12.01.2004:
Debatte: Türkischer Regierungschef gegen Kopftuchverbot
Regierungschef warnt vor der Spaltung der Gesellschaft
Der "Welt am Sonntag" sagte der Politiker, die Frage des Kopftuchtragens sollte gelöst werden, "indem man darüber spricht, nicht durch Zwang". In der mehrheitlich von Moslems bewohnten Türkei ist das öffentliche Tragen von Kopftüchern untersagt. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbunds, Peter Heesen, befürwortete im Berliner "Tagesspiegel" ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Er wandte sich aber gegen Pläne, dieses auf den gesamten öffentlichen Dienst auszudehnen.
Erdogan sagte laut Zeitungsmeldung: "Jeder sollte sein Leben so leben, wie er möchte, egal, was er glaubt." Er könne nicht verstehen, warum diese Frage plötzlich in Deutschland zu einem Problem geworden sei. Erdogan warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft: "Wenn man über solche Sachen hitzig streitet, teilt man ein Volk, und am Ende werden sich beide Teile nicht lieben, sondern hassen". Der türkische Ministerpräsident bestritt, dass das Kopftuch auch Symbol der Unterdrückung sei. Auch seine Frau und seine Töchter wurden das Kopftuch aus freien Stücken tragen und nicht, "weil ich es ihnen aufgetragen habe".
Beamtenbunds-Chef Heesen lehnte ein Verbot des Kopftuchs im gesamten öffentlichen Dienst ab, wie es etwa in Berlin und Hessen geplant sei. "Das geht zu weit", sagte er in dem Interview. Im öffentlichen Dienst "treffen meist Erwachsene auf Erwachsene", die sich religiöser Einflüsse erwehren könnten. Das sei eine andere Situation als in der Schule. Dort jedoch sollten die Lehrerinnen ihre Kopftücher abnehmen müssen. Sie seien ein Symbol mit "Kampfattitüde", die auch auf Grund ihrer politischen Botschaft nicht mit dem Kreuz gleichzusetzen seien. Heesen kritisierte die Länder, sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt zu haben. "Das muss die Kultusministerkonferenz leisten", sagte er.
Die nordrhein-westfälische Frauenministerin Birgit Fischer warnte vor der überhasteten Verabschiedung von Gesetzen gegen das Tragen von Kopftüchern in Schulen. In einem Beitrag für "Welt am Sonntag" nannte die SPD-Politikerin zuvor eine gründliche Auseinandersetzung über alle Aspekte der Integration und über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft zum Islam notwendig. "Es wäre fatal, wenn am Ende ein Verbot stünde, das von Muslima und Muslimen als Signal von Ausgrenzung und Nichtanerkennung (miss-)verstanden würde", schrieb Fischer.
Nach einer Meldung der Berliner "Tageszeitung" (Montagausgabe) will die niedersächsische CDU/FDP-Landesregierung im Zuge der Kopftuchdebatte den Lehrkräften strittige politische Äußerungen im gesamten Schulbereich gesetzlich untersagen. Die Schulgesetzänderung, die das Landeskabinett am Dienstag auf den Weg bringen will, "beschränkt sich nicht auf die Frage des Tragens von Kopftüchern", heiße es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Vielmehr sollen den Lehrern in der Schule auch alle politischen Bekundungen verboten werden, "die geeignet sind, den Schulfrieden zu gefährden oder zu stören".