Islamismus

Radikale Botschaft, sanft im Ton

Allerdings findet diese Auseinandersetzung bisher so gut wie gar nicht statt. Kaum eine deutsche Zeitung, Fernseh- und Rundfunkanstalt beschäftigt innenpolitische Redakteure, die Türkisch oder Arabisch verstehen und den Debatten in muslimischen Gemeinden folgen können. Dabei leben in Deutschland ungefähr drei Millionen Muslime, gut zwei Drittel von ihnen stammen aus der Türkei. Die allermeisten von ihnen verbinden mit ihrem Glauben keinerlei politische oder gar radikale Absichten. Erschreckend genug aber, allein bei der IGMG sammeln sich laut Verfassungsschutz 26.500 Mitglieder (siehe Überforderte Ermittler).

Die große Weltreligion Islam darf nicht mit dem Islamismus gleichgesetzt werden. Der Islamismus ist eine politisch-ideologische Bewegung, denn er verspricht eine ideale Gesellschaft, in der alle Widersprüche der modernen Zeit aufgehoben und durch die Harmonie einer ganzheitlichen, gemeinschaftlichen Ordnung ersetzt werden.

Wahr ist aber auch, dass der Islamismus ohne seine inbrünstige Berufung auf die „einzig wahre“ Religion nicht wirksam wäre. Daraus bezieht er einen Großteil seiner Anziehungskraft. Der Islamismus verspricht nicht bloß eine weltliche ideale Ordnung, sondern er kann darauf verweisen, dass sie durch den Willen einer höheren, unbezweifelbaren Macht verbürgt sei. Ein Islam ohne Islamismus ist denkbar. Ein Islamismus ohne Islam nicht.

Bei dem ägyptischen Religionsgelehrten Mohammed Qutb, dessen Schriften auf dem Berliner Buchfest auf Deutsch ausliegen, handelt es sich, wie in der Einleitung erklärt wird, um den Bruder von Sayyid Qutb, einen maßgeblichen Vordenker des modernen militanten Islamismus, der 1966 unter dem Regime Nassers während der Repression gegen die fundamentalistische Moslembruderschaft in Ägypten hingerichtet worden war. Mohammed Qutb wird als „Verfasser zahlreicher Schriften und Bücher und anerkannter Gelehrter des islamischen Rechts“ vorgestellt. Er lebe, fern seiner ägyptischen Heimat, als Universitätsprofessor in Saudi-Arabien. Er fasst die islamistische Verheißung so zusammen: „Wir glauben, dass der Islam das beste aller Systeme auf Erden ist. Und wir glauben durch unsere geschichtliche, geografische und nationale Stellung, dass der Islam der einzig mögliche Weg ist, zu Selbstachtung, Stolz und Gerechtigkeit zu gelangen. Aber wie kann man heute, in einer islamfeindlichen Welt, den Weg zur Verwirklichung dieses Systems gehen?“

Der Schriftgelehrte gibt selbst die Antwort: „Zur Verwirklichung dieses Vorhabens gibt es nur einen einzigen Weg – den Glauben! Das, was diese Religion so groß werden ließ, ist auch jetzt wieder seine Heilung … Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Menschheit eines Tages in eine Welt retten muss, in der die Materie mit dem Geist und der Seele vereint ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie sich eines Tages in den Islam ergeben wird.“

Ein solch großes Ziel lässt sich nicht allein durch Hasspredigten, durch Druck und Drohungen verfolgen. Die Präsentation dieser Botschaft muss deshalb zunehmend verfeinert, die sozialen und kulturellen Angebote müssen reichhaltiger werden. Damit werden sie für immer mehr moderne Muslime attraktiv. Nicht nur für die ungebildeten und verelendeten Underdogs.