Die Gefährliche
Die Frau ist gefährlich. Wann immer ein islamisch geprägtes Land sich in einer Krise befindet, bemächtigen und betätigen sich die Herrschenden im Namen Gottes als Hüter der Moral und der Religion und vor allem der Frauen. Sie suchen, jeden Menschen, weiblich oder männlich, der gegen “die göttliche Macht und Ordnung” rebelliert, jeden Anflug von frischem Wind, jede Art von Spontaneitat, jedes lebendige Lächeln zu zerstören. Aber sie stellen besonders die Frau, ihre Stellung, ihre Verschleierung oder Entschleierung wie zu allen Krisenzeiten in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Weil sie immer wieder bei Zerstörung oder bei Wiedergutmachung der islamischen Moral erwischt wird!: “Sobald eine Krise eintrat, wurden sie und der Wein als erstes verdammt. Die Frau und der Wein galten jahrhundertelang als die Quelle all unseres Unglücks.” (Mernissi, 1996, S. 215) Wo dieser Unglücksrabe sich befindet, es ist Unordung und Chaos. Ihre Anwesenheit ist jederzeit Anlass zu Unzucht, Unordnung, Unbeständigkeit und sie führt zu Überschreitung und Ignoranz der “unveränderbaren” Gesetze. Warum? Es ist einfach, sie ist weniger oder in anderer Art und Weise vernuftbegabt als der Mann. “Mangelnde Vernuft und Nähe zum Gefühl gelten allgemein auch als Begründung für die Einschränkungen der Frau in der Zeugenaussage und der Zulassung zum Richteramt.” (Schirilla, 1996, S.97) Ihre politische Führung würde Chaos und Anarchie bedeuten. Sie ist in moralischer Hinsicht unzuverlässig und unberechnerbar. Da Der Barmzige ihr bei so wenig Vernunft, solche unwiderstehliche Anziehungskraft, solchen starken ***uellen Trieb verliehen hat, ist sie schwer zu bändigen. Sie verwickelt Männer in verbotene Beziehungen. Wo sie nicht reden darf, lässt sie in den Hinterzimmern der Herrschenden ihre Gazellenaugen sprechen, spinnt ihre Intrigen, hat ihre hinterlistige Macht über die Mächtigen. Sie ist nicht in der Lage, eigenständig Sittlichkeit und Verantwortung zu entfalten und ihren ***ualtrieb zu beherrschen. Also ist sie zu bändigen und zu überwachen. Der Garant ihrer ***uellen Befriedigung ist der Ehemann. Es ist sein Pflicht. Der Gatte allein kann aber vielleicht keine hundertprozentige Garantie für ihre Unersättlichkeit leisten. Am Besten steckt man dieses Triebwesen, diese Verführerin irgenwohin, wo sie am wenigsten sichtbar wird.
Wie die Wesirstochter Schahrazad, die Erzählerin der Geschichten von 1001 Nacht, erzählt Nedschma weiter : “Sie haben mich isoliert,
Um meiner leichter Herr zu werden (...)
Aber da sie mich lieben,
halte ich sie gefangen (...)
Am Ende entscheidet die Gefangene (...). (Kateb, 1958)

