21.02.2011, 17:15
Unruhen in Nordafrika

Massenflucht westlicher Konzerne aus Libyen

Die blutigen Proteste in Gaddafis Land veranlassen ausländische Unternehmen, ihre Mitarbeiter abzuziehen.

Türkische Baustellen sollen geplündert worden sein. Die Regierung in Ankara schickt angeblich Fähren nach Tripolis - in Begleitung eines Kriegsschiffes.
Angesichts der blutigen Unruhen in Libyen verlassen ausländische Unternehmen in Scharen das Land - und die Türkei sorgt sich um ihre Bürger. Siemens zieht rund 100 Mitarbeiter ab. Der Elektronikkonzern organisiere derzeit die Ausreise der Ausländer, die in Libyen beschäftigt seien, sagte ein Sprecher in München. Siemens betreibe in Libyen etwa Umspannungswerke oder Schaltanlagen und erziele in dem Land einen Jahresumsatz von rund 160 Mio. Euro.
Ölförderung in Libyen Ölförderung in Libyen
Auch der Energiekonzern RWE flog Mitarbeiter und Angehörige aus. Zwei Gruppen seien am Wochenende zurückgekehrt, nachdem der Versorger die Abreise empfohlen habe, sagte eine Sprecherin der Öl- und Gasfördertochter RWE Dea. Eine Kernmannschaft halte den Betrieb in der Niederlassung in der Hauptstadt Tripolis aufrecht.
Der größte italienische Energiekonzern Eni rief ebenfalls einen Teil seines Personals zurück. In den nächsten Tagen sollen die Familienangehörigen von Angestellten des Energieunternehmens aus Gaddafis Land ausgeflogen werden. Die BASF -Tochter Wintershall kündigt an, etwa 130 Personen aus Libyen nach Deutschland zurückzubringen. Die Öl-Produktion soll heruntergefahren werden.
Der britische Ölkonzern BP stellt seine Geschäfte vor Ort hingegen ein. Betroffen seien Vorbereitungsarbeiten für die Gas- und Ölproduktion im Westen des Landes, sagte ein Firmensprecher. BP bereitet eigenen Angaben zufolge auch die Evakuierung von Mitarbeitern vor. Der japanische Öl- und Gas-Konzern JX Nippon Oil & Gas Exploration hat seinen Bürochef aus Libyen nach Hause beordert. Andere Mitarbeiter seien bereits außer Landes.
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Österreichs Öl- und Gaskonzern OMV reduziert ebenfalls die Belegschaft. Nur die für das Geschäft unverzichtbaren Mitarbeiter würden bleiben, die ausländischen Mitarbeiter und ihre Familien würden aus dem Land geholt, teilte das Unternehmen mit.Die Produktion soll von der Verringerung der Belegschaft unberührt bleiben, hieß es in einer weiteren Mitteilung der OMV. Die Unruhen in Libyen haben an den Öl-Terminmärkten die Preise kräftig angeschoben. Der Preis für ein Fass (159 Liter) Nordseeöl der Sorte Brent stieg zeitweise um mehr als zwei Prozent auf 104,60 Dollar und lag damit so hoch wie seit September 2008 nicht mehr.
Plünderung türkischer Unternehmen
Bei den Unruhen in Libyen sind nach Angaben der Regierung in Ankara 14 türkische Baustellen geplündert worden. "Türkischen Bürgern ist bislang nichts angetan worden", sagte Staatsminister Zafer Caglayan. "Unsere vordringlichste Forderung und Erwartung ist, dass die Sicherheit unserer Bürger gewährleistet wird." Türkische Unternehmen betreiben in Libyen Projekte mit einem Gesamtwert von mehr als 15 Mrd. Dollar, darunter etwa 200 Baufirmen.
Ein Logistik-Manager eines türkischen Bauunternehmens berichtete der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon von einem Überfall in El Beyda im Osten Libyens. "Eine Gruppe hat unsere Baustelle angegriffen und Computer mitgenommen, aber sie haben uns nichts getan", sagte Hidir Yentur. "Unser Wasser geht zur Neige."
Hunderte Türken sind seit dem Beginn des Aufstands gegen Machthaber Muammar Gaddafi ausgeflogen worden. Eine Istanbuler Fährreederei teilte mit, auf Bitte der türkischen Regierung seien zwei ihrer Schiffe nach Libyen unterwegs. Die Fähren böten genug Platz für 1200 Passagiere und hätten Lebensmittel für 3000 Menschen an Bord. Eine Fregatte werde als Eskorte mitgeschickt.
Teil 2: Brennende Gebäude in Tripolis
Nach tagelangen blutigen Unruhen in Libyen brannte in der Hauptstadt Tripolis einem Reuters-Reporter zufolge ein zentrales Regierungsgebäude. Auch eine Polizeiwache in einem Vorort der Hauptstadt und das Gebäude des Olympischen Komitees sollen in Flammen stehen. Angesichts der anhaltenden Proteste warnt das Auswärtige Amt nun vor Reisen in den Osten des Landes. Auf seiner Internetseite empfahl das Ministerium, Bengasi, die zweitgrößte libysche Stadt, zu meiden. Grundsätzlich wird geraten, von Reisen nach Libyen abzusehen. Allen Deutschen, die sich derzeit noch in dem nordafrikanischen Land aufhalten, wird die Ausreise empfohlen. Eine förmliche Reisewarnung für ganz Libyen gab es aber noch nicht. Nach Schätzungen leben etwa 500 Bundesbürger in dem Land, darunter auch viele Deutsche mit doppelter Staatsbürgerschaft.
Saif al Islam Gaddafi hat im Staatsfernsehen eine schnelle ... Saif al Islam Gaddafi hat im Staatsfernsehen eine schnelle Umsetzung demokratischer Reformen zugesagt.

