DAG - Newsletter (Politik) Nr. 12 / 2003
DEUTSCH-ARABISCHE GESELLSCHAFT
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Vom 17.10.2003
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Inhalt:

0. Vorwort
1. Offener Brief an den Bundesaußenminister Dr. h.c. Josef Fischer
2. << Ich will Arafats Schutzschild sein! >>
3. Nährboden für Gewalt
4. << Die israelischen Juden sind auf der Suche nach ihrer Identität >>
5. Auszüge aus einem << offenen Brief aus Israel >> von Ran haCohen
6. Weder Krieg noch Frieden
7. In eigener Sache: (Bibliothekzeiten der DAG)

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0. Vorwort

Israel baut seine Berliner Mauer auf palästinensischem Boden, nur höher und noch besser gesichert (TZ 3).
Aber wird Israel dadurch sicherer? Die überwiegende Meinung weltweit sieht dies anders, doch die UN-Resolution gegen diese völkerrechtswidrige, anachronistische Mauer wurde durch das Veto der USA verhindert.
Deutschland, Großbritannien, Bulgarien und Kamerun enthielten sich. Die anderen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates stimmten für eine Verurteilung.

Die anderen der 15 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrates - darunter Frankreich, Russland und China ? stimmten für die von Syrien eingebrachte Resolution.

Israels Botschafter Dan Gillerman dankte für das US-Veto sowie die
Stimmenthaltungen. Dadurch sei die verhindert worden, dass die UN erneut
zum Erfüllungsgehilfen von Gegnern Israels geworden seien.

http://www.welt.de/data/2003/10/15/183070.html

Wie glaubwürdig ist ein deutscher Außenminister eigentlich noch, der sich so verbiegt wie Josef Fischer, der nicht wagt, gegen diese Mauer zu protestieren?!
Was haben wir von einem solchen Opportunisten noch zu erwarten? War es nicht deutsche Pflicht, gegen diese neue Berliner Schandmauer im Heiligen Land zu opponieren?
Lesen Sie dazu bitte den Offenen Brief von Günter Schenk an Fischer (TZ 1).
Was geht wohl in Fischer vor, wenn er in Berlin Uri Avnery begegnet, dem jüdischen Weggefährten Rudolf Augsteins, der sich als lebender Schutzschild vor Arafats Käfig aufstellte (TZ 2)?

Israel ist viel heterogener als es nach außen erscheint. Die Tatsache, dass sich israelische Piloten weigern, ihre Vernichtungsarbeit palästinensischer Städte, von angeblichen und tatsächlichen Terrorzellen und deren kollateralem Umfeld in Palästina im Auftrage von Scharon fortzusetzen, spricht für sich.

Bislang war die Gegnerschaft gegen die enteigneten Palästinenser eine Klammer, die für diesen jungen Staat einigend wirkte. Aber es wird schwerer für die Israelis, eine nahöstliche Identität zu erlangen in feindlicher Nachbarschaft (TZ 4).

Sicherheit besteht für Juden derzeit überall auf der Welt, sicherer ist es überall für sie jedenfalls eher als in Israel, das doch nach dem Willen der Staatsgründer gerade der sichere Hafen werden sollte. Die weltweit verbreitete jüdische Angst vor Antisemitismus ist nach der Meinung von Ran haCohen von der Tel Aviver Universität denn auch eher psychotisch begründbar (TZ 5 = www.d-a-g.de/briefantisemitismus.htm).

Es stimmt traurig, dass die Versprechungen aus Washington, Frieden im Nahen und Mittleren Osten zu schaffen und für Sicherheit zu sorgen, hohle Phrasen blieben. Die USA sehen nicht ein, dass sie auf Dauer mit ihrer einseitigen Schutzgarantie für Israel, den jüdischen Staat nur gefährden, denn so wird der sich nie bereit finden, mit seinen Nachbarn einen gerechten Frieden auszuhandeln.

Traurig für die UNO, ja für alle, dass Deutschlands Außenminister einknickt und darauf verzichtet, Amerika und seinem nahöstlichen Schützling Positionen aufzuzeigen, die zum Frieden führen könnten.

HMB

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1. Offener Brief an den Bundesaußenminister Dr. h.c. Josef Fischer

Sehr geehrter Herr Dr. Fischer,

vier Abschnitte aus einer dpa-Meldung von gestern, vier Abschnitte, die
einmal mehr zeigen, dass Sie auf keinen Fall ein geeigneter, unparteiischer Vermittler für Israelis und Palästinenser sein können.

