Islamismus
Radikale Botschaft, sanft im Ton
Islamisten in Deutschland predigen nicht nur Hass, sie werben mit ewigen Werten. An ihrer Gefährlichkeit ändert das wenig
Von Richard Herzinger
Ort des Geschehens, Berlin, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Die Literatur, die hier verbreitet wird, beeinflusst einen stetig wachsenden Teil der Bevölkerung unseres Landes. In unmittelbarer Nähe zum Kottbusser Tor liegt das Gemeindezentrum des Vereins Mevlana Moschee, der seine Mitgliederzahl mit „etwa 1.200“ angibt. Es ist der Ort der Veranstaltung, auf der es fast ausschließlich Bücher zu kaufen gibt, die sich mit religiösen, ethischen und politischen Fragen des Islams und seiner Umsetzung im täglichen Leben befassen.
Einstweilen ist das Zentrum noch in einem hässlichen Altbau untergebracht, doch bald soll an dieser Stelle ein prächtiges „Kulturhaus“ mit Moschee, Versammlungs- und Seminarräumen entstehen. Ein Projekt, das allerdings umstritten ist. Manche befürchten, dass der Mevlana-Moschee-Verein der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) nahe stehe, die vom Verfassungsschutz wegen ihres islamistischen Hintergrunds beobachtet wird. Indes, die Führung der IGMG bemüht sich neuerdings um moderatere Töne.
Islamistisch – bei diesem Schlagwort denken viele Bundesbürger weniger an die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit für jedermann als vielmehr an so genannte Schläfer oder finster dreinblickende Mullahs. Dabei bedeutet Islamismus weit mehr: Der Begriff steht für eine weit verzweigte gesellschaftliche und kulturelle Bewegung, die wachsenden Einfluss auf das Denken und das Alltagsverhalten gerade bei jüngeren Mitgliedern der islamischen Gemeinden ausübt. Hinter der pauschalisierenden Bezeichnung „Islamismus“ verbergen sich zahlreiche Strömungen und vielfältige Ausdrucksformen. Gewaltbereite Gruppen stellen in diesem Kosmos nur eine Minderheit dar. Aber das Problem besteht darin, dass die Grenzlinien zu den bloß ideologisch orientierten Aktivisten nicht immer eindeutig erkennbar sind.
Der Islamismus verbreitet eine starke Botschaft, die sich nicht auf Hasspredigten gegen die westliche Welt reduzieren lässt. Wer sich mit ihm auseinandersetzen will, muss zunächst sein Denken, seine Redeweisen und seine Taktiken begreifen. Wer dies tut, erkennt, dass der Islamismus als eine offen operierende, politisch-kulturelle Bewegung auf Dauer eine größere Herausforderung für die westliche Verfassungsordnung sein könnte als der Terrorismus kleiner Gruppen.