstrapazen machen hungrig.
Mit der S-Bahn klappt es wunderbar. Wir haben noch genügend Zeit, um uns in dem süßen kleinen Stuttgarter Flughafen zurechtzufinden. Koffer einchecken. "Wollen Sie Nichtraucher? Die Sitze am Notausgang? Können Sie die Beine ausstrecken."
Sehen wir so klapprig aus? Aber das Angebot nehmen wir trotzdem gern an. Ist ein guter Platz mit viel Beinfreiheit, wie sich später zeigt.
Ein angenehmer Flug. Kurz. Gut zwei Stunden. Die Stewardessen haben alle Hände voll zu tun, die Bordverpflegung unterzubringen, den Kaffee und die zollfreien Waren.
In Djerba ist es relativ kühl. Afrika empfängt uns mit 15° und viel Wind. Der pfeift uns um die Ohren beim Aussteigen. Meinen Wintermantel kann ich durchaus vertragen.
Der Flughafen ist knallevoll. Fünf Flugzeuge kommen kurz hintereinander an, alles aus Deutschland. Die Leute passen nicht alle rein in die Halle. Ein Großteil steht noch draußen.
Fast eine Dreiviertelstunde dauerts, bis wir durch den Zoll sind. Wir stehen uns die Beine in den Bauch, rücken zentimeterweise vor. "Unser" Zollbeamter braucht eine Menge Kraft zum Stempeln. Direkt majestätisch macht er das, wie er pro Person drei Stempel setzt, einen in den Paß und je eines auf ein Einreise- und ein Ausreiseticket.
Geschafft. Wo ist unser Gepäckband? Die Orientierung fällt schwer. Drei Förderbänder gibt’s, doch nirgends steht was Informatives drüber. Es stellt sich raus, dass alle drei Förderbänder zusammenhängen, wie ein riesengroßer Lindwurm winden sie sich durch die Ankunftshalle.
Die Leute stehen in Dreier- und Viererreihen an. Eine weitere Dreiviertelstunde dauerts, bis wir unser Gepäck wiederhaben. Manche stehen auf den Gepäckträgerkarren, um einen besseren Überblick zu haben. Ein zerbeulter Karton, der fast auseinanderfällt, dreht einsame Runden. Keiner will ihn haben. Immer wieder kommen die selben Gepäckstücke, offensichtlich ohne Besitzer, wir begrüßen sie langsam wie alte Bekannte. Spärlich auch mal was Neues dazwischen. Ab und zu fischt ein Glücklicher einen Koffer raus und zieht ab. Hinter uns ein junges Mädchen aufgeregt: "Da vorne, der grüne. Können Sie mir den mal nach hinten geben?" Doch schon ist er weg, der grüne. Hat jemand anders genommen. In der nächsten Runde steht er aber wieder drauf. Und ein zweiter gleicher folgt. Überhaupt erstaunlich eigentlich, dass es so wenig gleiche Koffer gibt. So viel unterschiedliche Modelle kommen da an.
Weiter geht’s. Draußen stehen die Reiseleiter. Auch ein Mensch mit TUI-Schild. Bus 11, sagt er. Aha. Draußen stehen Busse gleich hordenweise. Bus 11 ist natürlich ganz weit hinten. Ein kleiner Bus. Gepäckträger wuchten die schweren Koffer nach oben auf den Dachgepäckträger. Sie schwitzen trotz des kalten Windes. Einer bleibt oben sitzen und fährt in luftiger Höhe mit zum Hotel.
Der Transfer ist nicht weit. Erfreuliche 20 Minuten durch die Dunkelheit. Ein paar Palmen am Wegesrand, viel ist noch nicht zu sehen. Und dann taucht die Clubanlage vor uns auf. Ein Märchen aus 1001 Nacht, so stehts im Katalog, und so wie’s auf den ersten Blick aussieht, ist‘s nicht übertrieben.
Weitere Informationen zu diesem Clubhotel und andere Robinson-Clubs gibts auf den Robinson-Seiten im Internet:
http://www.robinson-club.com/cgi-bin/WebObjects/TUI?RobinsonSchon draußen vorm Eingang werden wir begrüßt mit einem Eistee mit Pfefferminzgeschmack. Nur ein paar colagewohnte Jugendliche verziehen das Gesicht ob des fremdartigen Getränks.
Drin freundliche Gesichter in blauweißen Ringelpullis, die "Robins". Man heißt uns herzlich willkommen, drückt uns die Anmeldeformulare in die Hand, schnurrt erste Infos runter und überreicht uns den Schlüssel mit eleganter Handbewegung in die entsprechende Richtung. Im Foyer lächeln uns Papp-Rentiere entgegen in einer Winterlandschaft aus weißem Vlies mit vielen bunten verheißungsvollen Paketen drunter. Weihnachten ist überall... Daneben Infosäulen – ein Blick darauf: welche Ausflüge gibt’s? Was kann man unternehmen?
Wir wandeln einen langen Gang entlang zu den Zimmern. Der Gang ist ein riesiges Gewächshaus. Wir kommen vorbei an riesigen Gummibäumen, Benjaminis, Yuccapalmen, Efeus, dazwischen eine sprudelnde Wasserlandschaft. Alles ein paar Nummern größer als zuhause und sehr stimmungsvoll beleuchtet. Täglich sind mehrere Gärtner zugange. Jedes Fitzelchen Erde ist sauber geharkt. Unkraut hat keine Chance. Immer haben sie kleine bunte Besen dabei. Nicht zum Harken, nein. Damit kehren sie ihre Schuhe ab, wenn sie aus den Beeten treten. Ist schließlich nebendran gleich Teppichboden
Das Zimmer nennt sich Juniorsuite, so zwischen 40 – 50 qm, mit verschiedenen Ebenen, Balkon, Meer- und Swimmingpoolblick. Im Schlafbereich ein Doppelbett zum Verlieren und riesiger Schrankraum, im Wohnbereich eine Couch, ein Zustellbett, Fernseher, Minibar, Tresor... Noch mehr Schrankraum, Bad und Toilette getrennt, an alles gedacht, sogar an eine Badewanne mit Whirlfunktion. Sieht so aus, als ob das hier ein wunderschöner Urlaub werden könnte.
Nach dem Auspacken ist es Zeit zum Abendessen. Wir schreiten zum Restaurant. Großes Büfett in der Mitte, drumrum Tische zur Auswahl. Für die Kontaktfreudigen Achtertische, für die Maulfaulen kleine Tische. Jeder, wie er will. Bißchen blöd für uns Neuankömmlinge, sich einfach dazuzusetzen an Tische, wenn nebendran freie sind? Sowas ist man von zu Hause ja nicht gewohnt.
Wir landen bei ein paar blauweiß-geringelten Robins. Nette Unterhaltung. Das Büfett ist so reichhaltig und verlockend, dass ich gar nicht weiß, was ich will. Salat, warmes Essen, süßer Nachtisch, Eis...
Um 21.45 beginnt das Abendprogramm im Patio. 18m hoch ist dieser Raum, hat eine Bühne, eine tolle Musik- und Lichtanlage, gegenüber der Bühne die Bar. Am ersten Abend fängt die abendliche Unterhaltung ziemlich bescheiden an. Zwei, drei Playbacklieder. Dann eine Mode-Show vom Robin-Store. Wo sind wir hier gelandet? Werbeverkaufsveranstaltung? Kaffeefahrt? Danach Disco-Musik. Die Robins bemühen sich redlich, das schlaffe Volk auf die Tanzfläche zu bringen. Sind damit nicht sehr erfolgreich. Einer fällt uns auf. So wie der da tanzt, das muß wohl ein Tanzprofi sein.
Ein Drink an der Bar, ein Rundgang durchs Hotel. Das wars dann schon für den ersten Tag. Der tägliche Routine-Gewaltakt: Das festgezurrte Bettzeug rausreißen aus seiner Verankerung, damit man sich drin rühren kann.
Wir schlafen wunderbar.
http://www.wehn-online.de/reise/djerba/2112.htmDienstag, 22. Dezember 1998
Halbtagestour auf Djerba / Teil 1
Erster Blick zum Fenster. Links Blick auf das Meer, rechts der Blick auf den Swimmingpool. Das Wetter ist einigermaßen. Sonne, aber auch Wind. Das Aufstehen fällt schwer. Fehlt doch der heimelige morgendliche Bettkaffee.
Frühstück. Zu wem setzen wir uns? Schließlich haben wir doch extra deswegen einen Club gebucht, um sofort Leute kennenzulernen. Soll doch da angeblich ganz zwanglos zugehen. Aber trotztdem fällt es uns anfangs nicht ganz leicht.
Nach dem Frühstück die Einführung für die Neuangekommenen. Per Video-Leinwand im Patio, mit Begrüßungsdrink und ausgiebigem Rundgang durch das gesamte Areal. Prachtvolles Gebäude, voller Marmor, nur das Feinste vom Feinsten. Sehr hübsch. Der Stolz der Robins. Jeden Abend gibt’s hier tolle Shows. Stimmt, abgesehen vom ersten.