Das müsste uns nun nicht besonders stören, uns Deutsche, Franzosen, die

daran eigentlich nie so recht zu glauben wagten. Allein - wären Sie
nicht der Außenminister der Deutschen !

Wie wollen Sie dies, wenn Sie in den kommenden Tagen unseren
israelischen Freund, den Freund auch der Palästinenser, also Freund
einer gerechten Friedenslösung für beide, Israel und Palästina, Herrn
Uri Avnery in Berlin empfangen, erklären?

Wie wollen Sie ihm, dem unermüdlichen Optimisten, dies erklären, ihm,
der vor wenigen Tagen noch, mit seiner Ehefrau Rachel, << menschliches
Schutzschild >> für den Präsidenten der Palästinenser, Herrn Arafat war,
während Sie, der Bundesaußenminister und Vizepräsident der
<< Deutsch-Israelischen Gesellschaft >> (so noch kürzlich nachzulesen in
einer Web-Site, die der Botschaft Israels in Berlin nahe steht) schon in

das schrille Horn der << amerikanischen Freunde >> bliesen und diesen
gewählten Präsidenten Arafat bereitwillig den Schergen Scharons
auszuliefern bereit waren?

Nein, Herr Dr. h.c. Fischer, was alle Deutschen, was vor allem unsere
französischen Freunde, was die Welt von Ihnen erwartet, ist der
unzweideutige Ruf << DIE MAUER MUSS WEG ! >>. Das versteht man von
niemandem besser als aus dem Mund des deutschen Außenministers.

Oder wollen Sie wirklich dauerhaft mithelfen bei der Errichtung << des
größten Konzentrationslagers der Welt >> ? Sagen Sie
doch den israelischen Freunden, dass sie nicht nur die Palästinenser
einmauern, sondern sich selbst ausmauern.
Ja Sharon mauert sein Volk aus. Er mauert es aus der Weltgemeinschaft
aus ! Er mauert es aus der zivilisierten Staatenwelt aus. Er vernichtet
damit jeden Ansatz zu einer friedlichen Lösung für sein eigenes Volk !
Er schafft nicht mehr Sicherheit, er zerstört dauerhaft, und dies nicht
nur für das Gebiet, welches viele hundert Jahre Palästina hieß, sondern
für eine ganze Region UNSICHERHEIT !

Nein, Herr Fischer, es ist nicht im Interesse des Friedens, wenn Sie,
unser Außenminister dem Botschafter bei den Vereinten Nationen die
Weisung zur Stimmenthaltung geben, wenn es darum geht, für alle Zeiten
klar zu sagen: << Mauern trennen, Mauern verbinden nicht, Mauern zerstören
Hoffnung ! >>

Dies zu sagen haben Sie versäumt. Sie werden damit nicht als Friedensstifter in das Buch der Geschichte eingehen, alles was zu hoffen ist: dass diese schlimme Stimmenthaltung als << Zwischenfall der Geschichte >> notiert bleibt, ein Unglücksfall, mehr nicht!

Schade, dass Sie sich nun nicht mehr Beifall von Erich Honnecker abholen
können, denn der wäre Ihnen gewiss, würde dieser Zwischenfall deutscher Geschichte noch leben. Beifall von Demokraten, von Menschen mit Freiheitsliebe bekommen Sie leider nicht. Sie beschämen mich. Sie beschämen alle jene, die einmal, als der große Willy Brandt unser Kanzler war, stolz sein konnten auf deutsche Politik, wie behutsam sie auch gewesen sein mag.

Nun ist es amtlich: der Bundesaußenminister Dr. Josef Fischer unterstützt die Erbauer einer Schandmauer! Wie wollen Sie die Stimmenthaltung in New York dem wunderbaren Herrn Uri Avnery, Gründer des Friedensblockes Gush-Shalom dies erklären, Wie ihm in die Augen schauen, ohne zu erröten?

Man wird ihn, den Halter des << Alternativen Nobelpreises >>, des Aachener
Friedenspreises, des Carl-von-Ossietzki-Preises und zahlreicher anderer
verdienter Ehrungen, ihn, den mutigen Bekämpfer der Schandmauer auf dem
Land der Nachbarn, danach fragen, wenn die jetzige Farce vorüber ist.

