der Begriff "Interessen" scheint für Dich ein sehr zentraler Begriff zu sein, da Du hinter anderen Meinungen, anderen Medienorganen und dergleichen mehr, immer "Interessen" wähnst. Das ist aber glaube ich kaum belegbar. Ein Journalist wird sicherlich immer leugnen, Interessen zu dienen, er wird sagen, daß er Journalist ist, um der Wahrheit zu dienen und seine Meinung zu schreiben.
Ich wähne es nicht. Das "Interesse" ist ein zentraler Grundpfeiler jeglichen Handels. Interesse beinhaltet sowohl ökonomische und politische Vorteile, als auch altruistische Motive - wobei alle Forschungen daauf hindeuten, daß die letztern einen nur sehr geringen Stellenwert einnehmen.
Insofern ist das Interesse, das Du als Beispiel angibst, "Muslime hier in diese Gesellschaft zu integrieren, wobei diese ihre Religiösität nicht durch eine Mehrheitsgesellschaft gegängelt werden soll" in der Praxis, wenn überhaupt, nur marginal existent. Mögliche reale Interessen bestehen vielmehr darin, Arbeitskräfte in die Ökonomie zu integrieren, die Sozialgesellschaft vor einem Auseinanderdriften zu bewahren, die Bevölkerung zu entnationalisieren oder in einen anderen Kulturkontext zu zwingen, etc. etc.
Ich weiß es nicht, ob und wie lange Du im Ausland gelebt hast und wie genau Dir andere Gesellschaften aus persönlicher Erfahrung bekannt sind, doch, so bald man Europa verläßt, oft reicht es dazu schon, Deutschland zu verlassen, und man damit Abstand gewinnt, um so mehr erkennt man, daß der Entwurf der westlichen Gesellschaften nicht der allein glücklichmachende ist, und daß ihr Einfluß auf das Denken der Menschen sich eher verringert, als vergrößert. Nicht der ökonomische Einfluß, denn der entspringt historischer Dominanz und der Existenz westlich dominierter Doktrin und Personen in leitender Stellung - doch auch der beginnt, zu schwinden.
Dann muß man auch noch differenzieren zwischen der Gesellschaft, die sich aus sich selbst entwickelt hat und deren, die, wie die deutsche nach dem Krieg, von außen der induziert worden ist. Stichworte sind hier beispielsweise die Erziehung und die ökonomische Hilfe, die durch die drei Westmächte bestimmt und gegeben wurden, sowie die Beeinträchtigung der Souveränität durch diese (zuletzt noch sichtbar bei den 2+4-Gesprächen und der Einführung des Euro).
Ähnlich wie auch die Religion, die Du ja ansprichst, dient da der Humanismus oft nur als Rückzugsgebiet, als Schein-Argument, als Cameo für andere Interessen. Ich stelle es dabei jedoch nicht in Abrede, daß diese Handlungen womöglich als gesellschafts- und staatspolitisch zwingend stattfinden müssen, und eine Alternative zwar akademisch diskutiert werden kann, jedoch realitätsfern ist.
Und das alles hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun - zwar ist man geneigt, alles, was dem normalen Denkschema zuwiderläuft, und dazu gehört der Glaube an einfache Zusammenhänge und "das Gute im Menschen" (was durchaus an-erzogen ist), als Verschwörung zu bezeichnen, doch oftmals steckt da keine echte "Verschwörung" hinter, sondern simple, oft sogar vorhersagbare, Interessenlagen ("Eurokrise", "arabischer Frühling") von Personen, von denen man nur GEDACHT (präziser: GEHOFFT) hat, daß sie anders, doch nicht so handeln würden. Das Stichwort hier ist die sogenannte "kognitive Dissonanz", die einen etwas anders denken, als sehen läßt.
Aber ist dieses Interesse ein egoistisches? Nein, ich denke wohl kaum, es ist ein durchaus menschenfreundliches.