Die Beruhigende
Diese Frau wirkt wie eine Beruhigungstablette. Sie ist der ehrbarste und kostbarste Besitz, der gut behütet und geschützt werden muss. Der Garant für ihren Schutz ist ihr Vater, ihr Mann, ihr Bruder oder ein anderer Mann in ihrer Verwandschaft. Oder der Schleier, der sie vor der Gewalt der Strasse, vor den Blicken der Männer schützen soll. Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit ist von grosser Bedeutung für ihre Ehre, aber auch für die Ehre ihrer Familie und besonders für die Ehre ihres Mannes. Am besten und am leichtesten wird diese Ehre garantiert, wenn die Bewegungsfreiheit der Frau eingeschränkt wird. Dafür ist sie ins Haus, unter den Schleier, in die Ehe verbannt, damit steht sie ausserhalb des öffentlichen Raums und ausserhalb der gesellschaftlichen Rationalität und ausserhalb des Kampfes und der Konkurrenz in der Politik, in der Arbeitswelt, in der Gesellschaft. Da sie mit dem Öffentlichem nichts zu tun hat, und ihre materielle Versorgung von Männern geleistet wird, bleibt sie rein, unbeschmutzt. Sie bewahrt das Engelhafte, verkörpert Liebe, Ruhe, Geborgenheit, Wärme, Solidarität. Sie stellt nichts in Frage, ist mäuschenstill, schüchtern und gehorsam, wie die İmame seit Jahrhunderten ohne müde zu werden predigen, dass der Gehorsam dem Ehemann gegenüber die Pflicht der Frauen sei. Dem Gatten zu gehorchen, heisse Gott zu gehorchen.
Sie kann grenzenlos, fristlos, noch dazu kostenlos geben, wie bei einer Notrufzentrale 24 Stunden abrufbar. Ausdrücke wie “besetzt”, “unerreichbar”, “nein”, “ich rufe Sie später zurück” kennt sie nicht. Sie ist persönlich immer in der nähesten Nähe von Menschen, zu Hause, unter der Hand, kontrollierbar. Sie ist sozusagen eine Rückzugsstätte für die ganze Familie, vor allem für die von der Aussenwelt nach Hause zurückkehrenden Männer. Sie soll sich damit begnügen, “im Familienregister eingetragen zu sein, und ihren Mann für sich wählen lassen” (Mernissi, 1996, S. 221) Sie folgt dem traditionell definierten Lebenszyklus als Mädchen, als Ehefrau, als Mutter, als Grossmutter, als Schwiegermutter, und sie erhält soziale Anerkennung durch ihre Fähigkeit zur Anpassung an die Werte Jungfräulichkeit, Fruchtbarkeit, Ehrbarkeit, Keuschheit usw. Ihre ***ualität bezieht sich auf den einzigen Mann, auf den zukünftigen Traumprinzen oder auf den Ehemann. Da sie in der Freude der ***ualität doppeltes Glück hat, einmal den Genuss und noch die Freude der Kinder, darf der Mann nicht benachteiligt werden, man gestattet ihm sozusagen als Ausgleich, wenn auch in begrenzter Zahl, mehrere Frauen.
Die Beruhigende findet ihre Freude und ihr Glück am Wohlgehen ihrer Familie. Ob sie tatsächlich das Glück findet? “Es ist nicht wahr, dass unsere Mütter mit unseren Vätern (...) aus Gewissheiten glücklich waren. Mein Onkel Hağğ Muhammad stürzte jedesmal den Tisch um und drohte damit, die Scheidungsformel auszusprechen, wenn Tante Kenza ein wenig zu viel Salz oder Pfeffer in den Freitags-Couscous getan hatte. Am Tag seines Todes hat sie ihn beweint, und sie pflegt und kultuviert die Erinnerung an ihn, aber hat sie ihn geliebt? Kann man einen Mann lieben, der immer recht hat, da das Gesetz die Frau zum ehelichen Gehorsam verpflichtet?” (Mernissi, 1996, S. 213)

Die Beunruhigende
Sie sollte eigentlich “Störenfrieda” heissen. Sie wirkt wirklich störend, wenn sie in Bereichen auftritt, wo man mit ihr nicht rechnet. Besonders möchte man dieser Frau nicht dort begegnen, wo die Enscheidungen fallen. Denn sie weiss sich zu artikulieren, sie redet.
Sie pocht auf das Recht, das Haus zu verlassen und draussen zu arbeiten. Sie bestreitet die ihr vorgeschriebene Rolle als Ehefrau und Mutter im Haus und fordert ein von “Mann und Kind“ unabhängiges “eigenes Leben” ein. Sie besteht auf das Bildungsrecht und möchte sowohl an säkulare wie auch an religiösen Quellen des Wissens teilhaben, wie die Männer religiöse Quellen interpretieren. Sie ist die Frau, die “alle Privilegien besizt und ausübt: entblösstes Gesicht, die Haare im Wind, Auto und Handtasche mit Personalausweis und vor allem einen persönlichen Pass”. Sie ist die Frau, die” Zugang zur Universität gefunden hat und von ihrer neuen akademischen minbar (Kanzel in der Moschee) herab predigt, schreibt, erzieht und protestiert” (Mernissi, 1996, S.221) Sie ist die Frau, die eine Ausbildung und eine wertvolle, nämlich bezahlte Arbeit ausübt und ihr Haupt und ihren Blick nicht zu Boden senkt, sich der Verschleierung und ****phabetisierung der Frauen wiedersetzt.
Wenn wieder Frauen einzusperren sind, ist sie das Dorn im Auge und die Zielscheibe von Gewalt und Einschüchterungen seitens der Regierungen. Schminkt sie sich, lebt sie allein, ist sie geschieden, schickt sie ihre Söhne nicht in den Krieg, möchte sie keine stumme Zuschauerin des Geschehens sein, möchte sie mitentscheiden, mitregieren, fragt sie “Warum der muslimische Mann eine derart verstümmelte Gefährtin braucht, um sein Gleichgewicht zu finden?” (Mernissi, 1992, S. 260), gilt sie als die Komplizin des moralisch verkommenen Westens, als Vermittlerin der säkularisierten Lebensführung, sie ist die Feindin, die besiegt und beherrscht werden muss.

