Nocheinmal zum Kopftuchstreit
von Lutz Brodmeier
http://www.istanbulpost.net/03/10/01/brodmeier.htmDer Streit um die Nutzung des Kopftuchs in dem beschriebenen Rechtsstreit wird häufig aus der Sicht der Religionsausübung geführt.
Die Verfassung der Bundesrepublik verweist die Religion in den Bereich der Privatsphäre. Gleichzeitig darf niemand aus religiösen Gründen benachteiligt werden.
Die Antragstellerin sah diese Rechte berührt, sollte ihr nicht erlaubt werden, im Unterricht mit Kopftuch zu erscheinen.
Was aber ist mit den Rechten derer, die es vorziehen, sich keiner Religion anzuschließen. Sind sie deshalb zu benachteiligen, müssen sie sich zwangsläufig den Kontakt mit Religion, welcher Art auch immer, hinnehmen, gefallen lassen? Was kann Eltern erwidert werden, die ohne Religion leben und die eigenen Kinder auch in diesem Geiste erziehen möchten. Es geht nicht nur um die Toleranz gegenüber der religiösen Praxis nichtchristlicher Religionen. Es geht auch um die Toleranz und den rechtlichen Anspruch auf Leben ohne Religion.
Mir scheint, dass die Fragen, die da in Karlsruhe zur Disposition standen, diesen Aspekt völlig außer Betracht gelassen haben. Es ist nicht einsichtig, warum Eltern überhaupt den Kontakt mit Religion in der staatlichen Schule, und nur darum geht es hier eigentlich, hinzunehmen haben. Wenn sie sich vielleicht entschieden haben, zu gar keiner Religion zu gehören, ist dies ebenso von der Verfassung geschützt, wie die Ausübung von Religion. Ich würde mich vehement dagegen wehren, meine Kinder von Lehrern unterrichten zu lassen, die als Ausdruck ihrer Religion bestimmte Kleidervorschriften befolgen. Das bezieht sich auf katholische, evangelische, buddhistische, muslimische und andere Religion gleichermaßen. Die darin steckende Religionspraxis ist immer auch Ausdruck des Glaubens und damit sicherlich Glaubensbekenntnis. Die Entscheidung, zu welchem Glaubensbekenntnis und welcher Religion die eigenen Kinder Zugang haben sollen, bleibt den Eltern überlassen. Der Staat darf in seiner Funktion als Garant der Schulbildung, das Primat der Trennung von Staat und Kirche, gerade hier nicht verletzen.
Diese Rechte werden aber fundamental verletzt, wenn in der staatlichen Regelschule, Lehrkräfte ihre Religionspraxis als Grundrecht einfordern und gleichzeitig die Grundrechte der Areligiösen nicht anerkennen. Mann stelle sich vor, dass ohne Einverständnis der Eltern, Lehrer in Soutane, Englisch oder Mathematik an staatlichen Schulen unterrichten. Wie würde das auf die, nicht der katholischen Kirche zugehörigen Kinder und Eltern wirken? Was würden muslimische Eltern dazu sagen?
Der Streit in dem Verfahren geht auch nicht um die Akzeptanz oder Toleranz des Kopftuches im öffentlichen Raum, so wie Dr. Yazicioglu impliziert, vergleichbar mit den Regelungen in der Türkei. Im öffentlichen Raum ist dies in Deutschland gar kein Streitpunkt, auch nicht ob ein Beamter dies darf. Es ging in dem Verfahren um die Zulassung zu einer Beamtenstelle im staatlichen Schuldienst eines Bundeslandes. Und da sind vor allem auch die Rechte der Kinder und deren Eltern betroffen.
Wenn das Tragen eines Kopftuches kein optionaler Bestandteil des Islam sei, müssten sich dann alle Nicht-Trägerinnen sagen lassen, sie befolgen nicht Gottes Willen und seien sündig? Wenn ja, wie sehen dann erst alle Nicht-Muslima ohne Kopftuch in den Augen von Verfechtern dieser These aus? Im Umkehrschluss müsste dann vermutet werden, dass Frauen ohne Kopftuch eine andere Wertigkeit haben als die mit Kopftuch. Ist dieser Schluss zulässig?
Sie sehen, so einfach ist die Religionsfreiheit nicht unter Toleranz und Religionspraxis zu subsumieren. Für den Raum der staatlichen Schulen sollte die strickte religiöse Neutralität des Staates Vorrang vor Partikularinteressen haben.