Sala'am, Shalom, Ihnen, aber besonders den Menschen in Palästina und in
Israel wünsche ich << eine gute Zeit >>, wie man in Ihrer schwäbischen
Heimat sagt

Guenter Schenk
5, rue des cigognes
67930 Beinheim
Frankreich

PS: sagen Sie nicht, wie viele unserer deutschen Mitmenschen nach 1945:

Ich, wir wussten es nicht!
Don't say, we didn't know

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2. << Ich will Arafats Schutzschild sein! >>
Elke Durak im Gespräch mit Uri Avneri, israelischer Friedensaktivist
Durak: Die Lage im nahen Osten ist so explosiv wie lange nicht zuvor. Israel hat nach dem palästinensischen Terroranschlag in Haifa syrisches Gebiet angegriffen und scheint sich nun gänzlich auf einen militärischen Weg begeben zu haben. Vorausgegangen war der Beschluss, Palästinenser-Präsident Arafat auszuweisen. Das ist noch nicht vollzogen. Arafat hat gestern Abend den Notstand in den Palästinensergebieten ausgerufen, eine Notstandsregierung ernannt. Kureia steht ihr vor und er verfügt über erweiterte Möglichkeiten, gegen militante Palästinensergruppen vorzugehen. Wir haben nun eine telefonische Verbindung in das Hauptquartier von Arafat, in die Mukata. Der israelische Friedensaktivist Uri Avneri ist dort mit seiner Frau. Was ist das für ein Morgen, den Sie, Herr Avneri, dort verbringen?
Avneri: Ein sehr stiller Morgen. Unsere Befürchtungen, dass in der Nacht etwas Schlimmes passieren könnte, haben sich diesmal Gott sei Dank nicht erfüllt. Wir haben eine ruhige Nacht verbracht und außer ein paar Wachoffizieren schläft das ganze Gebäude vermutlich noch.
Durak: Wie sind Sie und Ihre Frau denn dort untergebracht? Wie ist die Versorgung?
Avneri: Wir sind eine Gruppe von 10 israelischen Friedensaktivisten, die sich als menschlichen Schutz angeboten haben. Außer uns sind hier noch 30 internationale Friedensaktivisten. Alle schlafen in einem Teil des Gebäudes auf der Erde. Über uns sind die Zimmer von Präsident Arafat. Wir sind da, um, falls nötig, zu verhindern, dass unser Ministerpräsident Ariel Sharon das vollbringt, was er vollbringen möchte, nämlich Jassir Arafat umzubringen.
Durak: Sie bringen auch Ihr eigenes Leben in Gefahr. Das nehmen Sie in Kauf?
Avneri: Ja natürlich. Wir glauben, dass dies nötig ist, um etwas zu verhindern, was wir als ein Unglück mit historischen Dimensionen betrachten, denn wenn es Herrn Sharon gelingt, Herrn Arafat umzubringen, werden die Folgen für uns in Israel, für den ganzen nahen Osten und für die ganze Welt schrecklich sein, denn es würde das Ende für jede Art von Friedensprozess nicht nur für ein oder zwei Jahre, sondern für Generationen sein, vielleicht für 100 Jahre. Es würde ein Blutvergießen hier in Israel, in Palästina, im ganzen nahen Osten und vielleicht in der ganzen Welt und in Europa beginnen, dergleichen wir noch nicht gesehen haben.
Durak: Haben Sie mit Jassir Arafat sprechen können?
Avneri: Ja. Wir haben gestern im Laufe des Tages einige Sitzungen gehabt. Ich habe auch mit ihm zu Mittag gegessen. Er war drei Tage lang krank, eine Magen-Darm-Grippe, und sieht daher noch ziemlich schwach aus, ist aber wieder auf den Beinen.
Durak: Nun sind es ja palästinensische Terrorgruppen, die in Israel Selbstmordanschläge ausüben und unschuldige Menschen töten. Was hat Ihnen Jassir Arafat gesagt, wie er denn versuchen will, diese Terroranschläge zu verhindern?
Avneri: Es ist vollkommen klar, dass dieser schreckliche Überfall vorgestern in Haifa zuerst natürlich gegen die Opfer, aber zum zweiten gegen Arafat gerichtet war. Es war klar, dass wer dieses Blutbad angerichtet hat die Absicht hatte, Herrn Sharon einen Vorwand zu geben, Arafat zu töten. Es war ganz klar, dass dieses Attentat des muslimischen Dschihad dazu gedient hat, Arafat in tödliche Gefahr zu bringen. Arafat hat das natürlich aufs allerschärfste verdammt. Wir hatten vorgestern Abend noch eine gemeinsame Pressekonferenz mit ungefähr 20 oder 30 Fernsehteams aus der ganzen arabischen Welt, und er hat das dort mit derart scharfen Worten verdammt wie noch nie zuvor. Es ist klar, dass heute jeder Terroranschlag dieser Art sich zuerst gegen die palästinensische Autorität richtet und es daher im Hauptinteresse der palästinensischen Autorität ist, das zu verhindern. Die Frage ist: wie kann man das verhindern? Denn wenn die palästinensische Bevölkerung überhaupt keine politische Perspektive sieht, wenn die israelische Regierung, die amerikanische Regierung den Palästinensern überhaupt nichts anbietet, was ihnen ermöglicht, ihre berechtigten nationalen Aspirationen auf Selbständigkeit und Freiheit mit friedlichen Mitteln zu erreichen, dann führt dies dazu, dass die Bevölkerung diese Gewaltakte bejaht und keine palästinensische Führung, noch nicht mal Gott selbst kann dann verhindern, dass solche Terroranschläge passieren.
Durak: Herzlichen Dank, Herr Avneri, für die Möglichkeit, mit Ihnen im Hauptquartier Arafats, in der Mukata in Ramallah, zu sprechen. - Uri Avneri war das, Friedensaktivist von << go schalom >>. Er ist in einer Gruppe von 30 internationalen Friedensaktivisten, die sich als menschliche Schutzschilde vor Arafat gestellt haben.
© DeutschlandRadio 6.10.2003 DeutschlandRadio-Online
http://www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-interview/3877.html Deutschlandfunk: Interviews 6.10.2003 ? 06:50

