In Tunesien haben Unbekannte den linken Oppositionsführer Mohammed Brahmi erschossen. Säkulare Gruppen machen die islamistische Regierung für die politische Gewalt verantwortlich, Tausende gehen auf die Straße. In Sidi Bouzid zündete die Menge des Büro der Regierungspartei an.
Tunis - Tunesien wird vom zweiten politischen Mord innerhalb weniger Monate erschüttert. Unbekannte haben an diesem Donnerstag den Oppositionspolitiker Mohammed Brahmi vor seinem Haus in einem Vorort von Tunis erschossen. Die Attentäter feuerten vor den Augen seiner Frau und Tochter elf Kugeln auf den 58-Jährigen, bevor sie auf dem Motorrad flüchteten, berichteten Sicherheitskräfte.
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Brahmi war Gründer und Chef der links-säkularen Volkspartei und galt als einer der einflussreichsten Oppositionellen des Landes. Er war auch Mitglied der verfassunggebenden Versammlung, die derzeit eine neue Verfassung ausarbeitet.
Nach Bekanntwerden der Ermordung versammelten sich Tausende Demonstranten vor dem Innenministerium in Tunis. Sicherheitskräfte setzten Tränengas gegen die Protestierenden ein.
In der Provinzstadt Sidi Bouzid, wo Ende 2010 der Aufstand gegen Diktator Ben Ali seinen Anfang genommen hatte, griff eine aufgebrachte Menge das Büro der Regierungspartei an und setzte es in Brand. Laut Augenzeugen forderten Tausende Demonstranten den Sturz der Regierung von Premierminister Ali Larayedh.
Im Februar wurde Chokri Belaïd ermordet
Die Oppositionelle Najla Bouriel nannte das Attentat "die größte Katastrophe, die Tunesien widerfahren konnte". Brahmis Ehefrau bezeichnete ihren getöteten Mann als "Märtyrer, der für seine Meinung gestorben ist". Das Attentat ereignete sich am 56. Jahrestag der tunesischen Republikgründung 1957 - jener Republik, die radikale Islamisten ablehnen.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich bestürzt über die Gewalttat. "Ich rufe alle politisch Handelnden in Tunesien auf, sich auch in diesem schwierigen Moment ihrer Verantwortung für die junge Demokratie des neuen Tunesiens bewusst zu sein", erklärte der FDP-Politiker.
Erst Anfang Februar hatten Salafisten den Oppositionspolitiker Chokri Belaïd erschossen. Belaïd und Brahmi waren erbitterte Kritiker der Islamisierung der tunesischen Gesellschaft, die von der Regierung und salafistischen Gruppierungen vorangetrieben wird.
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Belaïds Ermordung hatte im Februar die größten Proteste seit dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali ausgelöst. Ministerpräsident Hamadi Jebali trat im Zuge der Proteste zurück, das Kabinett wurde umgebildet. Zwei Mordverdächtige wurden inzwischen festgenommen, die Hintermänner des Mordes sind jedoch noch immer auf der Flucht.
Säkulare Gruppen werfen der regierenden islamistischen Nahda-Partei vor, nicht genug gegen die Gewalt seitens der Salafisten zu unternehmen. Belaïds Anhänger machten gar die Regierung direkt für seine Ermordung verantwortlich.
Nahda-Chef Rachid Ghannouchi äußerte sich in einer Erklärung bestürzt über den Mord an Brahmi. "Wir verurteilen dieses feige und abscheuliche Verbrechen", sagte der Parteichef. Die Regierung erklärte den Freitag zu einem nationalen Trauertag für den Ermordeten.
syd/dpa/Reuters
http://www.spiegel.de/politik/ausland/in...n-a-913139.html