02.01.2003:
Ankara: Frau Arinc und ihr Kopftuch
Der Staat und ein neues Kapitel einer alten Debatte
(ips)Ausgerechnet Munevver Arinc, die Frau des türkischen Parlamentspräsidenten, hat den in ihrem Land seit langem schwelenden politischen Streit um das Kopftuch neu entfacht. Frau Arinc trug kürzlich die offiziell verpönte Kopfbedeckung bei einer protokollarischen Pflichtübung. Sie begleitete ihren Mann, als dieser auf dem Flugplatz von Istanbul Präsident Ahmed Necdet Sezer und dessen Frau vor einer Auslandsreise verabschiedete.Seitdem rätselt die Nation, ob es sich beim Kopftuch von Frau Arinc um eine gezielte Provokation handelt oder lediglich um einen Fauxpas. Das türkische Staatsoberhaupt und seine Gemahlin sind erklärte Verfechter eines säkularen Staates, während der neue Parlamentspräsident der regierenden, islamisch-fundamentalistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) angehört.
Die Gegner einer im Islam verwurzelten Politik, zu denen nicht zuletzt das mächtige türkische Militär zählt, ließen mit ihrer Kritik nicht lange auf sich warten. Sie fürchten, die Regierungspartei AKP plane ungeachtet aller Erklärungen die Abschaffung des modernen, säkularen türkischen Staatssystems, das Mustafa Kemal Atatürk 1923 geschaffen hatte.Frauen, die in türkischen Behörden und Krankenhäusern arbeiten oder die Universitäten besuchen, ist es nicht gestattet, ein Kopftuch zu tragen.
Der Vorsitzende der oppositionellen Republikanischen Volkspartei, Deniz Baykal, warnte die Regierung: "Unternehmt weder direkt noch indirekt etwas gegen den Säkularismus!" Und Armeechef General Hilmi Ozkok kommentierte den jüngsten Vorfall zum Thema Kopftuch unmissverständlich: "Die Streitkräfte der Türkei sind entschlossen, die Republik gegen jegliche Bedrohung, besonders gegen den Fundamentalismus, zu verteidigen."
Wohl wissend, welches politische Minenfeld er betritt, wenn er eine öffentliche Kopftuch-Debatte zulässt, versuchte AKP-Chef Recep Tayyip Erdogan zu beschwichtigen. Die Regierung habe andere Prioritäten. Überdies wolle sie das Tragen von Kopftüchern im Rahmen der von ihr geplanten größeren persönlichen Freiheiten diskutieren und sich dabei um einen gesellschaftlichen Konsens bemühen.
Im Ausland wird die Kontroverse aufmerksam verfolgt. Sollte das Kopftuch-Verbot tatsächlich fallen, dann könnte dies als Indiz persönlicher Freiheit verstanden werden, aber auch als Auflehnung gegen das säkulare politische System.In einigen europäischen Ländern, so in Dänemark, Deutschland, Frankreich und Spanien, beschäftigt der Streit um das von Musliminnen getragene Kopftuch schon länger Behörden und Gerichte. 1998 hatten zwei türkische Studentinnen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten geklagt. Sie beriefen sich dabei auf die in Artikel 9 der Europäische Menschenrechtskonvention garantierte Religions- und Gewissensfreiheit.
Die türkische Bevölkerung befürwortet mehrheitlich und über die politischen Grenzen hinweg die Aufhebung des Kopftuchverbotes für Frauen in amtlichen Positionen. In einer Umfrage, die die Stiftung für Wirtschaftliche und Soziale Studien in der Türkei im Jahr 2000 finanziert hatte, sprachen sich 74,2 Prozent der Befragten dafür aus, dass weibliche Staatsangestellte im Dienst ein Kopftuch tragen dürfen. 76,1 Prozent gaben an, man solle Studentinnen auch mit Kopftuch den Besuch der Universitäten erlauben.
Viele denken so wie die Istanbuler Hausfrau Nebile Kastamonulu. "Ich bin Türkin und Muslimin und halte nichts von Fundamentalismus. Doch ich nehme mir die Freiheit, ein Kopftuch zu tragen", erklärt sie. Jede Frau solle sich so kleiden können wie sie möchte.
So hält man es auch in der Familie Kanli, die in dem Dorf Fethiye im Süden der Türkei lebt. Anders als ihre beiden jungen Töchter trägt Mutter Zeynep das traditionelle Kopftuch.Doch die Befürworter eines säkularen türkischen Staates denken nicht daran, das Verbot aufzuheben. "Für uns hat sich das Thema Kopftuch an Universitäten erledigt, darüber wird nicht mehr diskutiert", erklärte der Vorsitzende des Hochschulbeirates, Kemal Guruz. Und er stellte klar: "Mehr ist dazu nicht zu sagen."