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3. Nährboden für Gewalt

Die Mauer ist das Ende einer Zwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt Gretta Duisenberg, Amsterdam

Gretta Duisenberg ist Vorsitzende der niederländischen Organisation << Stop de Bezetting >> (Schluß mit der Besatzung). Der Artikel basiert auf ihrem Vortrag beim internationalen Kongreß << Die palästinensischen politischen Gefangenen unter israelischer Besatzung >> am 4. Oktober in Berlin.

Seit Jahrzehnten beantwortet Israel gerechtfertigte politische Ansprüche der Palästinenser mit groben Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen Rechts. Mit der Trennungsmauer, die Israel gegenwärtig auf dem Gebiet der besetzten Westbank baut, werden die Ausmaße dieser Rechtlosigkeit dramatisch vergrößert.

Im Juni 2002 hat Israel angefangen, eine Mauer im nördlichen Teil der Westbank zu bauen. Die Entscheidung für den Bau der Mauer war gefallen, nachdem es Israel nicht gelungen war, die zweite Intifada mit militärischen Mitteln zu unterdrücken. Als Hauptargument für den Bau der Mauer wurde die Sicherheit Israels angegeben. Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese unter dem Einfluß von Selbstmordanschlägen in israelischen Städten stark zu leiden hatte. Man muß sich aber fragen, ob die Mauer eine gerechtfertigte und effektive Maßnahme ist, um Israels Sicherheit zu gewährleisten.

Seit Beginn des Mauerbaus vor 15 Monaten ist viel geschehen. Im nördlichen Teil der Westbank steht der Wall bereits. Die Mauer ist um die Stadt Dschenin herum gebaut, wo sie mehr oder weniger entlang der Grünen Linie verläuft. Das ist Israels de facto Grenze, die Linie, wo 1948 nach der Gründung Israels ein Waffenstillstand in Kraft trat.

Westlich von Dschenin hat die Mauer aber einen anderen Verlauf. Dort schneidet sie tief in palästinensisches Gebiet ein. Das hat einen eindeutigen Grund: Israels Siedlungen, die seit 1967 illegal in den besetzten Gebieten gebaut worden sind. Entgegen internationalem Recht behandelt Israel diese Siedlungen, als ob sie zu Israel gehören. Es erlaubt sich deshalb, die Mauer so zu bauen, dass viele Siedlungen auf die Westseite der Mauer fallen.

Das hat dramatische Konsequenzen für die palästinensischen Bewohner in der Umgebung. Israel hat seine Siedlungen aus strategischen Gründen in unmittelbarer Nähe der palästinensischen Bevölkerungszentren gebaut. Die Mauer läuft deshalb oft buchstäblich durch die Vorgärten der Palästinenser; denn die Interessen der jüdischen Kolonisten stehen in Israels Gesetzgebung und Politik über den Rechten der Palästinenser.

Monster aus Beton

Nicht in allen Bereichen, wo sie errichtet wird, hat die Mauer die gleiche Struktur. In einigen Teilen, insbesondere in der Nähe palästinensischer Städte, ist sie ein grauenvolles Monster aus Beton. Sie lässt die Berliner Mauer verblassen, da sie bis zu acht Meter hoch ist. Alle paar hundert Meter sind bedrohliche Wachtürme vorgesehen, die noch höher sind.

