Erklärung von Amor Ben Hamida
Soeben hat Rached Ghannouchi, Parteichef der Ennahdha, eine meiner Meinung nach entscheidende Diskussion im TV-Sender Nessma gehabt und einige wichtige Standpunkte seiner Person und seiner Partei erklärt. Natürlich werden viele ihn für einen "Fuchs" halten und ihm Hinhaltetaktik oder gar Unehrlichkeit vorhalten, aber - wie er es selber ausdrückte - dieses Land hat zu wenig Vertrauen ...
Im Wesentlichen (und sehr stark verkürzt) hat er folgendes empfohlen:
- die geforderte Auflösung der Regierung kann nicht erfolgen, ohne dass eine neue ZUVOR definiert wurde, sonst stünde das Land in einem gefährlichen Machtvakuum; die Opposition aber stelle die Auflösung der Regierung als Vorbedingung für Gespräche
- die neu zu bildende Regierung (Staatspräsident, Regierungschef, alle Minister/innen) sollen parteilos oder neutral, vor allem aber nicht für die definitiven Wahlen in ca. 2 bis 3 Monaten kandidieren dürfen
- die konstituierende Versammlung soll sofort ihre Arbeit wieder aufnehmen und ihren Auftrag erfüllen
- die Wahlen sollen dann entscheiden, welche Koalition das Land regieren soll, denn er glaube nicht an eine absolute Mehrheit: Nida Tounes, heute grösster Konkurrent der Ennahdha, gab es ja vor zwei Jahren bei der ersten Wahl noch gar nicht; die Würfe seien neu geworfen, die Karten unterwegs neu gemischt worden sein und Ennahdha anerkennt gewisse Fehler und Versäumnisse, aber die politische Lage im Land sei nun anders als vor zwei Jahren, daher glaube er, dass zwei grosse Parteien in Koalition regieren werden müssen und mit der Zeit sich eine Regierungs- und eine Oppositionspartei heraus kristallisieren werde (wie es in vielen modernen Demokratien üblich sei)
Tunesien und die Tunesier/innen wollen endlich Arbeit, Lohn, Sicherheit und eine Zukunft haben. Er appellierte in seinem Schlusswort an Politiker und Bevölkerung dieses wunderbare Land nicht in den Ruin zu führen. Tunesien habe als erstes arabisches Land (das war übrigen ca. 1845) die Sklaverei abgeschafft, habe der Frau seit 1956 den Status einer Gleichberechtigten gegeben, Tunesien habe vor 3'000 Jahren schon eine karthagische Verfassung gehabt, hervorragende Menschen wie Ibn Khaldoun hervorgebracht, das Land dürfe nicht das gleiche Schicksal wir Ägypten treffen.
"Was wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Ein Land mit Zukunft oder eine Katastrophe?" so Ghannouchi wörtlich...
Es scheint mir eine aufrichtige Rede gewesen zu sein, zumal er auf die Frage, ob er für ein politisches Amt kandidieren würde, klar verneinend antwortete. Es scheint mir auch, als wüsste Ghannouchi um die historische Verantwortung, die bei einem weiteren zwischenparteilichen Streit zu tragen wäre: Bürgerkrieg ist das Schlimmste, weiterhin Chaos und Unproduktivität im günstigen Falle.
Medenine, 25. August 2013
Amor Ben Hamida
http://www.amorbenhamida.ch/de-ch/chronik.html