Tunesien will nicht mehr nur Urlaubsziel für Badeurlauber sein. Jenseits der Mittelmeerstrände hat Tunesien ein vielfältiges kulturelles Erbe und großartige Wüstenlandschaften zu bieten, wie eine Fahrt mit dem "Orientexpress Nordafrikas" beweist.
Der "Orientexpress Nordafrikas": Alte Pracht für eine Entdeckungsfahrt in die Wüstenlandschaft Tunesiens
Gafsa - "Montez, s'il vous plait", ruft der Zugbegleiter und klatscht in die Hände. Seine schicke Livree mit Weste und breitem Gürtel ist auf das leuchtende Rot der Waggons vom "Lezard Rouge" (Rote Eidechse) abgestimmt. Die Fahrgäste folgen der Aufforderung und steigen ein. Krachend fallen die schmiedeeisernen Gittertüren der offenen Perrons hinter ihnen ins Schloss. Die "Rote Eidechse" setzt sich wieder in Bewegung und schiebt sich zur berühmten Seldja-Schlucht vor.
Der ehemalige Privatzug des Bey von Tunis, des tunesischen Herrschers, auch der "Orientexpress Nordafrikas" genannt, rollt heute fast ausschließlich für Touristen, die den zum Teil erhalten gebliebenen Kolonialstil des Zuges zu schätzen wissen. So findet sich hier ein Abteil, in dem noch dicke Ledersessel statt praktischer Sitzbänke stehen. Und wie zu früheren Zeiten werden Tee und kühle Getränke an die Tische serviert.
Die Urlauber genießen die rund 20 Kilometer lange Fahrt als reine Vergnügungsfahrt. Der Halt auf freier Strecke gehört dazu: Zeit zum Fotografieren der einzigartigen Landschaft. "In der Hauptsaison ist die Schienenattraktion oft ausgebucht", sagt Ezzedine vom tunesischen Fremdenverkehrsamt. Auch viele Badegäste von der rund 300 Kilometer entfernten Insel Djerba kämen, um mit dem Zug auf Entdeckungsreise zu gehen. In Deutschland sei Tunesien leider nur für Badeurlaube am Mittelmeer bekannt. "Wir haben Kunst und Kultur, Thermalanlagen, Traditionen und Jahrtausende alte Geschichte - und alles nur zwei Flugstunden von Deutschland", betont der Tourismusprofi. Die Sahara nimmt fast 40 Prozent des tunesischen Staatsgebietes ein.Die zentraltunesische Stadt Tozeur soll als Zentrum für Touren in die großartige Wüstenlandschaft der Sahara ausgebaut werden.
Die Selja-Schlucht im Atlasgebirge: Gewaltige Felswände inmitten der Steinwüste
In Tunesiens Kultur vermischen sich türkische, arabische und europäische Einflüsse. Als die Franzosen Algerien eroberten, war auch Tunesien wegen seiner strategisch interessanten Lage ein begehrtes Ziel der verschiedenen europäischen Mächte. Obwohl seit 1881 die Regierungsgewalt in der Hand der Franzosen lag, blieb der Thron den tunesischen Herrschern, den Bey, erhalten. 1913 erhielt der Bey den Zug als Geschenk Frankreichs, der bis 1945 im Dienste der tunesischen Herrscher blieb.
Heute erwartet die nostalgische Eisenbahn ihre Passagiere im Bahnhof von Metlaoui fast täglich. Die kleine Bergbau- und Industriestadt am südlichen Rand des zu den Ausläufern des Atlas zählenden Berglandes von Gafsa verdankt ihre Existenz einem gewaltigen Phosphatvorkommen. Der "Lezard Rouge" hat längst die Häuser rechts und links der Gleise hinter sich gelassen. Aus der kargen Steinwüste ragen auf einmal gewaltige Felswände bis zu 200 Meter in den blauen Himmel hinauf. Die engste Stelle des Canyons, wo die Steppe in Wüste übergeht, misst nur wenige Meter.
Den Ausgang der etwa 10 Kilometer westlich von Metlaoui gelegenen Seldja-Schlucht bildet die Quelle Raas al-Ajoun. Hier entdeckte der Franzose Philippe Thomas 1886 das Phosphat. Die Engstelle der Schlucht wird "Säbelhieb" genannt, berichtet Ezzedine, nicht ohne die Legende des Berberprinzen Al-Mansour zu erwähnen. Dieser soll während der Flucht vor seinen Feinden die Schlucht eigenhändig in den Fels geschlagen haben.
An einer Felswand tauchen die Spuren einer römischen Stadtmauer auf. Die Römer hatten das Gebiet 106 v. Chr. erobert. Die drei idyllischen Bergoasen Tamerza, Mides und Chebika kurz vor der algerischen Grenze waren einst römische Militärposten, die errichtet wurden, um eine wichtige Karawanenroute zu bewachen. Der wiederaufgebaute Palast der Hafsiden-Herrscher von 1434 und die Römischen Bäder sind heute die Hauptattraktionen der ehemaligen Garnisonsstadt Gafsa. An den vier Meter tiefen Becken, die mit Tunneln verbunden sind, warten Kinder auf die Touristen, um sie mit kleinen Kunststücken zu unterhalten. Da ist zum Beispiel der 10-jährige Heitham, der kerzengerade in das 25 Grad warme Thermalwasser springt. Die Touristen applaudieren, sein Freund sammelt das Trinkgeld ein.