Donnerstag, 02. Oktober 2003 Berlin, 13:41 Uhr
Kardinäle befürchten Weltkrieg der Religionen
Seit Beginn der US-Angriffe auf Afghanistan wurden weltweit 400 Christen getötet
Von Andreas Englisch
Vatikanstadt - Im Vatikan fürchten viele Kardinäle aus der ganzen Welt einen drohenden Weltkrieg der Religionen. Die Anzeichen einer weltweiten Eskalation der Gewalt zwischen Christen und Moslems mehren sich. Allein seit Beginn der Angriffe auf Afghanistan kamen allein in Nigeria, Pakistan, Indonesien, den Philippinen und dem Sudan mindestens 400 Christen ums Leben.

"In allen moslemischen Ländern werden wir in den kommenden Monaten viele tote Christen sehen, da steht ein Flächenbrand bevor", warnte der katholische Priester Gianni Baget Bozzo (76) in einem Gespräch mit der WELT am SONNTAG. Der Priester und Intellektuelle, der in Genua Theologie lehrte, wurde 1984 für die Sozialisten (PSI) ins Europäische Parlament gewählt und berät derzeit Ministerpräsident Silvio Berlusconi in Fragen der Religion. Auch der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, hat während der Bischofssynode in Rom seine Besorgnis ausgedrückt, dass sich die Situation für Christen während des kommenden Ramadan verschärfen könnte, wenn die US-Angriffe auch während des heiligen Fastenmonats weitergehen.

Besonders besorgniserregend erscheint die Situation in Pakistan, wo am vergangenen Sonntag 20 Menschen in einer Kirche von Terroristen erschossen wurden. Anthony Lobo, Bischof von Islamabad-Rawalpindi, bestätigte gegenüber der WELT am SONNTAG, dass "skrupellose Anführer in Pakistan die Gefühle der Menschen aufheizen, um Hass und Gewalt gegen andere Religionen als den Islam zu säen", vor allem gegen die Christen. Der Vatikan fürchtet um die Sicherheit der Christen in Pakistan, nachdem sich immer mehr Gotteskämpfer im Land bewaffnen, um für Osama bin Laden zu kämpfen. Bischof Lobo bestätigt: "Die Christen fühlen sich nach der Tragödie der vergangenen Wochen natürlich unsicher und haben Angst um ihr Leben. Das ist menschlich, auch wenn uns unser Glaube lehrt, dass wir auch unsere Feinde lieben sollen."

Die Liste der Länder auf der Welt, in denen sich ein Konflikt zwischen Moslems und Christen abzeichnet, wird immer länger. Nach Informationen der Vatikan-Nachrichtenagentur "Fides" sind acht Länder für Christen derzeit ganz besonders gefährlich: Uganda, Indien, Burundi, Philippinen, Indonesien, Nigeria, Sudan und Pakistan. In diesen Ländern wurden Kirchen geplündert und mehrere Priester und Ordensleute ermordet.

Der Konflikt weitet sich aber aus. Länder, in denen der Hass der Religionen wenig verbreitet schien, drohen sich in ein Pulverfass zu verwandeln. Auch in Kenia, Ruanda, der Elfenbeinküste, Sambia, Angola und der Zentralafrikanischen Republik kamen Priester und Ordensleute ums Leben. In Asien droht vor allem die Terrorgruppe Abu Sayyaf auf den Philippinen den Konflikt der Religionen zu verschärfen.

Brisant sind in diesem Zusammenhang zwei vom "Daily Telegraph" veröffentlichte Studien, die das Stimmungsbild unter Moslems in Großbritannien und Indien untersuchten. Danach halten mehr als 91 Prozent der gut informierten Moslems die Angriffe in Afghanistan für einen Krieg gegen den Islam und nicht gegen den Terrorismus. "Ein Großteil der islamischen Welt steht dem Christentum nun einmal feindlich gegenüber. Es ist sinnlos, das wegzudiskutieren", sagte Baget Bozzo in Genua. Daher sei auch in gemäßigten Ländern wie der Türkei, Tunesien oder Ägypten mit Konflikten zwischen Moslems und Christen zu rechnen.

Aus der Sicht des Vatikans gibt es im schwierigen Verhältnis zum Islam drei grundsätzliche Probleme:

Es gibt im Islam keine zentrale Autorität wie einen Papst, mit dem man über einen weltweiten Frieden der Religionen verhandeln könnte.
In der Welt des Islam existieren zahlreiche Mischformen zwischen Staat und Religion, vom Religionsführer als Staatschef, wie im Iran, bis zum Festhalten am islamischen Recht, der Scharia.
Nicht überall auf der Welt wird von Muslimen gegenüber Christen das Prinzip der Gegenseitigkeit der Religionsfreiheit akzeptiert.

http://www.welt.de/daten/2001/11/04/1104au293414.htx