29.05.2004:
Begegnungen: "Bei der Hadsch schwinden die Unterschiede zwischen den Muslimen aus aller Welt."
Gespräch mit dem Filmemacher Mouhcine el Ghomri über dessen Arbeit für das deutsche Fernsehen
(iz)Der in Casablanca, Marokko, geborene Filmemacher Mouhcine El Ghomri hat sich durch niveauvolle Dokumentarfilme über die islamische und arabische Welt einen Namen gemacht, darunter in letzter Zeit eine Dokumentation über den deutschen muslimischen Architekten Mahmud Bodo Rasch und über Muslime aus Deutschland auf der Hadsch. Er lebt mit seiner Familie als Freier Filmemacher in Baden-Baden und arbeitet vor allem für den SWR und ARTE. Im Sommer wird auf den Sendern der ARD noch einmal eine neue Version seines Hadsch-Dokumentarfilmes laufen, um 30 Minuten auf nun 60 Minuten gekürzt und zudem überarbeitet und mit neuen, bisher nicht gezeigten Aufnahmen versehen.
Islamische Zeitung: Wie sind Sie dazu gekommen, Filme zu machen?
Mouhcine El Ghomri: Ich hatte immer vorgehabt, Dokumentarfilme zu machen, schon als Kind. Damals habe ich mein weniges Taschengeld bereits gespart, um ins Kino zu gehen und mir Filme anzuschauen. Ich hatte überall in der Welt Brieffreunde, und mit 16 fing ich an zu reisen. Ich war damals einiger der wenigen Marokkaner, die begannen, Deutsch zu lernen. Nach dem Abitur habe ich ein Studium der Germanistik begonnen; zunächst in Frankreich, dann in Deutschland, in Mainz. Dort kannte ich einige Leute, die beim ZDF arbeiteten, wo ich mich dann für eine Hospitanz beworben habe. Und trotz unzähliger Mitbewerber wurde ich genommen. Später wurde ich Redakteur der Sendung „Reiselust“. Ich wollte nach einer Weile aber nicht nur Redaktion, sondern auch Filme machen und ging deshalb vor etwa 11 Jahren als freier Filmemacher nach Baden-Baden, zum heutigen SWR. Damals wurde auch gerade ARTE gegründet, im nahen Straßburg. Es ist sehr schwer, sich als Filmemacher zu etablieren. Man fängt in der Regel mit kurzen Beiträgen an. So habe ich etwa für die Kultursendung „Metropolis“ bei ARTE und „Kulturzeit“ auf 3SAT kurze Film-Beiträge gemacht. 3SAT und ARTE sind ja auch international zu empfangen, ARTE mittlerweile im gesamten Mittelmeerraum. Und so macht man sich einen Namen. Man muss immer wieder neue Themen finden; etwas, was vorher so noch keiner gemacht hat.
Islamische Zeitung: Was für Dokumentarfilme haben Sie seither gemacht?