In den meisten mehr unzugänglichen Teilen besteht die Mauer aus einer Kombination von Beton und einigen Metern Zaun. Was immer die Struktur auch sein mag, sie stellt eine undurchdringliche Barriere mit permanentem Charakter dar. Deshalb verdient das Bauwerk den Namen »Mauer« und nicht »Zaun«, wie es euphemistisch bisweilen genannt wird.

An beiden Seiten der Mauer wird eine Pufferzone angelegt, die zwischen 30 und 100 Meter breit ist. Diese Zone hat die israelische Armee zum Niemandsland erklärt, wodurch alles in ihrem Bereich zerstört werden kann. Elektronische Zäune, Gräben, Kameras und Sensoren sind andere Elemente, die zu der Mauer gehören.

Der erste Bauabschnitt der Mauer wurde in Rekordtempo unter anderem durch den Einsatz von mehr als 500 Bulldozern bereits abgeschlossen. Er ist zirka 145 Kilometer lang und verläuft von Dschenin aus über Tulkarem bis nach Kalkilija. Für den Bau der Mauer hat Israel ungefähr 24 Quadratkilometer Land beschlagnahmt. Über 80 000 Bäume sind entwurzelt worden, darunter viele jahrhundertealte Olivenbäume. 30 Wasserbrunnen * das ist ein Drittel aller Brunnen in der Westbank * sind beschlagnahmt worden. Über 35 Kilometer Wasserleitungen von Palästinensern sind zerstört worden.

Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem hat festgestellt, dass die Mauer bei mehr als 210 000 Palästinensern, die in 67 Dörfern und Städten entlang der Mauer leben, direkte und dauerhafte Einschränkungen der Menschenrechte verursacht. Die Mauer sorgt dafür, dass 11 700 Menschen in Enklaven zwischen der Mauer und der Grünen Linie eingesperrt sind. 19 Gemeinden, in denen fast 130 000 Menschen leben, sind durch den kurvigen Verlauf der Mauer auf der östlichen Seite isoliert. 36 Gemeinden auf der Ostseite der Mauer, in denen über 70 000 Menschen leben, sind außerdem von Ackerland getrennt, das sich auf der Westseite der Mauer befindet.

Obwohl Israel angekündigt hat, palästinensischen Verkehr durch Tore in der Mauer zu gestatten, ist nicht davon auszugehen, dass dadurch die Einschränkungen ausgeglichen werden. Palästinenser brauchen spezielle Genehmigungen für diese Tore, und es gibt nicht allzu viele von ihnen. Außerdem hat Israel in der Vergangenheit bewiesen, dass es die Bewegungsfreiheit der Palästinenser immer so weit wie möglich einschränkt. Die Mauer ist aus israelischer Sicht dafür ein sehr geeignetes Instrument.

Die Isolierung, die die Mauer zur Folge hat, beeinflusst das Leben der Palästinenser in allen Bereichen. Bauern können ihre Felder nicht mehr erreichen. Menschen, insbesondere die zwischen der Grünen Linie und der Mauer, können Krankenhäuser nicht mehr besuchen. Händler erreichen ihre Märkte nicht mehr. Kinder können nicht mehr ihre Schulen und Universitäten erreichen. Es gibt noch Tausende anderer Beispiele.

Der zweite Bauabschnitt der Mauer greift noch radikaler in das Leben der Palästinenser ein als der erste. Er sieht die Einbeziehung jüdischer Siedlungen vor, die sich tief in besetztem Gebiet befinden. Die israelische Regierung hat kürzlich beschlossen, dass Teile der Mauer um Ariel und Kedumim gebaut werden. Diese Siedlungen befinden sich bis zu 21 Kilometer tief in der Westbank, wo diese nur 52 Kilometer breit ist. Als Zugeständnis an die USA werden die Mauern um Ariel und Kedumim zunächst nicht mit der Mauer entlang der Grünen Linie verbunden, doch jeder weiß, dass das am Ende zum israelischen Plan gehört.

Nach Schätzungen wird der zweite Teil der Mauer dafür sorgen, dass mehr als 400 000 Palästinenser westlich des Baus isoliert werden. Die Mauer trennt also nicht Israelis nur von Palästinensern * sie trennt vor allem Palästinenser von Palästinensern.

In der Nähe von Jerusalem ist der Bau der Mauer bereits in vollem Gange. Mehr als 20 Kilometer Mauer stehen bereits nördlich und südlich der Stadt. Diese und geplante weitere Teile der Mauer sorgen dafür, dass die Isolierung des palästinensischen Stadtteils Ost-Jerusalem, den Israel offiziell annektiert hat, vollständig wird. Alle Verbindungen zur Westbank werden abgeschnitten. Das hat dramatische Folgen für Hunderttausende Palästinenser auf beiden Seiten der Mauer.

