Buchtips dazu:

Parteiisch und sensibel
Petra Schnüll / Terre des Femmes (Hrsg.): Weibliche Genitalverstümmelung. Eine fundamentale Menschenrechtsverletzung. Göttingen 1999, 295 S.

Weltweit leben etwa 150 Millionen Mädchen und Frauen mit verstümmelten Genitalien, 2 Millionen kommen jährlich hinzu. In Deutschland sind 20.000 Migrantinnen betroffen. Und doch ist die Verstümmelung der weiblichen Genitalien noch immer ein Tabu und wird unter Berufung auf die Achtung vor fremden Kulturen mit Schweigen belegt. Umso wichtiger sind Information und Aufklärung, um ein Umdenken zu fördern und diese Art Verstümmelung zu bekämpfen. Genau darum geht es den Herausgeberinnen, die eine beeindruckende Fülle an Material zusammengetragen haben.

Das Buch enthält 29 Beiträge, darunter verschiedene Interviews, die weit über eine Grundlageninformation hinausgehen. So bietet es neben einer Einführung über Formen und Hintergründe der Genitalverstümmelung auch Erfahrungsberichte aus Aktionsgruppen, Einblicke in nationale Gesetze und internationale Abkommen sowie eine interessante Abhandlung über die medizinhistorische Behandlung von Genitalverstümmelung im Europa des 19. Jahrhunderts. Auch das Verhältnis der Genitalverstümmelung an Frauen zu der an Männern wird aufgegriffen.

Die Autorinnen verurteilen klar die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane als fundamentale Menschenrechtsverletzung, als Angriff auf die körperliche Integrität, als Bedrohung für das Leben. Und doch betrachten sie immer auch den kulturellen Hintergrund und plädieren eindringlich für einen sensiblen Umgang mit gesellschaftlichen Traditionen und dem sozialen Umfeld. Denn ihnen ist klar: Eine Änderung geht nur von den Betroffenen selbst aus. Dazu gehören auch die Eltern und Nachbarn, der Dorfvorsteher, die Lehrer und Ärzte, Hebammen und traditionelle Heiler und Heilerinnen sowie nicht zuletzt die Politiker.

Auch wenn diese Verstümmelung in Afrika am häufigsten praktiziert wird, hätte ich mir zumindest einen Artikel aus einer anderen Region gewünscht. Bei der Vielzahl der Beiträge bleiben auch Wiederholungen nicht aus, was aber das Lesen nur einzelner Artikel erleichtert. Insgesamt ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über weibliche Genitalverstümmelung und über Menschenrechte und kulturelle Identität, zumal auf Deutsch keine vergleichbare umfassende Textsammlung dazu vorliegt. Nützliche Adressen und Literaturhinweise machen das Buch zudem zu einer unentbehrlichen Quelle für weitere Recherchen.

Heike Koehn

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Ohne moralische Verurteilung

Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen, Eine kirchliche Stellungnahme, Herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Herrenhäuser Straße 12, 30149 Hannover

Erst in letzter Zeit dringt das Thema Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen in eine breitere öffentlichkeit vor. Die Praxis existiert nach wie vor in vielen Ländern Afrikas und einigen Ländern Vorderasiens. Was früher bagatellisierend als Beschneidung bezeichnet wurde und als kulturelle Identität galt, wird schon lange von den verschiedensten Menschenrechtsorganisationen als Menschenrechtsverletzung verurteilt.

Inzwischen diskutiert man die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen als frauenspezifischen Fluchtgrund. Jetzt nimmt auch die EKD in einer Broschüre dazu Stellung. Sie verweist auf die Länder, in denen diese Praxis besonders großen Einfluß hat. Dabei wird nicht vergessen, daß sie sowohl von Muslimen wie von Christen angewendet wird. In Zusammenarbeit mit externen Expertinnen werden verschiedene Formen der Genitalverstümmelung beschrieben, ihre erheblichen gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen und die Begründungen und Rechtfertigungen für dieses Vorgehen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Rechtsfragen unter dem Aspekt der politischen Verfolgung und dem strafrechtlichen Schutz. Durch die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit sind die Kirchen immer wieder mit dem Problem konfrontiert. Die Empfehlungen und die Vorschläge für konkrete Maßnahmen gehen gesondert darauf ein. Nachdrücklich betont die Stellungnahme, von einer moralischen und skandalisierenden Verurteilung abzusehen, die bislang in öffentlichen Diskussionen immer wieder unangenehm auffiel. Statt dessen geht es ihr um konkrete Hilfestellungen in Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Aktionsgruppen vor Ort.

Ina Zeuch
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Armes, buntes Afrika

Christoph Plate und Theo Sommer (Hrsg.): Der bunte Kontinent - Ein neuer Blick auf Afrika DVA, München/Stuttgart 2001, 368 S.

Ein Buch mit dem Ziel, Afrikanern einen Einblick in den "bunten" Kontinent Europa zu vermitteln, käme nicht umhin, sich zahlreicher Stereotype zu bedienen. Ein Buch über Afrika, einen von Kriegen und Naturkatastrophen zerrütteten Kontinent, der nicht nur größer, sondern kulturell und sprachlich wesentlich vielfältiger ist als ein erweitertes Europa, muss einen deshalb skeptisch stimmen. Die Zweifel sind zum Teil berechtigt.

