Artikel vom 21.2.2011

"Ich habe nie jemanden von Demokratie sprechen hören"
Gabriele Riedle recherchierte in Libyen, als sie von den Unruhen in dem nordafrikanischen Land überrascht wurde. Wer sind die Menschen, die demonstrieren? Was wollen sie? Wir sprachen mit der GEO-Redakteurin

Frau Riedle, warum waren Sie in Libyen?
In Libyen hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Früher hat das Land Terrororganisationen unterstützt und galt selbst als staatsterroristische Macht, die Terrorakte in Auftrag gab. Denken Sie nur an das Lockerbie-Attentat. Heute ist das Land von der Liste der Schurkenstaaten, auf der es ja ganz oben stand, verschwunden. Die Staatsführung hat dem Terror abgeschworen und die Lockerbie-Opfer entschädigt. Das Land hat sich in gewissem Maße geöffnet, vor allem wirtschaftlich. Außerdem hat Libyen ein großes Interesse, den Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer einzudämmen und dafür Geld von Europa zu kassieren. Die Europäer wiederum sehen Libyen als Bollwerk gegen den islamischen Fundamentalismus. Der wird zwar tatsächlich nicht akzeptiert - aber nicht, weil Gaddafi den Fundamentalismus problematisch findet. Sondern weil er Angst um seine eigene Macht hat.
Die Stellung Libyens in der Weltgemeinschaft hat sich also stark gewandelt. Man weiß aber relativ wenig, wie es innen aussieht. Das wollte ich herausfinden.

Wie gestaltete sich dann Ihre Arbeit?
Ich konnte von Anfang an nicht ungehindert recherchieren. Es war eine einzige Qual. Wir, der Fotograf Kai Wiedenhöfer und ich, hatten ständig Begleitung von einem Aufpasser. Den abzuschütteln war sehr schwierig. Wir waren bestenfalls unerwünscht, manche hielten uns auch explizit für Spione. Wir waren mehrmals kurz davor, die Mission abzubrechen.
Pro-Gaddafi-Kundgebung in Tripolis am Donnerstag vergangener Woche (Foto von: picture alliance/Photoshot )
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Bildunterschrift: Pro-Gaddafi-Kundgebung in Tripolis am Donnerstag vergangener Woche

Warum mussten Sie ausreisen?
Ich habe noch am vergangenen Donnerstag an einer Pro-Gaddafi-Demo teilgenommen - quasi zwangsweise, weil ich die einzige westliche Journalistin war. Ich habe mich, um diese Demo überhaupt verfolgen zu können, mit Fähnchen und mit dem "Grünen Buch" [ein Werk des "Revolutionsführers" Gaddafi, die Red.] ins Gewühl gestürzt. Andernfalls wäre ich extrem negativ aufgefallen. So bin ich positiv aufgefallen und wurde sogar im libyschen Fernsehen gezeigt - vermutlich als "Solidaritätskommando aus der westlichen Welt" oder so. Aber das war mir in dem Fall egal. Hauptsache war, dass ich halbwegs unbehelligt wieder rausgekommen bin. Am Freitag spitzte sich die Lage weiter zu. Wir haben uns entschieden auszureisen. Vermutlich wären wir verhaftet worden, wären wir auch nur eine Minute länger geblieben.

Wie kam es zu der Demonstration für Gaddafi?
Es hatte Aurfrufe im Internet zu einer Demonstration am Freitag, den 17. Februar gegeben. Es war aber unklar, von wem diese kamen. Manche behaupteten, sie seien von Gaddafi selbst ausgegangen. So war bis zuletzt unklar, ob sie für oder gegen das Regime sein würde. Die Spannung war groß, viele Leute hatten Angst, dass es zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen könnte. Tatsächlich wurden dann - vermutlich bezahlte - Gaddafi-Anhänger in Bussen herbeigekarrt. Andererseits waren auch "echte" Gaddafi-Unterstützer dabei. Er hat viele Anhänger unter den Jugendlichen. Oder bisher gehabt, denn das kann sich jetzt ändern. Es war gespenstisch, denn es war anfangs eine relativ ausgelassene Party, eine Stimmung wie nach einer gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft. Mit Fahnen, Autokorsos und mit jungen Männern, die auf der Straße tanzten. Gleichzeitig wusste man, dass zur selben Zeit in Bengasi, also 1000 Kilometer östlich, die ersten Schüsse gefallen waren. Aber nur vom Hörensagen, denn offizielle Nachrichten zu solcher Art von Ereignissen gibt es in einem Land, in dem strengste Zensur herrscht und keine unabhängigen Journalisten arbeiten können, natürlich nicht.

Wie geht es weiter in Libyen? Kann sich Gaddafi an der Macht halten?
Das kann im Moment niemand wissen. Es gibt zur Zeit alle möglichen neuen Informationen. Manche behaupten, er habe das Land bereits verlassen. Wenn er bleibt, wird es weitergehen mit extremer Repression auf der einen und mit Vergünstigungen auf der anderen Seite. Das macht er immer so. Es wird Geld an Leute verteilt, es werden Jobs vergeben, es werden die Staatsgehälter erhöht, es werden Häuser oder Wohnungen zur Verfügung gestellt, damit die Leute halbwegs ruhiggestellt sind. Es könnte aber auch sein, dass einer seiner acht Söhne, etwa Seif al-Islam, glaubt, die Macht übernehmen zu können. Der gilt ja immer noch als der westlichste und fortschrittlichste - im allerweitesten Sinne - unter den Brüdern. Doch das würden vermutlich seine Brüder - darunter auch ein Geheimdienstchef und der Chef eines Panzerregiments - sicher nicht so einfach dulden. Es kann also innerhalb des Gaddafi-Clans zu größeren Zerwürfnissen und Kämpfen kommen. Dann sind da noch die Stämme im Osten, von denen die Rebellion ausging. Die sollen immerhin Waffen gebunkert haben, die ihnen Gaddafi schon vor langer Zeit selbst gegeben haben soll, für den Fall eines Angriffs von außen. Wenn die Stämme diese Waffen ausgraben, wird es heftig abgehen. Von daher kann man sich eigentlich noch nicht einmal wünschen, dass Gaddafi verschwindet.

Welche Rolle spielen diese Stämme?
Libyen ist noch sehr stark stammesmäßig geprägt. Und die Stämme im Osten des Landes haben schon lange Stress mit dem Gaddafi-Clan. Da gibt es verschiedene offene Rechnungen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sie selber so machtbewusst sind. Es gab immer wieder mal kleinere Ausschreitungen, es gab Umsturzversuche von Seiten dieser Stämme. Es wurden Leute erschossen. Da hat sich eine enormes Rachepotenzial aufgestaut.

Der Protest ist also ein ganz anderer als in Ägypten?
Ich habe in ganz Libyen nicht einen Menschen von Demokratie sprechen hören. Der Frust richtete sich, zumindest ursprünglich, hauptsächlich gegen eine Regierung, die korrupt ist, aber sehr wenig gegen Gaddafi selbst. Die Unruhen im Osten sind kaum vom Willen zu Reformen oder zur Demokratie genährt. Sie haben damit begonnen, dass ein paar Leute auf die Straße gegangen sind. Das waren Familienangehörige von Leuten, die schon vor vielen Jahren bei Scharmützeln umgebracht worden waren. Das sind keine organisierten Massen. Die dank Internet und Facebook organisierten Massen, das waren diejenigen, die in Tripoli auf der Straße für Gaddafi protestiert haben.

Interview: Peter Carstens
http://www.geo.de/GEO/kultur/gesellschaft/67453.html?t=print