Entlang der jordanischen Grenze

Und Israel will mehr, viel mehr. Nicht nur wird Land entlang der Grünen Linie und um Jerusalem herum beschlagnahmt, Israel will auch noch eine Mauer im Jordantal bauen, also entlang der jordanischen Grenze. Die Pläne hierfür sind noch nicht offiziell bekannt gemacht worden, doch das ist eine typische israelische Strategie. Tatsachen lassen sich leichter schaffen, wenn man Palästinenser und Außenwelt in Ungewissheit lässt. Auf Grund von Annektierungsverordnungen, politischen Diskussionen und der Lage von Siedlungen lässt sich jedoch einiges über den Verlauf der östlichen Mauer sagen: Israel hat es auf das gesamte Jordantal abgesehen. In erster Linie, um so gut wie alle Siedlungen bestehen zu lassen, aber auch wegen der Wasserquellen, die sich dort befinden und wegen des fruchtbaren Landes. Aus Eigennutz, aber auch um die Entwicklungsmöglichkeiten der Palästinenser maximal zu beschränken. Je weniger Grundlagen eine Bevölkerung hat, desto weniger kann sie sich entwickeln und wachsen.

Und das ist genau das Ziel von Ministerpräsident Ariel Scharon und den anderen Extremisten, die Israels Regierung bilden. Sie wollen die Palästinenser demographisch unter Druck setzen und auf so wenig wie möglich Land zusammenpferchen, wobei Israel sie in jeder Hinsicht kontrolliert. Scharons Vision ist, dass die Palästinenser auf ungefähr 40 Prozent der Westbank eingekesselt vegetieren. Diese Vision bestimmt den Verlauf der Mauer.

Die Situation ist sehr ernst. Es vollzieht sich ein immer größeres Drama im Nahen Osten. In erste Linie auf humanitärer Ebene. Israel lässt die Palästinenser mehr und mehr verarmen. Mehr als die Hälfte von ihnen lebt unter der Armutsgrenze von zwei US-Dollar. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent. Unterernährung bei palästinensischen Kindern ist immer mehr die Regel als die Ausnahme. Die Mauer verschlimmert dies alles noch.

Das Drama hat aber noch eine andere Dimension: die Zukunft der Region. Darauf hat die Mauer großen Einfluß. Seit Jahren wird versucht, eine Zwei-Staaten-Lösung herbeizuführen. Diese stellt aus palästinensischer Sicht einen historischen Kompromiss dar, weil diese Lösung den Palästinensern nicht mehr als 22 Prozent des Gebietes des historischen Palästinas belässt. Israel ist 1948 schließlich auf 78 Prozent dieses Gebietes entstanden. 1967 versuchte Israel, sich die restlichen 22 Prozent auch noch einzuverleiben. Die Palästinenser haben sich diesem Versuch mutig widersetzt, so wie jedes Volk das getan hätte. Jetzt hat Israel jedoch, unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit, einen Weg gefunden, um sich die wesentlichen Teile dieser 22 Prozent einzuverleiben und die Palästinenser auf den restlichen Prozenten in isolierten Bantustans zusammenzudrängen.

Die Palästinenser können sich der Übermacht Israels nicht effektiv widersetzten. Dazu haben sie nicht die Mittel, und ihre nationale Behörde ist zerstört und machtlos. Deshalb ist es so notwendig, dass die internationale Gemeinschaft aktiv wird und Israel zwingt, den Bau der Mauer zu stoppen. Zuallererst natürlich im Interesse der Palästinenser. Aber auch in ihrem eigenen Interesse. Die Mauer raubt nicht nur palästinensisches Land, sie zerstört auch die Zwei-Staaten-Lösung. Von einem lebensfähigen palästinensischen Staat kann nach dem Bau der Mauer keine Rede mehr sein. Die Mauer stürzt den Nahen Osten in ein endlos tiefes Loch von Unrecht und Blutvergießen.

Und kein Druck aus Europa?

Leider wird dies in den amerikanischen und europäischen Machtzentren nicht besonders ernst genommen. Amerikaner und Europäer haben zwar ihre Sorgen geäußert über den Bau der Mauer, aber Israel bis jetzt in keinerlei Weise unter Druck gesetzt. Hunderte Bulldozer arbeiten währenddessen pausenlos weiter an der Mauer. Die gleiche internationale Passivität war während des Oslo-Prozesses zu erkennen, wodurch Israel die Anzahl der Kolonisten in den besetzten Gebieten verdoppeln konnte.