Wie ich schon schrieb - altruistische Interessen (das ist noch einmal etwas anderes als humanistische) sind eher selten.. in Deinem Beispiel würde ich eher sagen, daß hier der Wunsch zur Harmonie eine Rolle spielt, und die nächste Frage wäre dann: warum dieses Interesse an Harmonie? Mögliche Antworten darauf sind ökonomische oder gesellschaftspolitische Vorteile, die man aus einer hamronischen Gesellschaft zieht - und das sind durchaus handfeste Interessen, die von einer Mehrheit geteilt werden. Das einfache Motiv "weil sich alle Menschen lieben" mag zwar auch angebracht werden, es gibt sicherlich Menschen, die ohne weitere Hintergedanken so denken, doch ich würde es nicht so ohne weiteres akzeptieren, weil es einfach zu selten auftritt.
aber er klinkt sich aus der Mehrheitsgesellschaft praktisch aus und meint esoterischerweise eine andere, "wirkliche" Wahrheit zu kennen.
Ja, Harmoniebedürfnis. Die Mitgliedschaft in einer Mehrheitsgesellschaft ist doch nur dann und so lange sinnvoll für das Mitglied, wie es daraus Vorteile für sich selbst zieht.
Ist eine Entität (Person, Gruppe) jedoch in einer Position, daß sie keine weiteren oder mehr Vor- als Nachteile aus der Mitgliedschaft ziehen kann, dann wird dieser "Pakt" gebrochen. Und jetzt kommt es: Wenn die Mehrheitsgesellschaft denkt, daß jedermann ihre eigenen Werte goutiert und also die Werte dieselben sind, dann begeht sie einen fatalen Trugschluß, der sich dann durch Abspaltungen und Opposition rächt. Deshalb reagiert sie dann auch hilflos auf Randgruppen (die so genannt werden, weil sie eben nicht den Wertekanon teilen) oder auf sich selbst unterhaltende und nach eigenen Werten lebende Gruppen ("Parallelgesellschaft"). Die Integration einer solchen nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörenden Gruppe ist wegen der zum Teil diametral entgegengesetzten Werte nicht widerstandslos nötig - und der andere Weg, die Toleranz über das Maß hinaus, das man einer wertegleichen Oppositionsgruppe gewähren würde, bricht den Konsens der Mehrheitsgruppe und führt zu weiteren Abspaltungen (genau dies ist es, was m.E. derzeit geschieht).
Was Du im Grunde machst ist eine an den Haaren herbei gezogene Spiegelung meiner Argumentation.
Wenn ich etwas spiegelte und Du dies kritisierst, dann hieße das auch, daß das zugrundeliegende Original ebenso fehlerhaft ist, nicht wahr? Auch wenn ich das, was Du mir vorwirfst, so nicht beabsichtige, fällt mir da sogleich das Sprichwort vom "Spiegel vorhalten" ein, was ja durchaus ein lehrreicher Prozeß sein soll.

der übel als Agent gegen die Pressefreiheit auftritt.
Die Pressefreiheit interessierte mich gar nicht - mir ging es um die Meinungsfreiheit, die viel weiter reicht, als das geschriebene Wort und die auch die Denkfreiheit als notwendiger Prozeß, um sich eine Meinung zu bilden, mit einschließt.
Dazu gibt es zu sagen, daß dergleichen Spiegelungen argumentativ schlechter Stil sind. Man geht auf diese Weise schon gar nicht mehr auf die Argumente des Kontrahenten ein, sondern wirft ihm am besten gleich das vor, was einem selber vorgeworfen wurde. Auf diese Weise entsteht aber keine vernünftige Diskussion.
Reactio statt actio ist ebenfalls ein beliebtes Rhetorikmittel, nicht wahr? Was Du übersiehst, ist, daß ich Dich in vielen Fällen nicht persönlich anspreche (dann steht meist ein "Du" in Satz), sondern eher Überlegungen allgemeiner Art anstelle, da ich eine Diskussion eher als einen Meinungsaustausch auf einer Ebene jenseits des persönlichen Disputs ansetze.
Ich lege es daher auch nicht darauf an, daß ein Konsens hergestellt wird, sondern, daß eine Vielzahl von Argumenten angesprochen wird, um die Meinungsbildung und -hinterfragung zu fördern.
Leider nehmen nicht viele Forumsmitglieder an der Diskussion teil - was mich fast dazu verleitet, zu sagen, wir sollten sie beenden, weil sie offenbar ja hier keinen Widerhall findet; da gibt es vermutlich anderen Foren, die dazu geeigneter wären und eine politische Ausrichtung haben.