Erstaunt stellen wir auch fest, welch reichhaltiges Vergnügungsangebot es hier gibt. Bogenschießen, Tennis, Billard, Tischtennis, Tischfußball, Segelsport, Seidenmalerei, Kochkurse, Tanzkurse... alles drin im Preis...
Schon ist es wieder Zeit zum Mittagessen. Die guten Vorsätze schwinden dahin wie Butter in der Sonne...
Was wollen wir unternehmen? So ein paar Tage sind ja schließlich schnell rum. Eine Thalasso-Kur zum Verwöhnen für Monika auf jeden Fall. Aber ein bißchen Kultur soll‘s schließlich auch sein.
So buchen wir eine Halbtags-Inselrundfahrt und eine Tagesfahrt nach Matmata, zu den Höhlenwohnungen und begeben uns in den Thalasso-Flügel des Hotels. Erst mal zum Arzt. Der scheint einen relaxten Job zu haben. Ich muß ein paar Fragen beantworten: Krankheiten? Operationen? Krampfadern?... Der freundliche junge Arzt mit den schönen dunkelbraunen Augen und Vollglatze untersucht mich kurz. Alles okay. Und sagt ganz verwundert: "Was, Sie sind schon 46? Das sieht man Ihnen aber wirklich nicht an."
Alter Schmeichler mit Routinespruch. Tut aber gut, und ich spüre bereits schon die verjüngende Wirkung der morgen beginnenden Thalassokur.
Am Nachmittag startet der Halbtagsausflug, die Inselrundfahrt. Also versammeln wir uns um 14 Uhr an der Rezeption. Viel Zeit ist ja sowieso nicht, um halbsechs ist es schon zappenduster.
Der Reiseleiter ist auch schon da, die Jeeps noch nicht. Man steht, unterhält sich, guckt auf die Uhr, nach draußen. Nach einer halben Stunde endlich kommen die Jeeps. Gab Schwierigkeiten mit dem Ramadan. Der Ramadan wird uns noch öfter begegnen...
Wir haben einen guten Reiseleiter erwischt. "Land und Leute" will er uns vermitteln. Tut er auch. Im Gegensatz zu anderen solchen Ausflügen karrt er uns nicht an die Touristenstätten, um Kitschkitsch zu kaufen, sondern zeigt uns Alltagsleben.
Erste Station ist eine nicht sehr imponierende Gedenkstätte mit Blick auf das spanische Fort. Wir hören was von Kriegen und 500 aufgestapelten Köpfen, aber all das ist zum Glück schon sehr lange her, und die Einzelheiten gehen in den ersten Eindrücken verloren.
Wir sitzen hinten im Jeep, in der 3. Reihe, so daß das Aus- und Einsteigen schon eine gewisse Sportlichkeit erfordert. Weiter geht’s nach Houmt Souk, der Hauptstadt von Djerba.
Houmt Souk ist ein kleines beschauliches Städtchen, touristisch sehr angenehm zu erlaufen, zumindest zu dieser Jahreszeit. Die Händler hocken friedlich in ihren Läden, lächeln uns mal kurz an, sprechen uns auch mal kurz an, lassen es aber bei einem Satz bewenden. Offensichtlich sind sie saisonmüde. Die Auslagen allerdings prallvoll wie eh und je. Diese Unmengen an Schuhen, Taschen, Gewändern, Messingschalen, Töpfereien... In jedem einzelnen Stück eine Menge Handarbeit. Wer kauft sie bloß?
Souks, enge Gassen. Stinkende Mopeds knattern durch, vorbei an den fein säuberlich aufgestapelten Waren. Mürrische Gesichter mustern uns. Der Reiseleiter weist uns darauf hin. Die sind hungrig und schlecht gelaunt. Ramadan. Eine harte Probe. Tagsüber hungern und den ganzen Tag Essen vor sich zu sehen. Nach Einbruch der Dunkelheit dann zuschlagen. Ob das so gesund ist? Anstrengend sicher. Außerdem sind all die anderen Verbote sicher auch ganz schön anstrengend: Für die Augen - sie dürfen Schönes (Frauen) nicht sehen. Tagsüber herrscht strikte Enthaltsamkeit, auch für die Gedanken... Für die Ohren – sie dürfen keine Kritik vernehmen. Für den Mund – man darf nicht lästern über andere. Trinken ist auch verboten, Rauchen ebenso, Strenggläubige nehmen noch nicht mal tagsüber ihre Medizin. Im Winter mag das Trinkverbot ja noch leichter durchzuhalten sein, aber im Sommer? Der Ramadan ist ja nicht immer zu gleichen Zeit, sondern der Termin verschiebt sich in jedem Jahr um zehn Tage nach vorne.
Kinder brauchen nicht mitzumachen, werden aber von klein an dran gewöhnt, tageweise tagsüber aufs Essen zu verzichten.
Wir winden und schlängeln uns durch die Gassen, immer schön unserem Führer nach. Klar gibt’s Ausreißer. Ein älterer Herr schert aus, er will hier Fotos entwickeln lassen. Ist bestimmt billiger als im Hotel, beharrt er. Die dazugehörige Gattin, Typ Elisabeth Flickenschildt, faucht ihn an: "Ja, und? Wie willst du wieder herkommen? Kostet doch mehr Geld als die Bilder im Hotel entwickeln zu lassen."
Wo sie recht hat, hat sie recht. Ihr Gatte schmollt allerdings. Elisabeth geht hocherhobenen Hauptes im Touristenstrom einher durch die Souks, wirft mal rechts einen Blick, mal links einen Blick auf die dargebotenen bunt-glänzenden Waren. Am Ende sammeln wir uns auf einem freien Platz und sie schießt auf den Reiseleiter los: "Wo haben Sie meinen Mann gelassen?"
Wir drumrum grinsen uns eins. "Elisabeths" Mann sieht nicht so aus, als ob man ihn irgendwo lassen könnte. Der machte durchaus einen ziemlich selbständig-sturen Eindruck. Der Reiseleiter verkneift sich eine Antwort, dreht sich rum und macht sich auf die Suche nach dem verlorenen Sohn. Er fängt ihn tatsächlich wieder ein. Währenddessen rumort bereits die Gruppendynamik. Unfreundliche Blicke treffen die "arme Elisabeth", gute und unerbetene Ratschläge, wie man sich als guter Tourist zu verhalten habe, werden ihr erteilt.
Kaum angekommen, will das verlorene Schäfchen wieder ausscheren beim nächsten Teppichhändler, doch der Reiseleiter zieht es resolut am Arm weiter zum Fischmarkt.
Man riechts. Einträchtig versammelt stehen Körbe mit Fischen, Fladenbrot, klebrig süßes Gebäck. So voll, dass man kaum durchkommt und Mühe hat, den Reiseleiter und die Gruppe auszumachen. Andere Touristen bekommen wir nicht zu Gesicht.
Frische Luft, sie tut gut. Wir sind dort gelandet, wo der Pfeffer wächst. Die Straße ist gesäumt von Pfefferbäumen. "Elisabeth" reißt Pfeffer ab, schnuppert daran. "Das kann man essen." Der Reiseleiter sagt: "Nein, ist giftig, kann man nicht essen!" Aber "Elisabeth" beharrt auf ihrer Meinung. "Essen? Bringt Geld? Wir noch nicht gewußt. Ab morgen wir gleich verkaufen. Hier" damit reißt er büschelweise die Pfefferkörner ab und drückt sie der sich Wehrenden in die Hand. Es bleibt ihr nichts übrig, als sich die Taschen damit vollzustopfen.
Weiter geht’s zur Synagoge. Angeblich ein berühmter Pilgerplatz. Im Reiseführer finden wir allerdings nichts dazu. Klar, Schuhe müssen wir ausziehen und eine Kopfbedeckung aufs Haupt. Kopftücher werden ausgeteilt. Ihhh. Hoffentlich finden sich keine Bewohner drin. Es geht locker zu am Eingang. Man scherzt mit den Touristen. Den Männern werden auch Kopftücher hingehalten mit schelmischem Grinsen. Müssen sie aber nicht aufziehen. Das obligatorische Käppchen tut’s auch.
Nur wenige Gläubige drin. Da hinten in der Ecke sitzt einer und ißt. Gegenüber brabbelt einer die ganze Zeit vor sich hin. Es hört sich an, als ob er mit uns schimpft. In der Mitte hockt ein Uralter auf der Bank, guckt uns auffordernd an mit Feuer im Blick und klopft heftig mit einem Holzstock auf ein Schaufenster. In deutscher Schrift steht da eine deutliche Spendenaufforderung. Erbost nimmt er zur Kenntnis, dass wir weiterschlendern, verstärkt sein Geklopfe und fordert eine Zigarette. Kriegt er dann auch.