Um weiteren Schaden abzuwenden, hat die Weltgemeinschaft ein großes politisches Interesse, beim Bau der Mauer einzugreifen. Und sie hat eine völkerrechtliche Grundlage, um dies zu tun. Die Mauer lässt sich als Sicherheitsmaßnahme nämlich nicht rechtfertigen, da sie zahllose und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat. Auch wird sie Israels Sicherheit nicht effektiv verbessern. Wo die Lebensgrundlage eines Volkes zerstört wird, entsteht Hass. Und Hass ist ein fruchtbarer Nährboden für Gewalt.

* Weitere Informationen: www.pengon.org www.btselem.org www.freepalestine.org Junge Welt

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4. << Die israelischen Juden sind auf der Suche nach ihrer Identität >>
Momentaufnahme einer komplizierten Gesellschaft von Amnon Rafael
Tel Aviv - Nach Tausenden Jahren des Exils haben die Juden einen eigenen Staat. Dennoch sind die israelischen Juden auf der Suche nach ihrer Identität. Sie leben in einem Staat, der ein sicherer Hafen sein soll und zugleich permanenten Gefährdungen ausgesetzt ist. Israel ergreift Maßnahmen, um das Leben seiner Bürger zu schützen, und wird dafür von jenen angeklagt, die sich selbst weitaus skrupelloserer Mittel bedienen. Die Juden sehen sich wegen ihrer Hochschätzung der Bildung und der Kultur anderen gegenüber im Vorteil, doch die Regierung streicht die Bildungsausgaben und Kulturfördermittel zusammen. Israel befindet sich in einer schweren ökonomischen Krise, die Heilmittel der Regierung haben sich als unwirksam erwiesen.
Dies sind nur einige der Widersprüche, welche die Juden plagen. Irgendwie sind sie immer auf der Suche nach sich selbst. Gewiss, sie sind Juden, doch das sind auch die schwarzen Einwanderer aus Äthiopien, deren kultureller Hintergrund jede Ähnlichkeit mit einem in Israel geborenen Juden (den Sabren) vermissen lässt. Das jüdische Gesetz bestimmt einen Juden als jemanden, dessen Mutter Jüdin ist.
Die ultraorthodoxen Juden weigern sich, in der israelischen Armee zu dienen. Mit einem mittelalterlichen Gewand bekleidet, verbringen sie einen Großteil ihrer Zeit damit, auf Kosten des Staates alte Schriften zu studieren. Bezahlte Arbeit lehnen sie ab und bezweifeln das Existenzrecht Israels. Doch als Kinder jüdischer Mütter sind sie Juden.
Sind die Einwanderer aus Russland, die einen jüdischen Vater, aber eine atheistische Mutter haben, auch Juden? Nach orthodoxen Leitlinien nicht. Aber sie leisten Militärdienst, studieren und werden Unternehmer. Wenn die Juden ein Volk sind und das Judentum eine Nationalität, dann ist die Identifikation der russischen Einwanderer damit größer als die der Ultraorthodoxen.
Hinzu kommt etwas anderes: Auf den ersten Blick untergräbt die Tatsache, dass das Leben in Israel nicht sicher ist, die Daseinsberechtigung des jüdischen Staates. Warum sollten Juden in ein Land strömen, das häufig Krieg führt und so anfällig ist für entsetzliche Terroranschläge? War das zionistische Ideal - Juden aus ihrem Exil in einem säkularen Staat auf dem Boden der historischen Heimat zu versammeln - ein glücklicher Ansatz? Doch dann denkt man wieder daran, dass die Erfahrungen der Juden in der Diaspora von Verfolgung, Antisemitismus, Pogromen und barbarischen Massakern geprägt sind.
Nach all den Jahren der palästinensischen Gewalt scheint es naiv anzunehmen, dass beide Seiten ihre Differenzen beilegen können. Die realistischen israelischen Juden beten daher dafür, dass der Regierung die neue <<Wegekarte>> (<< Road-Map >>) irgendwie aufgezwungen werde. Schließlich geht auch die Gründung des Staates Israel auf eine UN-Resolution Ende 1947 zurück. Die internationale Gemeinschaft kann hilfreich sein.
Israel ist eine Demokratie im weiteren Sinne des Wortes. Daher fällt es Israel so schwer, mit der Besetzung palästinensischer Gebiete umzugehen, schließlich streben die Palästinenser ja nach Selbstbestimmung. Die meisten israelischen Juden glauben, dass die Besetzung der Palästinensergebiete die israelische Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür zerfrisst.
Die Besetzung brachte auch ein neues Phänomen hervor: die << Siedler >>. Nicht anders als die Ultraorthodoxen werden sie von einer Gesellschaft subventioniert, die zum überwiegenden Teil der Meinung ist, sie sollten nicht da sein, wo sie sind. Doch die << Siedler >>, die keine Menschenrechte respektieren - außer es geht um die eigenen -, nehmen für sich in Anspruch, die wahren Israelis zu sein: die << neuen Juden >>. Eine Minderheit von drei Prozent der Bevölkerung will der Mehrheit ihre Ideologie aufnötigen. Kein Wunder, dass die Identitätsfrage den Kern des Dilemmas bildet. Können Judentum und Demokratie koexistieren?
Israel ist eine der wenigen Demokratien, in denen religiöse Parteien auf der politischen Bühne mitspielen und Unterstützung im Austausch für die Stärkung der Religion gewähren. Die Parteien der Ultraorthodoxen haben kein echtes politisches Programm. Freilich werden sie selbst argumentieren, Israel sei das einzige Land, in dem es immer noch eine << organisierte Judenverfolgung >> gebe. Die liberal-säkulare Forderung, sie müssten Wehrdienst leisten und einer bezahlten Arbeit nachgehen, halten sie für schlimmsten Antisemitismus. Wieder kommt man zurück zur Frage der Identität. Sind der jüdische Staat und die israelischen Juden das, wovon die zionistischen Vorfahren träumten?
Als sich die frühen Pioniere ansiedelten, lautete die Parole << hebräische Arbeit >>. Die << neuen Juden >> wurden Handwerker, Bauern, Fahrer oder Fabrikarbeiter. Heute findet man trotz einer Arbeitslosenquote von zehn Prozent auf Baustellen nur Ausländer. Beruflich knüpfen die << neuen Juden >> von heute an die Traditionen ihrer Vorfahren in der Diaspora an: Sie sind Banker, Ärzte, Rechtsanwälte, Buchhalter und Ingenieure. Der Handwerker und der Bauer - einst die Eckpfeiler der Idee des << neuen Juden >> - sind verschwunden.
Eine Nation kann nicht über Nacht Eigenstaatlichkeit für sich reklamieren. Die Hoffnung der Vorväter auf eine schnelle Vereinigung der Juden zu einer homogenen Gesellschaft war unrealistisch. Die israelischen Juden werden in den kommenden Jahren damit beschäftigt sein zu ergründen, was es bedeutet, israelischer Jude zu sein. Frieden mit den Palästinensern wäre für diesen Prozess ein großartiger Katalysator.
Der Autor unterrichtet Jura an der Tel Aviv University Law School A. d. Engl. von Daniel Eckert Artikel erschienen am 7. Okt 2003
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5. Auszüge aus einem << offenen Brief aus Israel >> von Ran haCohen, Tel Aviv Universität Missbrauch von Antisemitismus