Mouhcine El Ghomri: Ich habe einige Schwerpunkte, die mich sehr geprägt haben, insbesondere nach den ersten Terroranschlägen. Ich hatte bisher nur für Kulturredaktionen gearbeitet, nicht im Bereich Politik, und wollte das auch gar nicht. Ich wollte durch meine Arbeit immer Freunde gewinnen, nicht nur Feinde, und niemanden in die Pfanne hauen. Mein ehemaliger Chef beim Südwestfunk, Gustav Bähr, gab mir einmal den Auftrag, nach Israel zu gehen. Ich schaffte es, dass ich überall, wo Palästinenser leben, ungehindert drehen konnte - das war damals äußerst schwierig. Daraus entstand ein bislang einzigartiger Film über die Kultur der Palästinenser. Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst. Ich stamme aus einem Viertel in Casablanca, wo Muslime und Juden ohne Probleme zusammengelebt hatten. Ein Bild, dass ich noch immer in meinem Kopf habe, ist als ich während der Lailat Al-Qadr in Jerusalem gedreht habe, unter 200.000 Menschen, die gemeinsam gebetet haben, in einem verfeindeten Land. Andererseits habe ich dort auch das erste Selbstmordattentat erlebt, das ich selbst nur mit Glück überlebt habe. Es waren schlimme Bilder, die man nie vergisst. Im Jahre 2000 habe ich für einen Themenabend über die Arabische Stadt bei ARTE zwei Filme gemacht, zum einen einen Film über die Altstadt von Fes sowie - zusammen mit Horst Brandenburg - „Das arabische Labyrinth - Architektur mit Licht und Schatten“, für den wir in Damaskus, Kairo und Dubai gedreht haben. Der Film über Fes war ein sehr persönlicher Film, denn ich hatte während meiner Studienzeit in Deutschland dort als Studienreiseleiter gearbeitet. In dem Film werden neben den Schönheiten der Stadt auch die sozialen Probleme der Menschen dort geschildert. Ich kannte von meinen Aufenthalten als Reiseleiter dort einen Straßenjungen, der in dem Film die Hauptrolle spielt, und der als Symbol für die ganze verlorene Jugend in einer marokkanischen Stadt wie Fes steht. Fes ist eine wunderschöne Stadt, aber eine Stadt mit Widersprüchen, die leider auch ihre Schattenseiten hat. Islamische Zeitung: Wie kam es dann zu dem Dokumentarfilm über die Hadsch?
Mouhcine El Ghomri: Die Idee dazu kam von meiner Mutter. Meine Mutter ist eine fromme Muslima und lebt in Casablanca. Mein Vater ist bereits gestorben. Jedesmal, wenn meine Mutter von der Hadsch oder ’Umra aus Saudi-Arabien zurückkehrt, kommt sie sehr glücklich zurück. Daher haben meine Geschwister und ich entschieden, dass wir meiner Mutter alle zwei Jahre eine Reise nach Mekka und Medina ermöglichen, und inzwischen war sie 13 mal dort. Meine Mutter sagte jedesmal, wenn sie einen Film von mir gesehen hat: „Du kannst die ganze Welt erobern - wenn Du aber nicht eine ’Umra oder Hadsch gemacht hast oder einen Film darüber, dann hast Du nichts gesehen.“ So habe ich dann ein Drehbuch dafür geschrieben, allerdings noch vor dem 11. September. Nach eineinhalb Jahren erhielt ich eine Drehgenehmigung und bin erst einmal dreieinhalb Wochen durch Saudi-Arabien gereist, noch ohne Kamera, und habe mehrere Drehbücher über verschiedene Regionen des Landes geschrieben. Auch über Mekka und die Hadsch. Dann kam der 11. September und daraufhin erst einmal Funkstille. Knapp drei Monate später wurde ich von saudi-arabischer Seite angesprochen und eingeladen, zu kommen, wobei man mir alle Freiräume gab. Nach dem 11. September hatte ich das Gefühl, etwas über Islam und Muslime machen zu müssen, und dass jetzt die Zeit gekommen war, einfach den Islam zu zeigen. Während der Recherche habe ich Aiman Mazyek, den Pressesprecher des Zentralrats der Muslime, kennengelernt, der mittlerweile ein Freund geworden ist. Ich habe zahlreiche Protagonisten in ganz Deutschland „gecastet“. Daraus entstand dann der Film über acht Muslime aus Deutschland - deutscher, türkischer und arabischer Abstammung - die eine Hadsch-Pilgerfahrt unternehmen. Der Film soll zeigen: Es gibt verschiedene Muslime, aber einen Islam. Bei der Hadsch schwinden die Unterschiede zwischen den Muslimen aus aller Welt. Vor allem soll er Einblicke in eine Welt vermitteln, die den Christen völlig fremd ist, die sie zugleich fasziniert und ängstigt. Der Film soll auch zeigen: Die muslimische Welt ist im Kern eine friedliche.