Dienstag, 22. Dezember 1998
Halbtagestour auf Djerba / Teil 2
Zurück zu den Jeeps. Völlig durchfroren und kulturgesättigt klettern wir hinein. Noch ein letzter Stop auf einem Markt im Töpferdorf Guellala. Wir werden in einen Hof geführt. Ãœberall hängen Bilder von prominenten Besuchern und Zeitungssausschnitte. Der Besitzer, so hören wir, hat die tunesischen Töpfereien in der ganzen Welt bekanntgemacht, in Europa, Amerika, Asien. Die Töpferscheibe ist in Aktion, in Minutenschnelle wird aus einem Tonklumpen ein eleganter Krug. Und in Sekundenschnelle wird er wieder kaputtgemacht. Bloß Demonstration. Ringsherum im Hof lagern die vielen getöpferten, gebrannten, bemalten Stücke. Darf man kaufen. Doch der Verlockungen sind, wenigstens in unseren Augen, wenig. Und was tun anschließend mit den schweren Dingern? Und so ganz paßt’s dann doch nicht zuhause in das heimische Ambiente. Aber ein Klo entdecken wir. Hinten im Hof, wie erwartet, so eine wenig einladende französische Stätte, die man ganz schnell wieder verläßt und vorher tunlichst die Lungen noch mit einer Prise Frischluft füllt. Aber was hilfts: Wat mut, dat mut.
Wir schlendern weiter zum Markt. Bunte Gestalten laufen da herum auf diesen Märkten. Wirken für uns wie verkleidet. Die einen mit der traditionellen braunen, 5 m langen, Decke bekleidet. Sie wird einfach drumrumgewickelt, hat vorne in der Mitte eine Befestigung durch eine Kordel, scheint aber auch ständig mit einer Hand festgehalten werden zu müssen. Die traditionelle Bekleidung seit 3000 Jahren, scheint mir zwar warm, aber doch unpraktisch zu sein. Dann gibt’s noch die modernere Version, ein richtiger Schnitt, mit Kapuze und, dank eines Reißverschlusses, herausnehmbaren Ärmeln. Dazwischen wuseln Adidas-Trainingsanzüge und ganz normale Windjacken herum.
Besonders beeindruckend: An den Ständen, an denen es Kamelfleisch gibt, hängt als unmißverständliches Zeichen ein Kamelkopf aus. Ein wenig schaudert es uns dabei schon...
Unser Reiseleiter kauft noch eine Tüte Süßigkeiten, klebrig-honig-banane-Stücke. Wir dürfen alle mal. Schmeckt ganz gut, aber erzeugt eklig-klebrige Finger. Krieg sie fast nicht mehr auseinander.
Wieder rein in den Jeep, am Ende der Ortschaft steigen wir nochmal aus. Der Imam betet. Es ist bald dunkel. Der Reiseleiter erklärt uns: "Wenn das Gebet zu Ende ist, rennt alles aus der Moschee. Die Leute haben es dann ganz furchtbar eilig und in wenigen Minuten sieht man überhaupt niemand mehr auf der Straße. Dann können wir ganz schnell fahren, ist keiner mehr unterwegs". Recht hat er, wie wir bald feststellen.
Vorher aber zeigt er uns noch, wo die Dorfbewohner ihre Krüge brennen und aufbewahren. Keine Dekoration, sondern lebensnotwendige Vorratsbehälter. Für Getreide, Gemüse, Tintenfische. Diese Tintenfischkrüge haben unten ein Loch. Die Tintenfische fangen sich im Krug, und unten läuft das Wasser raus. Sonst wär’s ja zu schwer beim Hochhieven. Die Eier indessen sind so groß, dass sie im Krug bleiben.
Tja, das war‘s. Vier randvolle Stunden, es geht zurück ins warme Hotel. Ich verkrabble mich gleich in die schöne heiße Badewanne und lasse es whirlen. Blöder Nebeneffekt dabei. Durch das Gewhirle bläst und plustert sich der Schaum auf, so dass die Wanne überzulaufen droht. Der Gatte informiert sich derweil über TV, was die Welt so bietet und die Wetterkarte für die nächsten Tage verheißt.
Das Abendessen ruft. Die Gesellschaft ist gemütlich. Wir bleiben so lange sitzen, bis das Abendprogramm ruft. Playback-Show. Naja, denken wir, wird nicht so toll. Aber da haben wir uns getäuscht. Neben bekannten Musicalmelodien wirbeln auch John Travolta, Michael Jackson und die Blues-Brothers über die Bühne. Wir lachen Tränen bei dem Stück "We are the world", als der Entertainchef, ein wirklich charmanter gutaussehender Franzose mit einem gewinnenden Lächeln, immer korrekt-lässig-leger gekleidet im Anzug, Michael Jackson mimt, mitsamt dem berühmten Griff, dabei die Hose fallen läßt und in einer blau-pailletten-glitzernden Shorts dasteht. Schlag auf Schlag verwandelt er sich in einem Affentempo, immer abwechselnd zusammen mit einem anderen "Robin", in verschiedene Musiktypen – Bob Dylan, Michael Jackson, Tina Turner und viele andere amerikanische Showgrößen. Die beiden haben ein Bügelbrett auf die Bühne, beladen mit verschiedenen Requisiten, die sie nach Gebrauch wild auf der Bühne verstreuen. Professionell gebracht, das Ganze, und der Saal tobt.
Danach lernen wir bei einem Drink noch Heike und Klaus kennen. Diethard ist "erkannt", erzählen sie uns. Beim ersten Abendessen war ein Gast "aus der Musikbranche" an ihrem Tisch absolut überzeugt: "Das ist der Sänger von Karat." Anstatt Diethard nun zu fragen, ob er es tatsächlich sei, rief er sofort übers Handy jemanden an. Wie der nun allerdings wissen sollte, ob Diethard der Sänger sei, das blieb uns schleierhaft. Klar, nun hatte Diethard seinen Spitznamen weg...
Mittwoch, 23. Dezember 1998
Eine Thalasso-Kur für die Dame
Der Tag beginnt natürlich mit dem üppigen Frühstück am großen Tisch direkt am Fenster mit bezauberndem Panoramablick. Da wiegen sich die Palmen im Winde, oder besser gesagt, der zerrt gewaltig daran. Der Himmel ist blau, doch die Gischtkronen auf dem Meer sprechen eine deutliche Sprache – auch hier ist Ende Dezember, und nur gut 1600 km weg von zu Hause kann man keine Wunder erwarten. Aber immerhin scheint die Sonne, und Kamele mit roten Tüchern lagern malerisch im Sand.
Im Hotel gibt’s verschiedene Möglichkeiten der Regeneration. Zum Beispiel eine Thalassokur, die ich gebucht habe. Aber auch Abnehmkuren, die offensichtlich die sehr Beleibte junge Dame mir gegenüber gebucht hat. Sie stochert lustlos in ihrem Müsli herum. Eine junge Frau mit Ausmaßen für zwei, wohl geplagt vom Ramadan-Syndrom, denn sie guckt ausgesprochen freundlich und muffig. Sie begegnet uns noch einige male im Hotel, aber ein Lächeln entdecke ich nie auf ihren Lippen.
Wir gönnen uns noch einen kurzen Strandspaziergang. In einer Dreiviertel-Stunde muß ich ja schon antreten zur Thalassokur. "Zehn Jahre jünger sieht man dann aus", so verheißt man uns. Aber bloß, wenn man die 7-Tage-Kur macht. Doch dafür haben wir nicht genügend Zeit. Die 3-Tages-Kur muß reichen. Ist auch wirklich teuer genug.
Die Strandspaziergangszeit war kurz. Abgehetzt komme ich fünf Minuten zu spät an die Thalasso-Rezeption und kriege gleich einen Rüffel. Beim nächstenmal bitte pünktlich...
Umkleidekabine. Bademantel an. Alle sind wir nun gleich und tragen das gleiche unkleidsame lachsfarbene Frotteebademäntelchen und weiße Schlurfpantoffeln. Ab ins Bad. Ein großes Schwimmbecken mit warmen Meerwasser gefüllt, liegt im ersten Stock. Panoramafenster ringsrum, ein großer Balkon. Blick aufs Meer, Palmen, Kuppelbauten.
Eine Frau treibt im Wasser, auf einer seltsamen Konstruktion. Der Trainer daneben winkt mich rein ins Wasser und baut mir dieselbe Schwimmkonstruktion aus armdicken, langen Schaumstoffröhren in Marsh-Mellows-Farben. Sie sehen aus wie die große Ausgabe dieser bunten Luftballonwürste, mit denen Zauberer Tiere basteln. Ein so’n Ding untern rechten Arm, eins untern linken, eins unter die Knie, schwupps. Und zwei in den Nacken. Da liege ich nun und harre der Dinge, derweil ein Paar das Bad betritt. Prüfende Blicke kreuzen sich..