Mit "Der bunte Kontinent -ein neuer Blick auf Afrika", haben Theo Sommer, Editor-at-Large bei der Wochenzeitung Die Zeit, und Christoph Plate, Korrespondent für verschiedene deutsche Medien in Nairobi, eine Aufsatzsammlung zusammengestellt, die zwar vielseitig, unterhaltsam und spannend zugleich ist, aber nur wenig Neues bietet.

Fachkundige Autoren aus aller Welt schreiben unter anderem über Naturkatastrophen und Raubbau, über Kunst und Sport, Politik und die Gängelung der Medien, über Märkte sowie widersinnige Grenzen. Dabei wird der Kontinent nicht als Ganzes betrachtet. Einzelne Beiträge, wie der von Norbert Cyffer, über den Kontinent der zweitausend Sprachen, und der von Georg Brunold unterstreichen die Vielfalt Afrikas, sind dabei leicht verständlich und verlieren sich nicht in Details.

Nicht nur für den unbedarften Leser ist dieses Buch eine lohnende Lektüre. Afrikaforschern und -skeptikern, die eher selten über den Tellerrand ihres Fachgebiets schauen (wollen), eröffnen sich Themenfelder, die einen emotionaleren Zugang zu Afrika widerspiegeln. So sind einzelne Beiträge, wie die von Daniel Bax über Musik ("Afrika Pop") sowie von Peter Ripken über Literatur nicht nur sehr erhellend, sondern auch Lichtblicke zwischen den alltäglichen Negativmeldungen in den Medien. Peter Winkler erzählt charmant, anekdotenhaft und für Touristen äußerst lehrreich von den Fettnäpfen, in die man als Gast oder Gastgeber treten kann. Lobenswert sind die Bemühungen einiger Autoren, Vorurteile zu beseitigen. Baumgartner weist auf die weltweit einzigartige Toleranz afrikanischer Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen hin. Iris Hahner spricht von der - lange Zeit als primitiv und trivial befundenen - afrikanischen Kunst, die schon längst den Weg in die berühmtesten Museen gefunden hat, und Mike Nicol räumt mit dem westlich-naiven Bild afrikanischer Architektur von runden Lehmhütten mit Strohdächern auf.

Aber ganz ohne die bekannten Bilder geht es am Ende doch nicht. Denn obwohl das Buch "jenseits von mitleidigem Spenderblick... mit Vorurteilen aufräumen" will, wie es das Vorwort verspricht, läuft der Leser Gefahr, sich in seinem Bild vom rohen, dunklen, mysteriösen Afrika bestätigt zu sehen, dem letztendlich noch geraten wird "zur Vernunft zu kommen". Es werden Klischees bedient, wenn Isabelle Baumann (die Ehefrau des ehemaligen deutschen Vorzeigesportlers) von den "schwarzen Perlen" Afrikas schreibt und damit ostafrikanische Mittel- und Langstreckenläufer meint.

Zum anderen werden gängige Stereotype verstärkt. Da wird äußerst brutal, geradezu klinisch die Genitalverstümmelung an Frauen beschrieben (Michael Franzke); an anderer Stelle ordnen "Zauberheiler" an, behinderte Babys lebendig zu begraben (Claudia Thiel); es ist die Rede von brutalen und korrupten Politikern, von brüchigen Staatssystemen und putschenden Militärs, von Flüchtlingströmen und der sich rasant ausbreitenden AIDS-Epidemie. Alles ist soweit richtig, aber nicht die ganze Wahrheit. Zwar ist es notwendig auf die Missstände hinzuweisen, aber manches ist nicht neu und bleibt dem Leser trotzdem fremd. Wer schon einmal dort gewesen ist, vermisst das bunte Treiben und Leben auf den Straßen Afrikas, die Selbstverständlichkeit, mit der Probleme angegangen werden, die Zuversicht trotz des Elends, den scheinbaren Widerspruch zwischen Chaos und der Magie der ungeschriebenen Regeln und Gesetze. In dem Buch findet man all das nicht wieder.

Ein weiteres Manko ist die relativ geringe Anzahl an Beiträgen von Afrikanern sowie von Frauen. Im Vorwort geben die Herausgeber eine Erklärung zum Besten, die primitiver nicht sein kann: "Viele der Autoren, die auf dem Kontinent leben, sind mit dem täglichen Leben beschäftigt. Da fehlt die Muße, sich zurückzulehnen, um über Gegenwart und Zukunft nachzudenken". Eine weniger überheblich-belehrende Haltung "von oben" und gleichzeitig eine größere Nähe zu den Menschen hätte dem Buch gut getan.

Trotz aller Einwände bleibt es eine informative und spannende Lektüre, die auf Probleme hinweist und gleichzeitig ein "anderes" Afrika darstellt und gut lesbar näher bringt. Für denjenigen, der sich darüber hinaus mit dem "bunten Kontinent" auseinander setzen möchte, bietet ein Kompendium "Afrika von A bis Z" im Anschluss an die Beiträge Informationen in Stichworten sowie zahlreiche Hinweise auf Literatur und Websites.

Jens Rabbe

http://www.der-ueberblick.de