Fragen an die IRH

Offene Aussprache zur Klärung von religiösen Grundsatzfragen

Aus Anlaß wiederholter Anfragen von CIBEDO - Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle der katholischen Kirche (gegründet von ehemaligen Afrikamissionaren) sowie vom Islam-Arbeitskreis der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau an die Gelehrten der IRH sollen an dieser Stelle nochmals die mehrfach veröffentlichten Positionen der IRH zu religiösen Grundsatzfragen behandelt werden. Da wir davon ausgehen, daß die Richtigstellung der offensichtlich immer noch vorhandenen Unklarheiten und Fehlinformationen selbst bei Islamexperten für ein breiteres Publikum von Interesse ist, haben wir uns zur Beantwortung der Anfragen in dieser Form entschlossen. Weiterhin möchten wir damit ein neues Kapitel im interreligiösen Dialog anregen. Die Beantwortung religiöser Grundsatzfragen durch die christlichen Kirchen - Wer ist Christ? Wer darf sich als Christ bezeichnen? Alleinvertretungsanspruch? usw. - und der öffentliche Diskurs darüber könnte für Muslime und Nicht-Muslime von großem Interesse sein.

Gleichberechtigung von Mann und Frau im Islam

Frage: In Deutschland gibt es Gleichberechtigung von Mann und Frau. Frauen legen Wert darauf, gleiche Rechte zu haben wie die Männer und diese auch leben zu können. Die IRH möge Stellung beziehen zum „gleichberechtigtes Zusammenleben von muslimischen Männern und Frauen in Deutschland“. Gilt die Gleichberechtigung auch für muslimische Frauen?

„Gleichberechtigung in der Demokratie heißt auch Anerkennung von Verschiedenheit“ Hans Eichel, Ex-Ministerpräsident, 1995 zum Hessischen Gleichberechtigungsgesetz

„Es ist ein grundlegender Irrtum bei der Gleichberechtigung von der Gleichheit auszugehen. Die Gleichberechtigung baut auf der Gleichwertigkeit auf, die die Andersartigkeit anerkennt. Mann und Frau sind nicht gleich.“ Elisabeth Selbert, eine der Mütter des Grundgesetzes, zur Formulierung der Gleichberechtigung im Grundgesetz 1949

Stellung der Frau im Islam

Der Islam geht bei der Stellung der Frau ebenfalls nicht von der Gleichheit, sondern von der Gleichwertigkeit der Geschlechter aus. Eine Erkenntnis, die historisch betrachtet in der Menschheitsgeschichte erstmals durch den Islam thematisiert wurde.

Die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ist per se wesentliches Prinzip des Islam. Der Quran verankert die absolute Gleichheit von Frau und Mann in ihrer Stellung vor Allah (ta'ala) und in ihrer Würde als Menschen und spricht Frau und Mann immer in der gleichen Art an: als Kinder Adams, als Menschen, als Muslime, als Mumin.

Der Islam macht keinerlei Unterschiede bezüglich der religiösen Praxis, Rechten und Pflichten, Geboten und Verboten, allenthalben gesteht er den Frauen Privilegien zu aufgrund des Frauseins.

Nach islamischem Selbstverständnis wurde der Mensch aus einem einzigen Wesen erschaffen und aus diesem viele Männer und Frauen. Der Stellenwert der Menschen vor Allah (ta'ala) bezieht sich einzig und allein auf Taqwa (die Frömmigkeit und Ehrfurcht vor Allah) und nicht auf das Geschlecht. Grundlage des Zusammenlebens der Geschlechter ist nach islamischem Verständnis, Liebe, Rücksichtnahme, Barmherzigkeit und partnerschaftliches Ergänzen zu einem Ganzen. Kein Kampf der Geschlechter, sondern ein Miteinander.

Nach den Erfahrungen der IRH beruhen die meisten Vorurteile über die Stellung der Frau im Islam auf der Projektion eigener (christlicher) Ängste auf den Islam. Die Mehrheitsgesellschaft projiziert ihre negativen historischen Erfahrungen mit Religion im allgemeinen und christlicher Kirche im besonderen pauschal auf den Islam. Besonders fatal wirkt sich dies aus, wenn das abendländische Frauenbild, das historisch betrachtet extrem negativ behaftet ist, unreflektiert übertragen wird auf die muslimische Frau.