Die Dinge entwickeln sich angenehm. Fußreflexzonenmassage, Handmassage, Kopfmassage. Hübsches Gefühl, leider viiiiiel zu kurz. Dann beraubt er mich meiner pastellfarbenen Schaumstoffstützen und ich werde vor den Massagedüsen abgestellt. Bestimmt eine Viertelstunde lang. Die voll geschminkte Dame bekommt eine Sonderbehandlung, sie wird ins Wasser gestellt, der Masseur zieht ihr den Hals lang. Es sieht ein wenig doof aus, scheint ihr aber gut zu gefallen. Ihr Gatte wird derweil vor den Sprudeldüsen abgestellt und schießt schräge Blicke.
Ich werde rausgeholt, wickle mich in mein lachsfarbenes Bademäntelchen. Das richtige? Ist die Anwendungskarte drin? Und werde draußen im zugigen Gang hingesetzt, bis der dunkelhäutige Masseur das Sprudelbad eingelassen hat. Mindestens zehn Masseure und Masseusen zähle ich. Sie sitzen auf dem wie die Hühner auf der Stange auf dem Ruhebänkchen und teilen sich die Patienten auf. Scheint auch ein einigermaßen überschaubarer Job zu sein, streng nach Geschlechtern geteilt. In den folgenden Tagen sehe ich: Frauen werden prinzipiell von Frauen massiert. Männer von Männern. Man erzählt uns, Tunesier seien sehr "körperbewußt" bzw. aufdringlich Frauen gegenüber. Und jetzt im Ramadan sowieso.
Schön züchtig im Badeanzug begebe ich mich ins Sprudelbad. Das Wasser einlassen für eine Frau im Badeanzug darf offensichtlich auch ein Mann. Ich sortiere die Gliedmaßen unter der Halterung und los geht’s. Angenehme Sprudelmassage aus verschiedenen Düsen, die den Körper rauf- und und wieder runterwandert. Könnte man doch stundenlang so aushalten. Zwischendurch streckt der Masseur den Kopf rein: "Alles klar?" – Na klar ist alles klar. Leider sind die 20 Minuten viel zu schnell um und ich muß wieder raus.
Wohin jetzt? Algenpackung. Eine Liege, mit Plastiküberzug, daneben ein kleines Waschbecken mit einer Schüssel unappetitlicher Schlammasse drin, dahinter eine große Dusche. Badeanzug aus. Rauf auf die Liege. Auf die rechte Seite drehen. Die Thalassoleute sprechen kaum Deutsch. Sie gehören nicht zum Robinson-Club, sondern sind ein eigenes Unternehmen. Die Angestellten vom Robinson-Club hingegen sind getrimmt. Sie verstehen fast alle gut Deutsch. Es gibt sogar extra eine "Robin" für den Deutschunterricht.
Endlich liege ich wunschgemäß. Die Masseuse schlammt mich ein, von oben bis unten. Gründlich, jeden Quadratzentimeter bis zu den Schultern. Ich fühle mich wie ein Kuchen, der mit Schokoladeguß überzogen wird. Bloß stinkt diese "Kuvertüre" nicht schlecht. Ich liege auf dem Rücken, Hände auf dem Bauch, sie verpackt mich fest in der Plastikfolie. Gut warm ist es da drin. Könnte mir vorstellen, dass so mancher dadrin Platzangst kriegt oder so was. Licht aus, Tür zu. Nach zehn Minuten Kontrolle: "Alles klar?" Soviel Deutsch ist Allgemeingut.
Alles klar. Könnte man eigentlich schön relaxen, ist so schön warm in der Packung. Bloß draußen vor der Tür ist es laut. Kichern. Irgendwie muß das Massagepersonal auch den Tag rumkriegen.
Nach 20 Minuten Stinkepackung werde ich ausgewickelt. Muß mitsamt Plastikfolie in die Dusche wanken. Gar nicht so einfach, damit nicht auf dem Dreistufen-Hocker auszuglitschen. Und gar nicht so einfach, den Schlamm aus allen Ritzen zu kriegen.
Letzte Anwendung: Ganzkörper-Massage. Sie schmiert, knetet, hämmert, walkt. Da breitet sich Wohlfühlgefühl aus. Das Leben ist einfach schön. Die Haut ganz weich...
Zwei Stunden dauert das Ganze. Mit nassen, verknuddelten Haaren, im Trainingsanzug, latsche ich durch die wunderschöne Hotelhalle und suche den Gatten. Der sitzt cappucinotrinkend im Patio. Er lag zwischenzeitlich in der Sonne und freut sich ebenfalls seines Lebens...., das jetzt gleich den Mittag-Essen-Höhepunkt erfährt und dann Siesta...
Um halbvier fängt der Tanzkurs an. Kai, der gute Tänzer, der uns am ersten Abend aufgefallen ist, verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen. Er macht hier 14 Tage Urlaub für umme und gibt dafür nachmittags Tanzunterricht. Mein Gatte hatte leichtsinnigerweise bei der Vorstellung seine Teilnahmeabsicht bekundet. Klar, dass ich das nicht mehr vergesse...
Vier Leute haben sich versammelt, außer uns. Immerhin. Der kleine ältere Herr, Oskar, eine ständig redende Quasselstrippe, ist auch schon da. Eine blonde Alleinreisende, einen Kopf größer als er. Sie hat er sich sofort auserkoren. Leider tanzt er wesentlich schlechter als er redet. Noch zwei Singles. Sie wollen argentinischen Tango tanzen. Wir anderen gehören zur Anfängerkategorie und sollten vielleicht doch eher mit Disco-Fox-Grundschritten beginnen.
Oskars Partnerin müht sich redlich. Kai, der Tanzlehrer, grinst stillvergnügt in sich hinein. Wir beide sind auch nicht gerade die begnadetsten Tänzer. Latsch-Latsch-Tap, ruft Kai uns den Grundschritt wieder ins Gedächtnis. Latsch-Latsch-Tap, Latsch-Latsch-Tap, so langsam kommts wieder. Noch’n büschen langsamen Walzer obendrauf, kann man ja auch mal gebrauchen und Wiener Walzer, das brauchen wir am Sonntag abend, weiß Kai. Aber ich fürchte, der Wiener Walzer muß ohne uns auskommen.
Da noch ein bißchen spazierengehen, dort noch ein bißchen gucken, erzählen, flanieren, schon ist Abendessenzeit und Showtime. Ein Spiele- und Quizabend steht auf dem Programm. Beim Abendessen haben die Gäste farbige Bändchen verpaßt bekommen, um sie in Gruppen, sortiert nach Sternzeichen, einzuteilen. Wir waren natürlich mal wieder zu spät. Die Animation hier im Athenee-Palace Djerba, so hat uns die Leitung inzwischen erklärt, folge einem neuen Konzept. In anderen Robinson-Clubs sei die Animation aggressiver, härter, jeder würde einbezogen und sollte mitmachen. Die Zimmer seien eher spartanisch eingerichtet. Die Devise: Nur drin schlafen, tagsüber raus. In den Speisesälen gäbe es nur Achtertische. Essen werde erst serviert, wenn der Tisch voll ist. Viele Gäste erzählen uns davon. Es hätte gleich ein Gemeinschaftsgefühl gegeben, die Eintretenden seien gleich an der Tür empfangen worden: Kommt her, dass wir endlich was zu essen kriegen...
Viele der Gäste kommen immer wieder in Robinson- oder andere Clubs. Ist halt doch eine ganz andere Atmosphäre als in einem normalen Hotel. Uns gefällt‘s auch gut. Leider sind diese Cluburlaube halt nicht sonderlich preiswert.
Der Quizabend scheint nicht so gut anzukommen. Eine Menge Animateure schwirren herum. Ungefähr 30 sind das, die alleine zur Unterhaltung, für Sport, Spiel und Spaß sorgen. Im Moment sorgen ca. 340 Hotelangestellte für ca. 250 Gäste. Nächste Woche wird die Anlage ausgebucht sein, da werden sich hier fast 600 Gäste tummeln. Dann ist hier sicherlich Remmidemmi geboten...
Im Moment aber stehen die aufgereihten Stühle leer und verlassen. Die Gäste haben sich außenrum gruppiert in den Polstersesseln oder klammern sich am Barhocker fest. Vier Gruppen gibt’s. Die Animateure mühen sich redlich, "ihre" Sternzeichen auszumachen und sie in die Gruppen zu zerren. Keiner will. Alle wehren sich. Und da zeigt sich, wer ein echter Animateur ist. Sie schaffen es tatsächlich, ihre Gruppen vollzubekommen. Sogar ich geh mit...
