Ich finde es interessant wie in den verschiedenen Ländern / Städten dies aufgefasst wird.
Hier auch noch ein Bericht dazu:
Politischer Ritualismus
Zur Grammatik des Streites um das islamische Kopftuch
VON FRANZ MACIEJEWSKI
Der Streit um die politisch korrekte Kleiderordnung, den sich das alte Europa seit vielen Jahren leistet, ist dabei zu eskalieren. Als Prinzipienstreit gewinnt er die Kontur eines in der Nussschale ausgefochtenen "Kampfes der Kulturen". Pierre Bourdieu hatte schon zu Beginn der Kopftuch-Affäre die Vermutung ausgesprochen, hier werde auf einem Nebenkriegsschauplatz die für die westlichen Staaten zentrale Frage nach dem Zugehörigkeitsverhältnis muslimischer Staatsbürger verhandelt: "Indem die ewigen Meinungsmacher auf dieses banale Ereignis ihre riesigen Begriffe projizieren - Laizismus, Freiheit, Emanzipation der Frauen - , haben sie nur wieder ihre uneingestandene Meinung in Sachen Immigration zum Besten gegeben" - nämlich: Dass das Angebot der Einschließung nur zum Preis der Unterwerfung zu haben ist. Liest man die großen Worte der symbolischen Politik unserer Tage unter diesem Aspekt, wird unversehens die Gestalt eines vormodernen politischen Ritualismus sichtbar.
Wie jedes Symbol so hat auch das islamische Kopftuch einen unmittelbaren und einen weiterführenden Sinn. Das Anlegen des Schleiers verhüllt mit den Haaren partiell die Reize einer Frau und entzieht damit dem Spiel der Geschlechter ein Stück Sinnlichkeit. Ob dies einseitig zu Lasten der Frau geht und damit den Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter verletzt oder dem Geschlechterverhältnis insgesamt zugute kommt, ist nicht zu entscheiden. Ebenso strittig ist der Rekurs auf den Koran und damit die Frage, ob die Bedeckung ein unhintergehbares religiöses Gebot darstellt. Was für die eine islamische Schülerin oder Lehrerin kaum mehr als ein modisches Accessoires sein mag, kann für die andere eine kulturelle Gewohnheit bedeuten, für die dritte die Erfüllung einer religiösen Pflicht - und für die vierte eine Zumutung, der man/frau sich zu entziehen versucht. Zwischen Banalität und Hoheit, Schönheit und Schrecken changierend, zeigt das im Kopftuchstreit angehäufte symbolische Kapital vor allem eines: Vieldeutigkeit.
Wie ist dem gegenüber die entschieden eindeutige Zuschreibung seitens der Kopftuch-Gegner zu erklären? Am feministischen Angriff, wie er etwa im französischen Frauenmagazin Elle mittels einer Petition von Stars der Kulturszene (unter ihnen Emmanuelle Béart, Jane Birkin, Isabelle Huppert) vorgetragen wurde, lässt sich zunächst die verschwiegene Selbstreferenz sichtbar machen. Der auf die islamischen Geschlechtsgenossinnen gerichtete Zeigefinger vermag die auf den eigenen Körper weisenden Finger nicht vergessen zu machen: Die Unterzeichnerinnen symbolisieren ja ihrerseits die schamlos zur Schau gestellte Nacktheit der Frau - genaues Gegenbild zur inkriminierten Verborgenheit. Ganz im Sinne des Diktums von Claude Levi-Strauss, wonach sich in kulturellen Dingen vor allem die Unterschiede ähneln (und nicht die Ähnlichkeiten), lässt diese Einblendung mit einem Schlag die Verwandtschaft der so gegenläufigen Positionen erahnen.
Der naive Einspruch der weiblichen Stars, die der Zurichtung ihrer eigenen Körper für den männlichen Blick nicht inne sind, zeigt, wie sehr deren Handeln dem Bannkreis patriarchaler Macht, an die sie die Musliminnen verloren glauben, selber noch verhaftet ist. Wenn es sich aber so verhält, dann gilt die Empörung nicht allein einem inakzeptablen zivilisatorischen Gefälle; sie scheint sich auch aus dem Unbehagen an der eigenen Kultur zu speisen.
Auch die Politiker bezahlen mit dem in Sachen Kopftuch anfallenden symbolischen Kapital ihre eigenen Schulden. Allerdings betreiben sie die "Tyrannei der Gleichmacherei" (Adorno) mit anderen Mitteln. Der französische Präsident Chirac hat sich hier am weitesten vorgewagt und ausgesprochen. In einer Rede vor Schülern des französischen Gymnasiums in Tunis gab er der Sprachregelung von der "öffentlichen Zurschaustellung religiöser Symbole" eine bemerkenswerte Drehung: Frankreich habe sich "gewissermaßen angegriffen gefühlt. In unseren öffentlichen Schulen wirkt das Tragen des Kopftuches als Aggression".
Begleitende Feindphantasien
Johannes Rau hat, erst recht mit seiner jüngsten Attacke, mit der er seine Kritiker attackiert hat, auf die Konsequenzen eines Sprachgebrauches aufmerksam gemacht, mit dem auf eklatante Weise der Gleichheitsgrundsatz der Religionen verletzt wird. Während Kreuz und Kippa die tragende Person lediglich als christlich oder jüdisch ausweisen, verwandelt das Kopftuch ihre Trägerin (in den Augen der Befürworter eines Kopftuchverbotes) in eine militante Gotteskämpferin. Ohne Ansehen der Person wird so eine Gruppe von Staatsbürgerinnen einem Generalverdacht unterstellt. Ein singulärer Vorgang, der ohne begleitende Feindphantasien kaum erklärbar ist.