Für eine objektive Beurteilung der Stellung der Frau im Islam ist es unabdingbar, sich zu vergegenwärtigen, daß das Frauenbild im Islam mit nichts identisch ist, mit dem Frauenbild der abendländisch-christlichen Kultur.

Der Islam kennt keine Erbsünde und die Frau ist nicht der Ursprung der Sünde, sondern beide, Mann und Frau tragen jeder für sich selbst die Verantwortung für das Fehlgehen.

Im Islam gab es nie eine theologische Diskussion darüber, ob die Frau eine Seele hat. In der islamischen Geschichte gab es niemals von Seiten der Religion geduldete frauenfeindliche Auswüchse wie Inquisition und Hexenverbrennung.

Der Islam kennt keine Leibfeindlichkeit. Freiwillige Askese wird als widernatürlich bewertet und ist unerwünscht.

Sexualität ist positiv besetzt.

Frauen werden nicht von religiösen Ämtern ausgeschlossen. Weibliche Imame und Islamologinnen sind die Norm. Der Islam kennt keinen Ausschluß von Frauen von der Bildung, denn der Erwerb von Bildung ist eine religiöse Pflicht für Frauen und Männer.

Weil der Islam das alles nicht kennt und weil der Islam eine ganz andere Geschichte durchlaufen hat, darf auch keine pauschale Übertragung historisch gewachsener Ressentiments gegenüber Religion in Bezug auf ihren Umgang mit Frauen auf den Islam erfolgen.

Ein Blick in die islamische Geschichte zeigt, daß der Islam eine ganz andere, eine sehr positive Geschichte in Bezug auf Menschenrechte und Frauenrechte hat.

Im islamischen Wertesystem ist die Frau gleichwertige Partnerin des Mannes mit Pflichten und Rechten, wie z.B. Stimm- und Wahlrecht, Erbrecht, Namensrecht, Recht auf ökonomische Unabhängigkeit, standesgemäßen Unterhalt, Bildung und Ausbildung, freie Wahl des Ehepartners, Empfängnisverhütung, Scheidung, Still, geld, sexuelle Erfüllung in der Ehe und sie besitzt den Status eines Rechtssubjektes.

Diese und weitere Rechte wurden den Frauen von Allah (ta’ala) verliehen und sind nicht das Ergebnis einer historischen Entwicklung.

Muslimische Frauen mußten für diese Rechte weder kämpfen, noch eine Frauenbewegung initiieren. Deshalb können diese Rechte den Frauen auch nicht entzogen werden, weder per Dekret noch per Mehrheitsbeschluß, von keinem Mann und keinem Machthaber, es sind Rechte, die der Islam ihnen seit 1400 Jahren zugesteht.

Für die Muslime und besonders für die muslimischen Frauen ist dieses islamische Wertesystem das denkbar beste System, weil es vom Schöpfer, von Allah (ta'ala) für unsere Bedürfnisse konzipiert wurde.

Dieses Wertesystem ist weder reformbedürftig noch inkomplett. Ein Wandel dieses islamischen Wertesystems durch Übernahme systemfremder Elemente wirkt sich immer zum Nachteil der Frauen aus, wie uns die islamische Geschichte und leider auch die aktuelle Situation in den Ländern des islamischen Kulturkreises anschaulich beweist, wo Frauen unter Defiziten bei der Gewährung ihrer islam-immanenten Rechte leiden.

Das gleichberechtigte Zusammenleben von muslimischen Männern und Frauen in Deutschland bedarf deshalb eigentlich keines Statements und keines Beweises. Es ist eine unter den bekennenden Muslimen gelebte Realität. Vereinzelte Vollzugsdefizite dürfen wie bei christlichen Frauen auch, nicht monokausal der Religion angelastet werden, sondern müssen fairerweise als Fehlverhalten Einzelner gewertet werden.

Deshalb sollte die Frage, ob die Gleichberechtigung auch für muslimische Frauen in Deutschland gilt, besser an die Mehrheitsgesellschaft gestellt werden, denn die Hürden zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Partizipation muslimischer Frauen werden nicht vom Islam oder der IRH aufgestellt, sondern durch Kultusministerinnen, Politiker, Arbeitgeber und andere Demokraten.

Quelle:
www.irh-info.de/islam/select_gleichberechtigung.htm