Die Fragen sind ganz schön happig. Ein großer Konkurrenzkampf entbrennt. Schlachtrufe werden gebrüllt ("Wir sind ..." – "Spitze!" – "Warum?" – "Weil wir blau sind!"). Wir gehören zur Gruppe "blau". Unser Häuptling schreit sich die Seele aus dem Leib, wirft sich vor Begeisterung auf den Boden, wenn wir vorne liegen und ist mit sichtlichem kindlichem Vergnügen bei der Sache. Einfach mitreißend. Macht richtig Spaß. Und endlich weiß ich auch, was am 15. April 1912 geschah....
Unsere Gruppe wird immerhin zweite.
Donnerstag, 24. Dezember 1998
Heiligabend mal ganz anders
Strahlende Sonne begrüßt uns am Morgen – schwer vorstellbar, daß heute Heilig Abend ist. Das Frühstück rutscht zumindest bei mir schon nicht mehr. Das Fassungsvermögen ist langsam erreicht. Ich will lieber ein bißchen Auslauf haben.
So strebe ich zum Aerobic. So langsam tröpfeln von allen Seiten Bewegungswillige ein. Aerobic findet heute draußen statt. In einer herrlichen Umgebung im Freien, überdacht. Tolle Atmosphäre, ringsherum die Palmen in der schönen Gartenanlage, blauer Himmel, blühende Bodendecker. So läßt sich‘s leben. Oskar, der Schwätzer, ist natürlich auch dabei. So dauert es schon mal zehn Minuten, bis er die Klappe hält und wir loslegen können. Schade für mich, denn um elf muß ich beim Thalasso sein. Diesmal aber pünktlich. Der Fernsehmann kommt vorbei und hält auch meine eleganten Streckbewegungen fest. Jeden Tag wird hier ein Film gedreht über die Aktivitäten und um 18 Uhr im Patio und via TV in den Zimmern gezeigt.
Aber ich stelle fest: eine halbe Stunde langt auch. Ist doch ganz schön anstrengend mit der Koordination. Oskar schwitzt aus allen Rohren. Auch ich habe schon längst den Pulli vom Leibe gezerrt.
Pünktlich um 11 stehe ich da. Aber diesmal stimmt der Termin nicht. Mißverständnis. Dachte ich doch, ich hätte mir für alle drei Tage einen Elf-Uhr-Termin erkämpft, hatte die freundliche Dame an der Rezeption auch so gesagt. Auf der Karte allerdings ist was anderes eingetragen.
Hmm. Heute nachmittag will ich aber nicht. Ist doch Weihnachtsfeier. Und für morgen, Freitag, haben wir eine Ganztagestour gebucht. Bleibt also bloß noch Samstag und Sonntag. Nach längerem Hin und Her stehen die Termine, und ich habe frei für heute. Herrlich, so ein ausgesprochen wunderschönes Wetter heute, ein richtiges Weihnachtsgeschenk. Also wieder zurück ins Zimmer, Pulli geschnappt und Kamera. Auf zum Strand. Etliche Liegestühle sind belegt, manch Unentwegte liegen sogar im Badeanzug da. Naja, man muß ja nicht gleich alles übertreiben.
Etliche Strandläufer sind unterwegs. Ich ziehe die Schuhe aus, bohre die Zehen in den nassen Sand. Schön. das Strandwandern. Die Aerobic-Leiterin kommt uns entgegen mit ihrer Strandwalking-Gruppe. Vier forsche energiesprühende Damen in einer Reihe mit zackigem Schritt und hocherhobenen Ellbogen, die Daumen nach oben gestreckt. 50 m dahinter wankt noch ein einsames, erheblich weniger energiesprühendes Wesen, Daumen auf Halbmast, Blick stur geradeaus.
Das Meer wirkt heute sauber. Es ist fast windstill. Ein kilometerlanger Sandstrand, daneben Dünen, grasbewachsen. Ein abgerissenes Haus. Was sollte das wohl werden? Reste eines Bootes vergraben im Sand. Daneben hocken Fischer, Netze liegen herum, ein Kamel stolziert ganz allein herum und würdigt die Touristen keines Blickes. Weit dahinter noch vier Kamele mit ihren Besitzern. Die sind ausgesprochen freundlich, kein bißchen aufdringlich. Sehr angenehm.
An einem windgeschützten Plätzchen in den Dünen lassen wir uns nieder. Pulli aus, Sonne tanken. So läßt sich Weihnachten doch aushalten. Wolken schieben sich vor die Sonne, schon frösteln wir wieder. Doch die Sonne ist stärker.
Zeit zum Essen. Wir spazieren zurück. Vom Tisch aus haben wir die Surfer im Blick, wie sie von ihren Brettern fallen. Welch schöne Kulisse: die Palmen, das Meer, die malerisch drapierte Kamelherde, heller Sonnenschein und dazu das reichgefüllte Büfett und nette Tischnachbarn. Mit dem "Du" haben wir anfangs noch so einige Schwierigkeiten gehabt, doch das hat sich nun gelegt. Im Robinson-Club ist es Sitte, jeden zu duzen. Wer das nicht will, siezt halt zurück. Die üblichen Fragen und Phrasen leiten die neuen Bekanntschaften ein: "Woher kommt Ihr?" – "Schönes Wetter, nicht wahr?" – "Gutes Essen... tolle Anlage, gell?" – "Seid Ihr das erste Mal im Robinson-Club...?"
Heute mittag gönne ich mir sogar Tischwein, obwohl ich selten Alkohol trinke und tagsüber schon dreimal nicht. Aber man gönnt sich ja sonst nichts... und schließlich können wir bei dem heutigen Weihnachtsfest gemütlich urlaubsmäßige Siesta halten, anstatt daheim mehr oder minder hektisch ein schönes Fest vorbereiten...
Tanzkurs. Kai klopft wieder Sprüche. Er hat mich auserkoren zum VfG. Zu seinem "Vorführgerät", wie er mir erklärt. Der Discofox geht schon flüssiger heute. Oskars Klappe läuft wie geschmiert. Seine Partnerin guckt des öfteren genervt über ihn hinweg.
Heute ist Weihnachten, also machen wir nicht so lang und setzen uns bei strahlendem Sonnenschein um vier mit Kai noch auf die Terrasse des "Maurischen Cafés". Musik ertönt: die unvermeidlichen "Jingle bells". Etwas unerwartet in dieser Kulisse. Doch hinter uns werden gnadenlos die letzten Vorkehrungen für den Weihnachtsmarkt vor dem Hotel getroffen. Die drei Weisen reiten auf Kamelen heran – das wirkt immerhin stilecht. Leute strömen in die Richtung.
Wir natürlich auch. Da gibt’s alles, fast wie zu Hause. Vorne auf der Bühne der Weihnachtsmann, rundherum großäugige Kinder, die sich verschämt an Mamas Schulter verstecken, als der Weihnachtsmann ihnen Geschenke in die Händchen drücken will.
Außenrum Buden mit Glühwein, Bratwurst, Plätzchen, Stollen, Fruchtspießen mit Schokoladeüberzug. Hmmm, lecker. Heute wird’s wohl kein Abnehmtag werden. Der Gospelchor der "Robins" "singt" Weihnachtslieder. Ein völlig respektloser Chor, dauernd schubsen sie sich hin und her, nehmen sich gegenseitig die Blätter weg. So was Ungezogenes aber auch. Doch auch Ernstes wird vorgetragen. Langsam wird’s kühl, die Sonne verschwindet.
Durch die Hotelhalle huschen noch die letzten "Gespenster", Gäste in den weißen Morgenmänteln, die in den Zimmern hängen. So eine Unsitte, durch diese tolle Hotelhalle zu schlurfen in Morgenmänteln und Pantoffeln. Fand ich in der Kur schon schlimm genug. Da waren es aber lauter Patienten. Hier allerdings gehört doch eher die elegante Garderobe hin.
Sattgenascht machen wir uns abendfein. Heute gibt es ein ganz besonderes Essen. Tagelang lagen schon Reservierungslisten aus, damit diejenigen, die zusammensitzen wollten, das auch konnten. Wir waren nicht festgelegt und "wollten einfach nehmen, wie es kommt".
Vor’m Eingang zum Restaurant bietet sich uns ein wunderschöner Anblick: Die Robins haben eine Krippe aufgebaut. Eine richtige echte Krippe mit richtigen echten Tieren – und Menschen. Der Esel kaut stoisch auf einem Grasbüschel herum. Die Schafe würdigen uns keines Blickes. Maria und Josef und die Hirten sind auch "echt". Geschminkte Robins, gekonnt beleuchtet, zu Salzsäulen erstarrt, sitzen im Heu und zucken mit keiner Wimper. Ein richtiges kleines Kunstwerk, in kurzer Zeit aufgebaut. Nur das Jesuskind scheint kein echtes zu sein... Später kriegen wir die absurde Kritik von Leuten mit, die überall was zu motzen finden: "Tierquälerei. Der arme Esel, die armen Viecher". Nun ja, ob sie es in ihren Ställen besser haben?
