28.11.2003:
Stuttgart: Verheerende Kritik am Kopftuchgesetz
Früherer Verfassungsrichter wirft Baden-Württemberg Diskriminierung von Muslimen vor

Als Exportland gibt sich Baden-Württemberg gegenüber der Kundschaft aus der islamischen Welt gerne weltoffen und liberal. Aber wie sieht es wirklich im Lande aus? Groß war der Ärger in Stuttgart als nun ein Brief eines bekannten Verfassungsexperten dem Land - wenn es um Muslime geht - ein eher ein fragwürdiges Verständnis zur Verfassung vorwirft. Der Experte spricht es recht offen an: Diskriminiert die Landesregierung sogar offen die Muslime im eigenen Land? Im Kultusministerium reagierte man zunächst überhaupt nicht auf den Brief, den der renommierte Verfassungs-, Medien- und Bildungsrechtler Ernst Gottfried Mahrenholz an Ministerin Annette Schavan (CDU) geschrieben hatte. Um kein politisches Porzellan zu zerschlagen wollte auch Fahrenhorst nicht weiter zu seinem "blauen Brief" Stellung nehmen. Er bestätigte nur, dass er ein Schreiben an die Adresse der Kultusministerin gerichtet hatte. Hintergrund für die Posse: Die "Süddeutsche Zeitung" hat heute in Kenntnis des Briefes daraus detailliert zitiert.

Die Fakten sind bekannt. Am 24. September hatte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im Fall der Muslimin Fereshta Ludin gesprochen. Das Urteil war eigentlich klar: Die Lehrerin wurde in Ihren Rechten durch die Kultusministerin und ihr verfassungswidriges Handeln verletzt. Die Mehrheit der Richter sah keine Handhabe, der Lehrerin das Tragen des Kopftuches zu verbieten. Allerdings könnten die Länder eine entsprechende gesetzliche Grundlage für ein solches Verbot schaffen. Dabei müssten aber die verfassungsrechtlichen Belange der Lehrer, Schüler und Eltern sowie die Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität angemessen abgewogen werden. Die Ministerin fand das alles nicht so schlimmm und schritt nun dafür so schnell wie hektisch zur Tat. Im Ergebnis legte sie bewußt ein fragwürdiges Gesetz vor. Jetzt wird aber auch gefragt, ob die Ministerin die unterschiedlichen Interessen wirklich abgewogen hat.

Genau das habe die Landesregierung nicht getan, kritisiert Mahrenholz, der von 1981 bis 1994 Richter am Verfassungsgericht in Karlsruhe war. Seine Kritik ist eher verheerend. Laut Gesetzentwurf sollen Lehrkräfte "keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern zu gefährden". Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte entspreche indes dem Erziehungsauftrag der Landesverfassung und falle damit nicht unter das zuvor definierte Verhaltensgebot. Das Musterländle wird so - nach dem Willen der Ministerin - zum exclusiven Hort des christlich-abendländischen Erbes.

Das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, dass "Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden" müssten, moniert dagegen Mahrenholz. Mit diesem Satz habe sich die Landesregierung gar nicht auseinander gesetzt. Dies passe wohl nicht ins Konzept. Weiter benutze der Entwurf auch den Begriff der Eignung nicht korrekt. Die im Grundgesetz angesprochene Eignung sei "ein höchst persönlicher Begriff". Es sei nicht zulässig, Interpretationen pauschal zu übertragen. Genau das mache aber das Gesetz. "Ein solcher Gesetz gewordener Verdacht gegenüber einer bestimmten Personengruppe, ohne jeden Anhaltspunkt in dieser Gruppe, ist eine politische Diskriminierung dieser Gruppe, für die ich in der deutschen Gesetzgebung eine Parallele nicht sehe", schreibt Mahrenholz.