Der Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes (26.9.2003) ist eine ausgezeichnete Möglichkeit für das, was jüdische Tradition Cheschbon Nefesch nennt oder ein In-Sich-Gehen und über so genannten "Antisemitismus" nachzudenken, der jetzt zum einzigen bedeutsamsten Element jüdischer Identität geworden ist.

Juden mögen an Gott glauben oder nicht glauben, sie mögen Schweinefleisch essen oder nicht essen, in Israel leben oder nicht dort leben * sie werden alle durch eines mit einander verbunden: durch den unbegrenzten Glauben an den Antisemitismus.

Weitere Auszüge des Briefes finden Sie unter: http://www.d-a-g.de/briefantisemitismus.htm

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6. Weder Krieg noch Frieden

Leitartikel von Michael Stürmer
Der Donner der Detonationen im Nahen Osten rollt um die Welt und wirft die Frage auf nach Krieg und Frieden. Die Bombe von Haifa, 20 Tote und drei Mal so viele Verletzte, und der israelische Luftschlag gegen Terroristenlager tief in Syrien: es sind Aktionen eines unerklärten Krieges neuer, unerhörter Art, den die Palästinenser nicht gewinnen, die Israelis nicht verlieren können. Deshalb wird er weitergehen ohne Ziel und Ende, bis der Schmerz bisher unvorstellbare Höhen erreicht. Einwirkung von außen, und sei es die der einzigen Weltmacht USA, hat heute verzweifelt wenig Aussicht.
http://www.welt.de/data/2003/10/07/179020.html
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7. In eigener Sache:

Bibliothekzeiten der DAG für Mitglieder
Dienstag 10.00-12.00 Uhr
Donnerstag 14.00-16.00 Uhr

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