Der Saal in Kerzenlicht getaucht, die Tische festlich dekoriert, Tischkarten mit der Menüfolge darauf, Vorspeisen, Kürbissuppe im dekorativen richtigen Kürbis serviert. Schon toll gemacht, schmeckt auch wunderbar. Wir sitzen bei einer Familie aus dem Saarland, Papa, Mama, zwei erwachsene Söhne. Die Zeit vergeht schnell. Ich bin schon gar nicht mehr aufnahmefähig und esse bloß einen Gang, Fisch. Noch nicht mal ein kleines bißchen Nachtisch rutscht noch runter.
Das Abendprogramm wie immer im Patio: "Alegria" heißt es heute – eine schöne, bunte Mischung aus Musik, Tanz, Akrobatik, ein bißchen Besinnlichkeit: ein gelungener Weihnachtsabend!
Wir gehen nicht so arg spät ins Bett, morgen haben wir schließlich einen anstrengenden Ganztagsausflug vor uns.
Freitag, 25. Dezember 1998
Kein Ausflug nach Matmata
Ausflugstag nach Matmata. Tolle Landschaften soll es hier geben, hier wurden berühmte Filme gedreht, z.B. Szenen aus dem "Krieg der Sterne". Nur vier haben sich angemeldet, war also fraglich, ob der Ausflug überhaupt stattfindet. Wäre ja echt schade gewesen, schließlich wollen wir ja außer Hotel und Robins doch noch ein bißchen von unserer Umgebung sehen.
Um sieben ist Wecken. Aber ich wache schon um sechs auf. Was ist das für ein merkwürdiges Gefühl? Als ob ich gleich brechen müßte? Es reicht grade noch zur Orientierung im dunklen fremden Zimmer...
Während des halbstündigen Frühstücks um sieben verlasse ich zweimal fluchtartig das Restaurant. War mir vorher schon aufgefallen, wie groß das Ganze ist, doch so richtig registriere ich erst jetzt die langen Wege... Außer ein paar Schluck Tee und ein paar Bissen trockenen Brotes kriege ich sowieso nichts runter.
Was tun? In dem Zustand einen Ausflug machen – das ist kaum möglich. Diethard will dann auch verzichten, aber das will ich nicht. Er kann ja doch nichts tun, wenn ich still vor mich hinleide, sondern nur in der Gegend rumhänge. Wäre doch schade um den schönen Ausflug. Und wenn es mir tagsüber besser gehen sollte, wäre ja Abwechslung vorhanden...
Die beiden anderen stehen schon erwartungsvoll an der Rezeption. Ich schildere dem Reiseleiter mein "Problem" und er reagiert sofort: "Hat keinen Zweck, es ist Ramadan und da sind alle Cafés geschlossen, keine Chance auf eine Toilette. Du hierbleiben und Mann will dann sicher auch nicht. Morgen andere Tour machen, ist sowieso viel interessanter."
Na, das ist doch die beste Lösung, oder? Die beiden anderen gucken zwar etwas schief, aber schließlich haben sie sich erst im Laufe des Vorabends dazu entschlossen, mitzumachen. Und so schwenken sie halt auch auf die andere Tour am Samstag um.
Schön. Dann muß ich aber meine Thalasso noch heute umbuchen, sonst reicht die Zeit nicht. Aber erst will ich mich nochmal hinlegen. Nicht mehr lang, dann geht das Elend wieder von vorne los. Vorläufig fehlt mir jegliche Kraft zu irgendwelchen Unternehmungen. Jetzt ein Tee und noch ein bißchen Brot wäre schön. Per Rezeption versuche ich, einen Zimmerservice zu organisieren, nach einer Dreiviertelstunde schon und einem zweiten Anruf kommt dann ein Kännchen Tee und Toast.
Diethard geht inzwischen zum Strand. Dort findet heute ein Kamelrennen statt. Durch das geöffnete Fenster kriege ich ein paar Fetzen mit vom lustigen Geschehen. Ein Kamel heißt offensichtlich Monika, so schließe ich daraus, ein anderes Karl Dall. Anfeuerungsrufe, Klatschen, Gelächter. Denn die Kamele denken nicht daran, von alleine zu laufen. Ganz im Gegenteil – an jedem Kamel läuft vorne ein Tunesier mit und zerrt es nach Leibeskräften durch den Sand...
Erst können die Gäste mitmachen, später kommen die Robins selbst dran. Auch Bernard, der Chef vom ganzen Hotel, ist dabei, und nimmt seinen kleinen Sohn mit auf den Schoß. Uwe, der für die ganze Light-and-Sound-Technik im Patio zuständig ist, muß gegen seinen Willen auch auf’s Kamel. Zur Sicherheit hängen ihm seine Kollegen spaßeshalber einen Rettungsring um, worauf sein "Treiber" das Kamel umgehend in Richtung Meer lenkt...
Um eins schleppe ich mich doch zur Thalasso-Rezeption am anderen Ende des Hotelkomplexes. Die Umbuchung klappt sogar. Um drei soll ich kommen für die ersten drei Anwendungen. Für die vierte reichts nicht mehr, denn dann ist Ramadan. Um sechs deshalb nochmal antanzen zur Massage.
Zurück ins Bett, weiterschlafen. Um drei stehe ich bereit, geschwächt, mir ist immer noch elend. Aber obs mir in der Wanne schlecht ist oder im Bett, ist eigentlich wurscht. Da treffe ich andere Leute und höre, dass es noch viel mehr erwischt hat.
Um halbfünf flüchte ich wieder in meine schöne warme Zufluchtsstätte. Vorher jedesmal das Bettzeug rausreißen. Ich fluche innerlich. Warum um Gotteswillen zerren und zurren die die Decken immer so fest? Braucht einen völlig unnötigen riesigen Kraftaufwand, um das Ganze wieder rauszuzerren. Und die machen hier das Bett nicht nur morgens, sondern auch abends wieder. So hat man das Zerrtheater zweimal am Tag.
Den Massagetermin um sechs verpenne ich, aber zum Abendessen rapple ich mich wieder auf. Ein Süppchen, ein Kartöffelchen, so langsam kehrt wieder Leben zurück. Der Abend wird nicht lang...
Samstag, 26. Dezember 1998
Durch die Wüste nach Chenini / Teil 1
Ha, heute geht’s tatsächlich zum Ausflug. Ein randvoll gepackter Tag, wie sich erweisen wird. Wieder zu "Land und Leuten", unterwegs keine Touristen.
Diesmal sind‘s drei Jeeps, die auf uns warten. An der Rezeption kommt eine Frau auf mich zu, ungefähr mein Alter, dunkles kurzes Haar, ein lebhafter Typ: "Wollen Sie mit uns im Jeep sitzen?" Na klar, warum nicht. Das stellt sich später als ein ausgesprochener Glücksfall heraus. Gisela und Gerd saßen beim Frühstück bei einem notorischen Motzer und den wollten sie aus dem Weg gehen. Einen ganzen Tag so eingesperrt im Jeep mit einem Miesepeter vergällt einem schließlich alles.
Wir klettern wieder nach hinten, dem Platz mit sehr wenig Beinfreiheit, es ergibt sich halt so. Gisela kommentiert aber gleich: "Beim nächsten Halt wechseln wir, dann kommt jeder mal dran da hinten."
Noch zwei Singles sind dabei, zwei anfangs sehr stille Menschen. Mit Gisela und Gerd verstehen wir uns gleich gut. Kabbeleien hin und her. Mist, es regnet. Gestern wäre viel besseres Wetter gewesen. Doch Gerd brummt im Brustton der Überzeugung: "Um elf kommt die Sonne." Nun, wir lassen uns gerne Hoffnung machen.
Wir fahren zu einem Hafen. Fischer sortieren den Fang an mehreren Booten, Verkäufer bieten ihr in Eis eingelegten Fische an – zur Ramadan.Zeit wird viel Fisch gegessen, hören wir. Es regnet aus Kübeln, blitzt und donnert, und es ist saukalt. Das Wetter trübt die Freude am Hafen doch erheblich und wir sind froh, als wir wieder in den heimeligen Jeep flüchten dürfen.
Ãœber den Damm geht’s rüber zum Festland, vorbei an Zarzis, Richtung Wüste. Plötzlich hört die Teerstraße auf, eine Sandstraße zieht sich, so weit das Auge reicht. Es holpert und ruckelt gewaltig. Achtung, die Bandscheibe läßt grüßen, aber ganz gewaltig.
Gisela hat ein Problem. Die Blase drückt. Das Geschaukel und Geruckel verstärkt ihr Problem noch. Aber anhalten geht hier auch schlecht. Woher wissen die überhaupt, wie sie fahren? Die Straße gabelt sich ab und zu, Wegweiser gibt’s hier nicht. Gisela wird zunehmend unruhiger.