Was ist das für ein kultureller Raum, in dem eine signifikante Geste die Macht hat zu bewirken, was sie symbolisch darstellt? Welche Sprachprozessordnung kennt den Tatbestand einer Geltung ohne Bedeutung? Ohne Zweifel gilt dies für die Ordnung der Rituale. Die besondere Leistung eines Rituals besteht gerade darin, dass es seine Wirkung unabhängig davon erzielt, was die Beteiligten im Vollzug dabei empfinden - solange es nur korrekt vollzogen wird. Der performative Akt ist von der Intention weitgehend unabhängig. Könnte es sein, dass die Protagonisten einer Verwerfung des Kopftuches die in Rede stehende Handlung (das Tragen des Schleiers) in vergleichbarer Weise nicht als individuelle Alltaghandlung, sondern als rituellen Vollzug einer sakralen Handlung begreifen? Dafür spricht, dass sie allein an Gebärde und Geste interessiert sind, als sei mit der Körpersprache alles gesagt. Tatsächlich avanciert im klassischen Ritual der Körper zum Hauptträger kulturellen Sinns, weil er verlässlicher als der Geist archiviert. "Alle sozialen Gruppen", heißt es bei Bourdieu, "vertrauen ihr kostbarstes Vermächtnis dem Körper an, der wie ein Gedächtnis behandelt wird."
Ritualgeschichtlich bedeutet die Dominanz der Gebärde gegenüber dem Geist nicht das letzte Wort. So wurde durch die Reformation, also im Kontext konfessioneller Spaltung, ein Ritualdiskurs in Gang gebracht, der gegenüber dem Konformismus der Buchstabentreue den Vorrang der Intention der Handelnden betont. Die liturgische Ordnung der Rituale mit dem Anspruch auf authentische Gesten zu versöhnen, ist, wie etwa ein Blick auf die Gedenkrituale des Holocaust zeigt, ein Problem unserer Zeit, auf das die Forschung u.a. mit der Betonung dynamischer und innovativer Momente ritueller Prozesse antwortet. Dagegen ist der politische Ritualismus, wie er im Kopftuchstreit aufblitzt, konservativ, weil er sich einer vormodernen Formensprache bedient.
Zeugen einer Ritualerfindung
Aus der Sicht der Ritualtheorie lautet der Befund: Das Verständnis des Symbols Kopftuch als einer aggressiven Handlung folgt dem Muster der Decodierung einer rituellen Geste. Das Tragen des Kopftuches wird als rituelle Abbreviatur gelesen, das heißt als Kurzform einer längeren Handlungssequenz. Es ist, als würden die Musliminnen unterschiedslos ein Schema erfüllen, nämlich mit dem Tragen des Kopftuches einen religiösen Akt "rite" (ordnungsgemäß) befolgen und so wieder und wieder das Ritual der Unterwerfung unter die Scharia (dem islamischen Gesetz) in Szene setzen.
Das Ritual wird weder im Realen noch im Symbolischen so aufgeführt; tatsächlich findet es auf dem Feld des Imaginären statt. Sind wir Zeugen einer Ritualerfindung? In einem eminent dialektischen Sinne trifft dies zu. Die Einrede von der verwerflichen, rituell nur gebändigten Gewalttat der Kopftuchträgerinnen (die unverhohlen die offene Gewalt der Selbstmordattentäterinnen Palästinas und Tschetscheniens zitiert) steht ja im Dienste der Einsetzung eines eigenen Rituals seitens der westlichen Politik. Mit der Vorbereitung eines Gesetzes, welches das Tragen des Kopftuches verbieten soll, antwortet der Souverän auf die Unbotmäßigkeit der muslimischen Frauen seinerseits mit dem Begehren nach der rituellen Bändigung ihrer Körper. Dieses etwas andere Unterwerfungsritual arbeitet mit der gleichen fetischistischen Vorstellung von Gruppenzugehörigkeit wie das imaginierte der Gegenseite; und es bedient sich derselben Mittel performativer Magie, dem Zauber von Repetition, Rigidität und Stereotypisierung.
Solange sich der politische Ritualismus in der Sphäre des Imaginären bewegt, ähnelt er der Art einer erlernten Hilflosigkeit: er setzt sich hinter dem Rücken der Individuen durch. Als Gesetz, in dem sich die Formel einer Geltung ohne Bedeutung erneuert, wird er bewusstseinspflichtig. Das Feld, in dem er zu sich kommt und seine rituell erlaubte Gewalt entbindet, ist die Domäne des Politischen. Giorgio Agamben hat gesehen, dass dessen Wirklichkeit nur im Ausnahmezustand durchschlägt: "Denn das Leben unter einem Gesetz, das gilt ohne zu bedeuten, gleicht dem Leben im Ausnahmezustand, in dem die unschuldigste Geste und die kleinste Vergesslichkeit die extremsten Konsequenzen haben können."
Fixiert auf den Prägestock der Nationalstaatsbildung, wiederholen die Machthaber in Paris und Berlin die frühe Gewalttat der Unterwerfung der Untertanen, jenes Gründungsereignis des sub-jacere, das die Individuen erst zu nationalen Subjekten macht. Das Einsetzungsritual der symbolischen Entschleierung einer Muslimin, das dieser ein trügerisches Entree für den öffentlichen Raum verspricht, setzt die Suche nach einem Kompromiss fort: Wie lässt sich etwas von dem retten, das es gar nicht gab und dessen Verlust dennoch unerträglich ist? (den homogenen Nationalstaat, das christliche Abendland). In einem doppelten Sinne ist der Streit um den Schleier eine Don Quichotterie: ein Kampf am untauglichenen Objekt für ein nie erreichbares Ziel.
Der Autor ist Mitarbeiter des Sonderforschungsbereiches Ritualdynamik an der Universität Heidelberg.
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=376173