Die Neue
Frau, die Islamistin genannt wird, verdankt ihre neue Identität zum Teil ihrer Verweigerung gegenüber der Moderne. Denn sie tritt als Ausdruck einer Selbstwahrnehmung des Westens auf, der sich als natürlicher Träger der Moderne versteht. Diese Moderne hat vielfache Lebens- und Krankenversicherung, hat Zukunft, steht nicht an der Schlange, um ein Brot zu ergattern, weiss zu konsumieren , ist in der Lage sich jede Menge Gummibärchen zu leisten und weiss genau wer zu ihr gehört, kann sogar aufzeigen, wer rückständig, unterdrückt, arm, unzivilisiert, schwarz, unemanzipiert ist. Die Frau im Islam im Jahr 2003 hat die Nase voll von dieser Moderne! Da diese Moderne ihre Religion, ihren Glauben, ihre Lebensweise, ihre Kleidung, ihre ***ualität als Zeichen von Rückständigkeit und von Unterdrückung betrachtet und diese Zeichen als der Grund der Ausschlusses aus dem Raum von Zivilisierten gelten lässt. Doch diese Frau steht im Raum der Zivilisierten, kritisiert säkularisierte Lebensführung, geht aus dem Haus heraus, geht auf die Strasse, zur Arbeit, zur Universität, politisiert ihr Kopftuch, beansprucht die Legitimität ihres Selbst und schreit “ich muss den Islam nicht verlassen, um Gleichheit und Emanzipation zu fordern” und “Islam ist beautiful”: “Mädchen und Frauen erkennen endlich, dass ihre Rechte aus der islamischen Religion herzuleiten sind und sie kämpfen darum”. (Bilgin, 1997, S. 215) Sie bringt es fertig, Traditionen zu überspringen, auf geradem Weg zum Koran zu kommen, in dem sie die emanzipatorische Kraft für sich selbst zu endecken glaubt. Sie lehnt die Gleichstellung von “moderner Frau”, mit “weiss”, mit “wohlhabend”, mit “Christin” und mit “westlich” ab. Sie stellt den universalistischen Anspruch der westlichen Zivilisation in Frage, weil er nur mit Attributen und Merkmalen einer bestimmten Kultur im Westen versehen ist, und sie, die islamische Frau, als das Andere ausschliesst. Ihr Kopftuch ist längst kein Symbol mehr der unterwürfigen, ungebildeten Frau; das alte Kopftuch bedeutet etwas Neues; die Selbstbehauptung, die Sichtbarkeit der Frau in der Öffentlichkeit und die Macht in der Politik und Bildung: “In den Augen islamistischer Frauen bedeutet die Verschleierung keine Unterwerfung unter einen Mann oder irgendeine menschliche Macht, sondern im Gegenteil, sie drückt die Anerkennung von Gottes Alleinherrschaft über den Menschen aus und die Unterwerfung der Menschen unter diese Herrschaft.” (Göle, 1997, S. 45)
Es ist bekannt, dass in vielen islamisch geprägten Ländern die Arbeitslosigkeit sehr hoch und der Kampf um die wenigen Arbeitsplätze hart ist. Frauen haben ein sehr hohes Bildungsniveau und drängen auf den Arbeitsmarkt. Es ist möglich, dass die Verlierer in dieser Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wieder Frauen werden und die Forderung nach dem Rückzug der neuen Frau aus dem Erwerbsleben stärker wird. Wir werden sehen, welche “Bilderfrau” demnächst im Kino aufgewertet und erhöht wird: die Mutter, die Ehefrau, die Mätresse, die Kämpferin?
Die Gefährliche, die Beruhigende, die Störenfrieda, die Neue; kein Frauenbild, verkörpert die Frau im Islam. Sie ist auch kein Schmelztiegel dieser Bilderfrauen. Sie ist nicht real. Ich habe sie erfunden, um zu zeigen, was sie nicht ist. Lieber lassen wir sie über sich, Gott und die Welt reden!

Literaturliste:
Bilgin, Beyza. Das emanzipatorische Potential des slams. In: Feminismus, İslam: Frauenbewegungen im Magreb, in Zentralasien und in der Türkei. Claudie Schöning-Kalender ... (Hg.). Frankfurt/Main; New York: Campus Verlag, 1997. S.199-216.
Göle, Nilüfer. Feminismus, Islamismus und Postmodernismus. In: Feminismus, Islam: Frauenbewegungen im Magreb, in Zentralasien und in der Türkei. Claudie Schöning-Kalender ... (Hg.). Frankfurt/Main; New York: Campus Verlag, 1997. S.33-54.
Kateb, Yacine. Nedschma. Frankfurt/Main, 1958.
Mernissi, Fatema. Der Politische Harem: Mohammad und die Frauen. Freiburg; Verlag Herder, 1992.
Mernissi, Fatema. Die Angst vor der Moderne: Frauen und Männer zwischen Islam und Demokratie. München; Deutscher Taschenbuchverlag, 1996.
Schirilla, Nausika. Die Frau, das Andere der Vernunft?: Frauenbilder in der arabisch-islamischen und europäischen Philosophie, 1996



www.yap-cfd.de/diskussion -!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!