20.01.2005:
Hintergrund: "Fundamentales Demokratiedefizit"
Weltbankpolitk entscheidet über Leben von Millionen Menschen
(ips)Das Rennen um die Nachfolge des zur Jahresmitte aus dem Amt scheidenden Weltbankpräsidenten James Wolfensohn hat Beobachtern der Finanzinstitution die ideale Vorlage zu einer Rundumkritik gegeben. Sie halten der Weltbank und ihrer Schwesterorganisation, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ein fundamentales Demokratiedefizit vor. "Die Diskussionen sollten sich nicht allein auf die Nachfolgefrage konzentrieren", findet etwa Rick Rowden von 'ActionAid USA'. Neben der zweifelsohne höchst anfechtbaren Präsidentenkür allein nach Gutdünken der USA stehe die zutiefst undemokratische Struktur der Bank und des IWF zur Debatte.
Letzteres sei das eigentlich entscheidende Problem, sagte Rowden, während in Washington fast täglich neue Namen im Zusammenhang mit dem bald vakanten Posten des Weltbankchefs fallen. Mit dem Thema befasst sich selbst eine neue Webseite,
www.worldbankpresident.org, die bereits 17 Kandidaten auflistet. Die Rede ist da vom früheren US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, dem scheidenden US-Außenminister Colin Powell, aber auch von weltweit weniger bekannten Figuren.
Zu ihnen zählen John Taylor, Staatssekretär im US-amerikanischen Finanzministerium, IWF-Vizechefin Anne Krueger, Randall Tobias, der Leiter des US-Anti-Aids-Programms, die ehemalige Leiterin der US-Umweltbehörde Christine Todd Whitman und die US-amerikanische Arbeitsministerin Elaine Chao. Für den zeitweiligen Favoriten, den US-amerikanischen Handelsbeauftragten Robert Zoellick, hat sich das Thema erledigt, seit er zum künftigen Vize-Außenminister ernannt worden ist.
So unsicher wie die Kandidatenfrage, so sicher ist, dass ein US-Bürger den 71-jährigen Wolfensohn nach zwei Amtszeiten ablösen wird und dass die Würfel hinter verschlossenen Türen fallen werden. Ein Ding der Unmöglichkeit, sagen die Kritiker der größten multilateralen Finanzinstitution, angesichts der Tatsache, dass die Weltbankpolitik über das Leben von Millionen Menschen in den Ländern des Südens entscheidet. Aber es hat Tradition.
Seit der Gründung von Weltbank und IWF nach dem Zweiten Weltkrieg in Bretton Woods in New Hampshire haben der US-amerikanische Präsident über die Weltbankspitze und die europäischen Staaten über die IWF-Führung entschieden. Das Sagen ist damit den Staaten vorbehalten, die die größten Anteile an den Finanzhäusern halten. Zugleich wird zumindest pro forma eine Machtbalance gewahrt.
Regierungsangaben zufolge sind die USA an der Weltbank, die im letzten Jahr Darlehen über 20 Milliarden US-Dollar vergeben hat, mit 14 bis 22 Prozent beteiligt, am IWF mit 17 bis 22 Prozent. Er hat 2003 Kredite über 40 Milliarden Dollar vergeben.
Kritiker begründen ihre Forderung nach mehr Transparenz und Offenheit mit dem Hinweis darauf, dass die eigentlichen Financiers der beiden Häuser die Steuerzahler sind und ihnen insofern ein größeres Mitspracherecht zusteht. Das gilt insbesondere für Vertreter der Länder des Südens, deren Wohl und Wehe zu einem großen Teil von den Entscheidungen bei den Bretton-Wood-Institutionen abhängt.
"Die beiden Einrichtungen repräsentieren die Welt vom Ende der 40er Jahre", erläutert Rowden. Seither aber hätten sich die Dinge sehr verändert. Eine der größten Veränderungen sieht er darin, dass Bürger ihr Recht auf Verlässlichkeit und Transparenz einklagen.
Der seit 2000 immer lauter werdende Vorwurf des Demokratiedefizits entzündet sich vor allem an dem Eindruck, dass zwei Institutionen, die sich den Kampf gegen Armut auf ihre Fahnen geschrieben haben, dem eigenen Programm offensichtlich nicht gerecht werden. "Der Ärger gegen Weltbank und IWF wächst mit der Einschicht in die Tatsache, dass beide nicht so handeln, wie es die Rhetorik vermuten lässt", sagte dazu Soren Ambrose von der in Washington ansässigen Beobachterorganisation 'Fifty Years is Enough'.
Beide Häuser fühlten sich weniger den Staaten verpflichtet, in denen sie aktiv seien, als den Geschäftsinteressen der großen Geberländer. Hinzu komme, dass beide Institute an ihre Kunden hohe Ansprüche an Demokratie und 'good governance' haben, ihnen aber selbst nicht gerecht würden. So hat ein gemeinsames Komitee von Weltbank und IWF im Jahre 2001 eine Reihe von Reformvorschlägen erarbeitet und unter anderem eine Öffnung der Geschäftsführung für alle Mitgliedsstaaten gefordert, aber nicht mehr als ein Dankeschön geerntet. Umgesetzt wurden die Anregungen nicht.
"Man darf davon wohl ausgehen, dass es keine Veränderungen im System geben wird, nicht in diesem Jahr und nicht im Zusammenhang mit der Frage des Präsidentenpostens bei der Weltbank", so ein Weltbankbeobachter. Wie das Spiel laufe habe sich schon im letzten Jahr mit der Beförderung von Rodrigo Rato zum Nachfolger des früheren IWF-Chefs und heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler gezeigt. Die USA hätten Europa bei dieser Entscheidung nicht ins Handwerk gepfuscht und könnten im Gegenzug sicher sein, keine Kritik an der Wahl des Weltbankpräsidenten zu hören.
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