Draußen Sand mit Grasbüscheln. Sonst nix. Die "Straße" ist wohl erkennbar, aber wie lange eigentlich? Zwischendurch ist sie voller Sandverwehungen. Was ist, wenn wir steckenbleiben? Kein Problem, beruhigen mich die Herren, sind ja genug Leute da, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Endlich hält der vorderste Jeep an. "Pinkelpause", aber kein Baum oder Strauch schenkt ein bißchen Abgeschiedenheit. Mir ist das inzwischen wurscht. Ich muß auch. Also hocken wir uns halt zu dritt hinter den letzten Jeep und lassen den Dingen freien Lauf. Gerd sucht seine Gattin und ihm bietet sich ein unerwarteter Anblick... Und die Männer müssen aufpassen, sich nicht gegen den Wind aufzustellen.
Kurz haben wir Zeit, noch ein paar Fotos zu machen. Und der Reiseleiter verteilt ein paar frische Früchte als Stärkung für zwischendurch, denn bis zum Mittagessen ist es noch ein weites Stück Fahrt.
Weiter geht’s durch die Stein-Wüste. Zwischendurch, völlig unvermittelt, zwei große betonierte Bodenplatten. Später ein Wasserturm. Eine Schafherde daneben. Für uns ein fremder Anblick, diese Wüsten-Weite. Rechts hinten Berge, sonst nur Sand, Grasbüschel und Himmel.
Wir kommen an einem Gefängnis vorbei. Fürwahr ein hoffnungsloser Ort. Ein paar Gestalten lungern da herum. Ab hier beginnt dann auch wieder die Teerstraße.
So langsam regt sich auch der Hunger. Es ist so gegen zwölf, seit dem Frühstück gab‘s nichts mehr zu essen. Schon fürchten wir, dass für uns heute auch Ramadan gilt. Doch der Fahrer, mit dem wir uns nur brockenweise französisch verständigen können – Gerd macht das – beruhigt uns. In Tataouine, in der Oase, kriegen wir was. Wie schön.
Im Jeep ist es kalt. Der Fahrer hat die Lüftung auf volle Kanne gestellt. Braucht er halt normalerweise wahrscheinlich eher in der Wüste als die Heizung. Mit vereinten Kräften fummeln die Fahrgäste herum und stellen die Heizung ein. Mit dem Erfolg, dass die Scheiben beschlagen und der Fahrer nix mehr sieht... Doch unsere Techniker kriegen das Problem beseitigt.
Tataouine, früher ein Ort des Schreckens für Sträflinge. Heute eine fast großzügig anmutende Stadt, doch immer noch der Inbegriff von Hölle für böse Kinder. "Wenn du nicht artig bist, dann kommst du nach Tataouine", droht man ihnen. Immerhin: im Winter kalt und ungemütlich, Sandstürme in Frühjahr und Herbst, und 50° im Sommer.
Das Hotel macht durchaus keinen drohenden Eindruck, ganz im Gegenteil. Am Restauranteingang begrüßt uns eine ideenreiche Krippe. Der Zaun aus Würfelzucker aufgebaut, anstatt Schäfchen liegen Eier auf dem "Rasen" um die Krippe. Praktisch, dann kann man doch das Arrangement gleich auch für Ostern lassen.
Der Frühstücksmotzer ist unzufrieden: "Kein Wunder, dass hier keine Touristen herkommen. Gibt schließlich nix zu sehen. So eine langweilige Fahrt hierher."
So unterschiedlich sind die Meinungen. Ich fand die Fahrt ausgesprochen spannend. War noch nie in der Wüste und bewunderte auch die Fahrtkünste unseres Chauffeurs. Es bedurfte schon etlicher Geschicklichkeit, den Hindernissen auf der sogenannten Straße auszuweichen.
Auch am Restaurant hat er etliches auszusetzen. Was genau, verrät er nicht. Ich danke meinem Herrgott, dass wir nicht mit dem Typ den ganzen Tag zusammensitzen müssen und Gisela uns morgens so entschlossen "aufgerissen" hat. Ich habe allerdings auch etwas auszusetzen, diese fürchterlichen Raucher. Noch ist mein Magen sehr empfindlich und dieses geballte Gequalme eine eine Zumutzung. Im Hotel sind aber auch ausnehmend viele Raucher.
Weiter geht’s durch Schneewittchens Landschaft. So kommt’s einem wenigstens vor. Die Straße schwingt sich über laute kleine Hügel hinweg. Rauf und runter schwingt der Magen mit. Links eine grandiose Aussicht auf Chenini, das Felsendorf.
Das Wetter ist arg durchwachsen. Von wegen um elf kommt die Sonne. So ab und zu wagt sie sich mal raus, dann regnet es wieder. Ein wunderschöner Regenbogen spannt sich über dem Chenini’schen Panorama, während wir den Berg erklimmen zur Moschee.
Samstag, 26. Dezember 1998
Durch die Wüste nach Chenini / Teil 2
Hier leben 1500 Menschen. Unvorstellbar für uns. In Höhlen, in den Berg hinein gehauen. Sie bieten sicher einen guten Schutz vor Wind und Kälte genauso wie vor der sengenden Sommerhitze. Möbel gibt’s, so sagt der Reiseführer, nicht. Die Betten bestehen aus Steinbänken. Nun, wenn man sich die Fassade so anguckt, ist man geneigt, daran zu glauben. Zwischendurch allerdings fasziniert ein unerwarteter Anblick das Auge: kaum zu glauben, aber da gibt’s auch Fernsehantennen.
Zu gern würden wir ja reingucken in eine solche Höhle. Klar natürlich, dass die Bewohner das nicht wollen. Würde mir zuhause ja auch bös stinken, wenn scharenweise Touristen gucken wollten, wie "die Pfälzer" leben. Arg gemütlich kann’s eigentlich nicht sein. Die Höhlen haben keine Fenster, sondern nur einen Eingang, der mit einer Holztür abgeschlossen ist. Obendrüber ein schmaler Spalt, so dass noch ein klitzekleines bißchen Luft und Sonne durchkommt.
Das Ganze sieht aus wie ausgestorben, menschenleer. In einigen Höfen stehen Esel und Schafe. Aus einem Hof aber quirlen vier Kinder raus, wie die Orgelpfeifen. Zwei davon barfuß, es ist bitterkalt. Sie sprechen uns an, aber gar nicht aufdringlich. Der Motzer motzt: "Sie haben doch gesagt, dass hier nicht gebettelt wird. Die Kinder betteln ja doch". Der Reiseleiter unwirsch: "Stimmt nicht. Die haben mich bloß etwas gefragt." Was, will er nicht verraten. Die Kinderblicke jedenfalls sehen schon arg begehrlich nach den touristenbauchbaumelnden Kameras und Giselas Kappe.... Die hat verborgene Stein-Schätze entdeckt für ihre Reiseerinnerungen entdeckt und kann sich kaum losreißen.
Im nächsten anderen Hof steht, sorgfältig verborgen und gut aufgeräumt, ein Peugeot. Wie um Gottes willen kam der hier hoch? Weit und breit keine "richtige" Straße zu entdecken. Welche Gegensätze!
Wir kommen noch am Friedhof vorbei. Der Reiseleiter erklärt: "Wenn jemand gestorben ist, graben in der Nacht zwei, drei junge Männer das Grab aus. Als Nachbarschaftshilfe. Dazu brauchen sie keinen Auftrag und sie werden auch nicht bezahlt dafür. Der Tote wird in einem weißen Leintuch bestattet, ohne Sarg. Die Grabstätten markiert durch Steine. Männergräbe bekommen zwei Steine. Frauengräbern einen. Wenn der Platz knapp wird nach 20, 30 Jahren, werden die Gräber aufgemacht und wieder Tote hineingelegt. Dann müssen die Geschlechter streng getrennt bleiben. Nur Mann zu Mann und Frau zu Frau."
Für mein Auge sind überhaupt keine Gräber erkennbar. Es sieht aus wie ein Hügel, zufällig mit Steinen übersät. Eine Ordnung kann ich darin nicht feststellen. Richtige abgezirkelte Grabstätten wie bei uns gibt es nicht, auch keine Vasen, Blumenschmuck oder dergleichen. "Man geht nicht zum Friedhof, sondern läßt die Toten in Ruhe", erklärt der Reiseleiter.
Die Tonerde drumrum hat sich in Matsch verwandelt. Am Fuße von Chenini, ab dem Friedhof, führt die Teerstraße weiter. Der Ton wirkt fast wie Schmierseife. Doch der Jeep kommt heil die Kurven runter.
Diesmal sitze ich vorne. Haben wir doch die ganze Zeit das "Touristen-Rotationssystem" brav durchgehalten, so dass jeder mal auf den unbequemen Plätzen sitzt. Nein, soviel Menschlichkeit unter den Menschen ist doch auch selten...
