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Kritik an Baden-Wüttembergs Verfassungsverständnis
Ernst Gottfried Mahrenholz, der frühere stellvertretende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung den baden-württembergischen Entwurf zu einem Anti-Kopftuch-Gesetz einer massiven verfassungsrechtlichen Kritik unterzogen.
Offensichtlich hat der Verfassungsexperte in einem ausführlichen Brief an die Stuttgarter Kultusministerin Annette Schavan (CDU) herausgearbeitet, dass der Gesetzentwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 24. September widerspreche. Der Brief liegt der Süddeutschen Zeitung vor.
Zwar habe, so schreibt der Staats- und Verfassungsrechtler, das Bundesverfassungsgericht dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, es Lehrern zu verbieten, "an ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen". Es habe aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur dann möglich sei, "wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden". Mahrenholz wirft Baden-Württembergs Regierung vor, sich mit diesem Satz "überhaupt nicht" auseinander gesetzt zu haben - weil dieser offensichtlich "das Konzept" gestört habe.
Dieses Konzept ergibt sich aus dem geplanten neuen Paragrafen 38 des baden-württembergischen Schulgesetzes wie folgt: "Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" wird aus dem sonst dort formulierten generellen Verbot von politischen, religiösen oder weltanschaulichen "Bekundungen" durch Lehrkräfte an staatlichen Schulen ausgenommen. Das bedeutet kurz gesagt: Das Kopftuch ist dort verboten, eine Ordenstracht nicht.
Die Kritik von Mahrenholz bezieht sich des weiteren darauf, dass der Gesetzentwurf den Begriff der "Eignung" eines Lehrers falsch, nämlich verfassungsgemäß, ausfülle. Die Eignung ist ein Begriff, den das Grundgesetz in Artikel 33 Absatz 2 gebraucht: Danach hat jeder Deutsche "nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte". Diese Eignung sei, schreibt Mahrenholz, "was jedem unmittelbar einleuchtet, ein höchst persönlicher Begriff". Für die Feststellung der Eignung sei es daher ausgeschlossen, Anleihen bei Anderen zu nehmen, die dem Kopftuch eine bestimmte verfassungsfeindliche Bedeutung geben und es als fundamentalistisch-kämpferische Stellungnahme für einen Gottesstaat betrachten. Exakt dies aber tue das geplante Schulgesetz. Nicht die Trägerinnen des Kopftuches seien also der unmittelbare Stein des Anstoßes, sondern dessen "Befürworter" und deren Absichten.
Der frühere Verfassungsrichter kommt zu einem sehr kritischen Fazit: "Ein solcher gesetzgewordener Verdacht gegenüber einer bestimmten Personengruppe, ohne jeden Anhaltspunkt in dieser Gruppe, ist eine politische Diskriminierung dieser Gruppe, für die ich in der deutschen Gesetzgebung eine Parallele nicht sehe."