20.12.2003:
Berlin: "Verfassungsrechtlich angreifbar"
Migrationsbeauftragte sieht dünne Grundlage für Kopftuch-Gesetze

(dpa)Die von Bayern und Baden-Württemberg vorgelegten Kopftuch-Gesetze sind nach Einschätzung der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck, verfassungsrechtlich angreifbar. «Drei Monate nach dem Verfassungsgerichtsurteil im Kopftuchstreit hat sich die Politik in der Gesetzgebung offensichtlich verheddert», sagte die Grünen-Politikerin in einem dpa-Gespräch. Es drohe nicht nur ein legislativer Flickenteppich. Auch die Vorgaben des Verfassungsgerichtes würden oftmals ignoriert.

«Die Formel "Kopftuch nein, christliche Symbole ja" verstößt gegen die klaren Gleichbehandlungsvorgaben des Verfassungsgerichtes», betonte Beck und warf den Autoren der Gesetzentwürfe «eine besonders ignorante Form der Verfassungsblindheit» vor. Sehenden Auges werde gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Nach dem Eindruck Becks geht es Bayern und Baden-Württemberg nicht um die Wahrung des Schulfriedens, sondern um die Ausgrenzung einer «fremden» Religion. «Solche Signale sind Gift für alle Bemühungen der Integration.»

Beck kritisierte aber auch Bundesländer wie Berlin, die den Weg einer weiteren Säkularisierung und Verbannung jeglicher religiöser Symbolik aus dem öffentlichen Dienst einschlagen wollen. Auch diese bewegten sich auf einem schmalen Grad. In Berlin habe schon eine übereifrige Schulverwaltung zurückgepfiffen werden müssen, die per Erlass und ohne gesetzliche Grundlage ein generelles Kopftuchverbot an Schulen verhängt hatte. Es stelle sich hier die Frage der Verhältnismäßigkeit. «Welchen Sinn macht es, alle Kopftuchträgerinnen mit dem Ziel der Bekämpfung islamistischer Tendenzen aus den Behörden zu verbannen, aber gleichzeitig der Milli Görüs nahen Islamischen Föderation den islamischen Religionsunterricht in Berliner Schulen zu überlassen», fragte Beck.

Besorgt zeigte sich Beck über die zunehmende Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen, nicht nur im Bereich der Schule. «Die Botschaft einer Gesetzgebung, die jeder Kopftuchträgerin eine fundamentalistische Gesinnung unterstellt, strahlt automatisch in andere Bereiche aus.» Schon jetzt werde Sozialarbeiterinnen und selbst Praktikantinnen die Einstellung wegen des Kopftuchs verwehrt. Wer glaubwürdig für eine Antidiskriminierungspolitik eintreten wolle, müsse diese problematischen Signale ernst nehmen. «Mehr Augenmaß und differenzierte, gemeinsame Anstrengungen zur Bekämpfung des Islamismus wären weitaus effektiver und sinnvoller», sagte Beck.

Den Streit ausgelöst hat eine muslimische Lehrerin mit deutschem Pass, die in Baden-Württemberg gegen ein Kopftuchverbot geklagt hatte. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Länder das Kopftuch verbieten, aber sie müssen dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen und alle Religionen gleich behandeln. Beck lehnt das Kopftuch als Instrument der Unterdrückung der Frauen zwar ab, wirbt aber für Toleranz gegenüber religiösen Symbolen.