Verzweifelte Rede eines Diktatorensohns
Saif al-Islam al-Gaddafi, Sohn des Staatschefs Muammar al-Gaddafi, nannte in einer Fernsehansprache die in Medien verbreiteten Opferzahlen übertrieben - warnte aber gleichzeitig vor einer Eskalation und einem Zerfall des Landes. Der Präsidentensohn bekleidet kein offizielles Amt, gilt aber als künftiges Staatsoberhaupt. Er sagte in der Nacht zum Montag im Staatsfernsehen eine schnelle Umsetzung bedeutender demokratischer Reformen zu. Muammar al-Gaddafi ist seit 1969 an der Macht und führt das Land mit eiserner Hand. Das Parlament, der Allgemeine Volkskongress, werde am Montag zusammenkommen und über eine Reihe von Reformen beraten.
Am fünften Tag des Aufstandes sollen sich mehrere Stämme den Gegnern Gaddafis angeschlossen haben. Auf Internetseiten der Oppositionellen hieß es am Montag, zwei Stämme planten, die Stadt Sebha in Zentrallibyen unter ihre Kontrolle zu bringen. Zuvor hatten Gerüchte die Runde gemacht, dass sich Gaddafi dorthin zurückgezogen haben soll.
Ein Experte des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira sprach von einer verzweifelten Rede eines verzweifelten Diktatorensohns, der keine offizielle Rolle im Land spiele; der davor warne, dass es zu einem Blutbad kommen könne. Ein Dissident sagte dem Sender, der Gaddafi-Sohn versuche bei den Menschen Angst zu schüren.
Der US-Nachrichtensender CNN berichtete am Montagmorgen, am Telefon hätten Dissidenten gesagt, sie glaubten dem Regime nicht. Die Armee stehe hinter seinem Vater, der sich weiterhin in Libyen aufhalte, sagte Gaddafis Sohn. Er wies damit Gerüchte zurück, Muammar al-Gaddafi habe das Land verlassen. Er gab zugleich zu, dass Regimegegner die Kontrolle über einige Militärbasen und Panzer übernommen hätten.
Al-Dschasira meldete, in der Hauptstadt Tripolis sei es zu Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern von Gaddafi gekommen. Ein Bewohner von Tripolis sagte bei CNN am frühen Montagmorgen, die Lage in der Hauptstadt sei relativ ruhig. Es seien jedoch weiter Schüsse zu hören. Im britischen Sender BBC und bei CNN hieß es, die zweitgrößte Stadt des Landes, Bengasi, sei offensichtlich unter der Kontrolle von Regimegegnern.
Die Armee habe bei ihrem harten Durchgreifen gegen die Protestierenden Fehler gemacht, da sie nicht für den Einsatz bei Demonstrationen ausgebildet sei, sagte der Gaddafi-Sohn. Menschenrechtsgruppen hatten von etwa 150 Toten bei den tagelangen Aufständen gesprochen. Ärzte und Oppositionskreise nannten sogar die Zahl von 200 Toten. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" schätzte am Sonntag die Zahl auf mindestens 233 Tote. Von unabhängiger Seite ließen sich diese Informationen jedoch nicht verifizieren. In Libyen gibt es kaum ausländische Journalisten. Daneben wurden die meisten Internetverbindungen gekappt.
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