Islamische Zeitung: Welche Erfahrungen haben Sie bei den Dreharbeiten in Saudi-Arabien gemacht und wie liefen diese ab? Mouhcine El Ghomri: Es war eine große Herausforderung für mich, mit acht Personen, die die Hadsch machen wollen und gemeinsam mit fast drei Millionen weiteren, die das gleiche machen wollen, zu drehen. Es war sehr schwierig, diese acht Personen zu begleiten, aus organisatorischen und drehtechnischen Gründen. Ich durfte sie ja auf keinen Fall verlieren. Und schließlich habe ich ja auch selbst zum ersten Mal die Hadsch erlebt. Wir haben mit Filmrollen gedreht, die alle zehn Minuten gewechselt werden müssen. Wir waren drei Personen, jeder mit einem Rucksack voller Filmrollen, der 50 kg wiegt, und der Kameramann musste zusätzlich die Kamera mit dem Stativ tragen, nochmal knapp 20 kg. Und das bei einem 16-Stunden-Arbeitstag mit vier Stunden Schlaf. Dann waren wir auch noch alle krank: Grippe. Aber die Hadsch hat eine Atmosphäre, die alles vergessen lässt - ich habe völllig vergessen, dass ich einen Unfall mit einer Knieverletzung hatte. Man steht auf und geht, es ist wie ein Wunder, dort läuft einfach alles. Erst drei oder vier Monate später merkt man plötzlich, dass das Knie weh tut und erinnert sich, das etwas passiert war. Dass bei einem solchen Gedränge von drei Millionen Menschen auch Menschen sterben, ist ganz normal, sei es von der Hitze oder aufgrund unvernünftigen Verhaltens wie etwa beim Steinewerfen an den Säulen. Meine schönstes Erlebnis war, dass ich in den vier Wochen keine einzige negative Erfahrung hatte - die Leute waren alle freundlich, zum ersten Mal habe ich mich wie in einem „UNESCO-Land“ gefühlt, denn all die bunten Menschen, alle in weiß gekleidet, wollten Eines.
Islamische Zeitung: Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Mouhcine El Ghomri: Als der Film fertig war, wurde ich vom Cusanuswerk Bonn eingeladen und habe den Film vor etwa 70 hochbegabten Studenten aus ganz Deutschland erstmals vorgeführt. Die Reaktion dieser jungen christlichen Studenten war unglaublich positiv. In der anschließenden Diskussion gab es keine einzige negative Stimme. Später habe ich den Film auch an der Uni Heidelberg und der Uni München gezeigt, und auch dort waren die Reaktionen positiv. Zum ersten mal erfuhren viele, dass die Rituale der Hadsch eigentlich auf den Propheten Abraham zurückgehen. Der Islamwissenschaftler Prof. Schalem von der Uni München, der Jude ist, merkte zu der Endsequenz, als man die Straßen von Mekka voller betender Muslime sieht, an: „Ich verstehe, warum der Islam in der Welt so einen Erfolg hat - der Islam ist eine Religion, die einfach ist. Wenn ich dieses Bild sehe, sehe ich zwei Symbole - man kann angesichts dieser Masse ein Gefühl der Bedrohung empfinden, aber gleichzeitig ist es auch ein Bild des Friedens.“
Islamische Zeitung: Was ist die Motivation, die Sie antreibt?
Mouhcine El Ghomri: Es ist nicht einfach, solche Themen zu machen. Mit Reportagen über tagesaktuelle Themen könnte ich viel leichter und schneller Geld verdienen, aber meine Themen liegen mir sehr am Herzen. Ich möchte mehr Verständnis für die islamische Welt erreichen. Obwohl ich seit 20 Jahren in Deutschland lebe, erlebe ich noch immer von Zeit zu Zeit die enttäuschende Erfahrung des Rassismus. Und ich habe so oft Reportagen und Filme von Kollegen über den Islam und die islamische Welt gesehen, die voller Vorurteile waren. Sie waren entweder schlecht recherchiert oder haben einfach Vorurteile bedient. Nach dem 11. September sind die Vorurteile noch größer geworden. Mein damaliger Chef sagte, ich solle statt andere zu kritisieren lieber selber Filme machen. So fing es an. Meine Dokumentarfilme mit wenig Kommentar sollen den Menschen auch die Freiheit geben, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Damit man mit solchen Themen überhaupt überlebt, muss man immer wieder etwas neues machen. Noch nie zuvor konnte jemand während der Hadsch so nah und so umfassend drehen. Und danach konnte ich den Film über den deutschen Muslim und Architekten Mahmud Bodo Rasch machen, der auch in Mekka und Medina an heiligen Stätten gebaut hat. Wenn man wie ich das Prinzip verfolgt, keine verbrannte Erde zu hinterlassen, dann darf man immer wieder kommen.