Wir fahren zu einem Ksar, einer früheren Kornkammer. Sieht aus wie die Karawansereien. Ist natürlich heute leer. Bis auf einen kleinen Kaffee- und Mitbringsel-Shop. Aber keiner drängelt. Ein paar Kinder stehen draußen, kraulen einem friedlich daliegenden Kamel den Rücken. Ein kleiner Junge küßt es immerzu, guckt stolz-auffordernd in unsere Richtung, will bei seiner Tätigkeit fotografiert werden. Doch der Gatte ist im Moment nicht in Sicht.
Aber aufs Klo gehen wir dann noch schnell gemeinsam. Sieht sehr rustikal aus von außen. Drinnen ist völlig dann wieder überraschend, dass es in diesem Stein auf Stein gemauerten Rundgewölben Strom und fließend Wasser ist. Sogar "ganz normale Sanitärobjekte" bieten sich unseren staunenden Blicken.
Noch eine Etappe, ein Markt. Mittlerweile sind wir schon rechtschaffen müde, durchgefroren, relativ guck-satt, der Nachmittag neigt sich schon fast dem Ende zu. "Männer da rauf, gibt ein tolles Foto über den Platz", scheucht der Reiseleiter die fotoausgerüsteten Männer eine steile Treppe hoch. Diethard erklimmt sie auch, aber keiner findet die atemberaubende Aussicht da oben. Auf dem Markt unten räumen die Händler schon langsam ihre leuchtenden Gemüse- und Obstberge zusammen und decken alles mit einer Plane ab. Scheinen ehrliche Menschen hier zu wohnen, wenn die Händler alles stehen- und liegenlassen können. Ich frage mich bei dem Anblick immer nur: Was passiert eigentlich mit all diesen Gemüse- und Obstbergen? Ich habe oft den Eindruck, dass es auf solchen Märkten mehr Verkäufer als Käufer gibt...
Und nun rollen wir wieder gen Djerba zu, über den Damm. Die Straßen sind leergefegt, alles vollkommen frei. Klar, es ist Essenszeit.
Bald auch für uns. Es ist lecker wie immer. Bloß macht sich nach drei, vier Tagen leider immer eine gewisse Sättigung breit. Mehr paßt halt einfach nicht mehr rein.
Wir haben diesmal einen blöden Tisch erwischt. Eine hübsche Rothaarige mit älterem weißhaarigen Herrn daneben, ein Paar, sie ein hübsches Braunauge, er vielleicht 35, aber schon ganz grauhaarig, mit verdrießlichem sauertöpfischem Blick. Die Rothaarige erzählt uns von ihren diversen Leiden, die sie bei einer Zweitagestour mitgemacht hat, nicht bei der vom Robinson Club organisierten, sondern bei einer "auf dem freien Markt". Wenn nur 20% davon stimmen, was sie erzählt, war’s wirklich ein Horrortrip.
Braunauge guckt sehr verträumt und melancholisch über unsere Köpfe hinweg, während der grauhaarige Miesepeter, ihr Mann, hören wir später, das Klagen anhebt. Über das Essen hier, keine Auswahl. Über die Sauna hier, viel zu klein und kein Ruheraum etc. Über die Shows am Abend. In den anderen Clubs wäre das alles viel viel besser.... Und dass man sich das Eis hier selbst auf den Teller tun muß, das wäre doch unappetitlich. Ja, doch die Anlage selbst sei ja ganz nett....
Überdruß muß weh tun! Wer hier nicht zufrieden ist, wie kann man denn sonst noch zufriedenstellen? Ich kann meine Klappe nicht halten... Gab schon mal erfreulichere Tischgespräche und schnell sind wir weg vom Fenster. Im Patio bei der Abendschau trifft man sich wieder....
Heute sind wir rechtschaffen müde und verziehen uns bald ins Bett. Was an diesem Abend lief, wir haben es beim besten Willen nicht mehr zusammengekriegt...
Sonntag, 27. Dezember 1998
Karneval in Venedig
Frühstück. Keine großen Pläne mehr für heute. Noch mal gemütlich Thalasso, Strand und Tanzen, das wars auch schon. Der Abend wirft seine Schatten voraus, denn heute ist großes Fest angesagt: Karneval in Venedig. Ein Maskenball.
Seit Tagen kann man schon Kostüme leihen und Masken basteln. Nun, wir halten uns vornehm zurück. Verkleiden ist nicht so unsere Stärke.
Im Foyer wird morgens schon eifrig gebaut, Kulissen gebastelt, eine große Treppe im Patio aufgestellt, die Mitwirkenden schreiten probehalber runter. Diese Treppe ist relativ steil und hat unterschiedliche Tritthöhen. Schau mer mal, ob abends einer drüberfällt...
Kai, der Tanzlehrer, ist wütend. Er muß nämlich auch. Und haßt Verkleiden wie die Pest. Aber was bleibt ihm anders übrig.
Andere tun’s gern. Und so findet sich beim Abendessen ein bunt gemischtes Publikum ein, ganz normal gewandet, dazwischen pludrige Reifröcke und Plustermäntel, die die breiten Herrenschultern betonen.
Der Patio ist knallvoll beim großen Ereignis, die Kulissen wahrhaft prächtig aufgebaut. Cosi fan tutte in Kurzform. Dazu stampfen die Paare im Polkarythmus und schweben anschließend mehr oder weniger elegant im Wiener Walzer durch den Saal.
Danach geht noch der Punk ab. Der übliche Disco-Rhythmus. Mein Gatte entdeckt plötzlich seine Liebe zum Tanzen und ist fast nicht mehr von der Fläche zu kriegen. Um dreiviertelzwölf wird der Patio wie immer geräumt und alles Unermüdliche zieht noch in die Disco rüber. Wir auch, aber nicht mehr lange.
Montag, 28. Dezember 1998
Djerba - Stuttgart
So schnell ist eine Woche zu Ende. Um sieben klingelt der Wecker. Mein Gott, ist das heute ein wunderschönes Wetter. Völlig windstill und sonnenhell...
Noch die letzten Reste packen, den Hauptteil hat die Gattin bereits am Vortag erledigt. Noch in Ruhe frühstücken, verabschieden. Schade, wir wären gerne noch geblieben. Ein paar Adressen noch austauschen. Mal gespannt, ob Internet den Kontakt erleichtert.
Noch ein kurzer Strandspaziergang. Noch schnell ein Foto. Die Sonne sticht ganz schön so früh am Morgen. Diethard stellt sich in Positur, damit ich ihn noch verewigen kann. Am Strand, ganz nah am Wasser. Aus den Augenwinkeln sieht er eine größere Welle heranschwappen und bringt sich schnell in Sicherheit. Ich bin mit meinem "Motiv" beschäftigt und spüre die nasse Bescherung am rechten Fuß. Sogar die Socke drin ist klatschnaß. "Blödes Meer", schimpfe ich erbost, während der Gatte grinst übers ganze Gesicht.
Um 9.15 heißt’s dann Abschied nehmen. Die erste Etappe: der Transfer zum Flughafen ist ja kurz. Der Flieger geht um 11.20. Der Flughafen ist sehr übersichtlich, das Gepäck in wenigen Minuten versorgt und so haben wir noch lange Zeit, uns draußen vorm Flughafen die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen, und uns aufzuwärmen. Bedauern und Neid kriecht im Herzen hoch. So eine Gemeinheit. So schön wars die ganze Zeit noch nicht. Das hätten wir uns auch gewünscht.
Und so gucken wir neiderfüllt auf die Neuankömmlinge, die eifrig mit ihren Koffern nach "ihrem" Bus suchen.
Etappe zwei, der Rückflug geht völlig reibungslos vonstatten. Wir heben sogar 20 Minuten zu früh ab und kommen somit auch früher in Stuttgart an. Welch Unterschied zu Djerba. Wir schlendern raus aus dem Flugzeug, zur Kofferabfertigung. Und schon setzt sich das Band in Bewegung und die ersten Gepäckstücke rollen. Keine fünf Minuten später schnappen wir uns unsere Koffer und sind bereit für Etappe drei, die S-Bahn befördert uns zum Bahnhof. Dort stärken wir uns und eine halbe Stunde später nehmen wir Etappe vier in Angriff. Am Bahnhof in Karlsruhe gibt’s dann noch eine Verzögerung. Der Parkhauswächter ist auf Tour, also müssen die Karten am Schalter codiert werden. Der Bahnhof in Karlsruhe scheint mir fast größer zu sein als der Flughafen von Djerba.
Doch dann ist auch das geschafft, die Rheinbrücke bewältigt und unser Haus umfängt uns mit offenen Armen. Wie schön, wieder nach Hause zu kommen, ist doch wesentlich komfortabler als in Chenini. Und das Bett erst: Erst jetzt wissen wir unser köstlich-kuschlig-weiches-warmes Federbett so richtig zu schätzen...
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Schaut euch die Fotos dazu auf der Homepage an, und wenn es gefallen hat die berichte kann gern auch mal ein paar Worte ins Gästebuch schreiben.
http://www.wehn-online.de/reise/djerba/2812.htm