Islamische Zeitung: Wie sehen Sie als Insider im Film- und Fernsehgeschäft die derzeit überwiegend negative Berichterstattung über den Islam. Wie erklären Sie sich dieses offenkundige Ungleichgewicht in der Berichterstattung?
Mouhcine El Ghomri: Kurz bevor mein Film über die Hadsch in ARTE gesendet werden sollte, habe ich etwas erlebt, von dem ich nie gedacht hatte, dass es in Deutschland möglich wäre. Der Hauptprotagonist meines Films, der deutsche Muslim Abdalhafîdh Wentzel, wurde in seinem Wohnort in der Eifel von einem Einsatzkommando überwältigt, zu Boden geworfen, gefesselt und 12 Stunden lang verhört, im Zusammenhang mit der Stürmung der Osmanischen Herberge, weil irgendein Verrückter gesagt hatte, dass in der Eifel irgendwelche Bin Ladens herumliefen. Ich habe auch die Berichterstattung im Kölner Stadtanzeiger gesehen und habe es nicht glauben wollen, dass so etwas in dieser Demokratie möglich ist. Ich wurde nach der Ausstrahlung meines Films natürlich kritisch darauf angesprochen: Das wäre eigentlich wieder ein neuer Film. Man hat sich zwar bei Abdalhafîdh Wentzel entschuldigt, aber das, was geschehen ist, vergisst man nicht so schnell. Ich habe den Eindruck, dass die Leute nach dem 11. September, dem Druck von Bush sowie durch die weltweite Propaganda gegen Islam und Muslime paranoid geworden sind, nicht nur in Deutschland. Es gibt auch zu viele selbsternannte „Islam-Experten“, die derartigen Unsinn erzählen, dass die Leute nicht mehr wissen, was was ist. Islam ist eine ganz einfache Religion. Das Grundprinzip ist Zusammenleben, wie in der Zeit des Khalifen ’Umar, der als Oberhaupt der Muslime keine Bodyguards brauchte und nie bewaffnet war. Aber manche Muslime geben diesen Leuten auch einen Grund dafür, nicht zuletzt durch die Terroranschläge wie kürzlich in Madrid, in Marokko, aber auch in Saudi-Arabien selbst, erst im letzten Ramadan in Mekka, was man hier kaum mitbekommen hat. Das sind Dinge, die einen nachdenklich machen. Am 16. Mai 2003 fanden in Casablanca vierzehn Selbstmordattentate statt, ganz in der Nähe von dem dort, wo meine Familie lebt. Ich habe das nicht verstanden. Junge Leute, Schüler und Studenten, sprengen sich in die Luft. Wofür weiß ich nicht. Ich bereite momentan einen Dokumentarfilm über meine Heimatstadt Casablanca vor, 25 Jahre nachdem ich sie verlassen habe, in dem ich die Frage stelle: Warum das? Warum zerfetzen sich Muslime heute bei solchen Anschlägen? Der Film soll in einem ARTE-Themenabend Ende des Jahres gesendet werden.
Islamische Zeitung: Können Sie sich vorstellen, einen Dokumentarfilm über Muslime in Deutschland zu machen?
Mouhcine El Ghomri: Das wurde schon vom ZMD angefragt. Ich würde das aber nicht nur für das Fernsehen machen, sondern auch für Schulzwecke oder für eine internationale Präsentation. Ich befürchte nur, dass ich einen Stempel bekommen würde, wenn ich es für eine bestimmte Organisation tun würde. Ich würde lieber einen Film unter Beteiligung aller muslimischer Organisationen in Deutschland machen.
Islamische Zeitung: Sehr geehrter Herr El Ghomri, wir danken Ihnen für das Gespräch.