NZZ Online , 19. Januar 2011, 20:09
Bundesrat blockiert Gelder von Ben Ali
Auch Vermögen von Côte d'Ivoires Präsidenten Laurent Gbagbo gesperrt
Der Bundesrat hat beschlossen, allfällige Gelder des ehemaligen tunesischen Präsidenten Ben Ali und seines Umfeldes mit sofortiger Wirkung zu sperren. Auch mögliche Konten des amtierenden Präsidenten von Côte d'Ivoire, Laurent Gbagbo, müssen gesperrt werden.
(sda/dpa/afp)
Die Luft wird dünner für Zine al-Abidine Ben Ali: In Tunesien wurde am Mittwoch gegen den geflohenen Ex-Präsidenten ein Verfahren eröffnet. Es soll klären, ob der 74- Jährige und seine Familie illegal ein Vermögen anhäuften und ins Ausland schafften. Die Schweiz hat bereits den Zugriff auf Ben Alis Konten und Immobilien verwehrt.
Falls der ehemalige Präsident Tunesiens Gelder auf Schweizer Konten angelegt hat, kann er ab sofort nicht mehr darüber verfügen: Der Bundesrat beschloss, allfällige Gelder von Ben Ali zu sperren.
Von der Massnahme betroffen sind neben Ben Ali rund 40 Personen aus dessen Umfeld. Der Bundesrat wolle jegliches Risiko einer Veruntreuung von staatlichem Eigentum vermeiden, sagte Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey vor den Medien in Bern.
Tunesier protestieren vor Botschaft in Bern
(sda) Mehrere Dutzend Exil-Tunesier, die zum Teil seit vielen Jahren in der Schweiz leben, haben am Mittwochnachmittag die tunesische Botschaft in Bern aufgesucht. Sie forderten die sofortige Herausgabe ihrer Pässe.
Nach dem Machtwechsel in Tunis wollten sie nun in die Heimat zurückreisen, sagte ein Exil-Tunesier aus der Westschweiz der Nachrichtenagentur SDA. Doch als «politische Flüchtlinge» hätten sie die nötigen Reisedokumente seinerzeit abgeben müssen.
Nach seinen Angaben befanden sich am Nachmittag etwa 40 Tunesier in der Botschaft. Die tunesische Vertretung wies ihre Forderung offenbar zurück. Die Stimmung vor dem Haus war angespannt, aber friedlich. Berner Polizisten überwachten die Lage.
Laut Calmy-Rey gibt es Hinweise darauf, dass in der Schweiz Gelder aus dem Umfeld des tunesischen Ex-Präsidenten angelegt sind. Keine Hinweise gebe es darauf, dass in den letzten Tagen tunesische Gelder abgehoben worden seien.
Auch bei der EU laufen Beratungen über ein Massnahmenpaket, um den demokratischen Wandel in Tunesien zu unterstützen und Vermögen von Ben Ali und seinem Führungszirkel zu sperren. Das sei eine der Optionen, sagte die Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel.
Proteste halten an
In Tunesien selbst halten die Proteste gegen die Mitglieder des alten Regimes in der Übergangsregierung an. Eine erste Kabinettssitzung wurde am Mittwoch kurzfristig wieder vertagt.
Als eine ihrer ersten Massnahmen ordnete die neue tunesische Übergangsregierung die Freilassung von 1800 Häftlingen an. Auf freien Fuss gesetzt wurden landesweit alle Gefangenen, deren Haftstrafe sechs Monate nicht überschreitet. Geplant ist auch ein Amestiegesetz, um auch politische Häftlinge zu entlassen.
Die tunesische Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine, forderte korrupte «Symbolfiguren des alten Regimes» zum Rücktritt auf. Gleichzeitig betonte sie, nicht alle Staatsdiener, die unter dem alten Regime eingestellt worden seien, stünden unter Generalverdacht.
Fünf Tage nach dem Sturz Ben Alis kehrt das Land langsam wieder zum Alltag zurück. Zahlreiche Geschäfte und Cafés in der Hauptstadt waren am Mittwoch geöffnet. Die meisten Tunesier gingen wieder zur Arbeit.
Über 100 Tote
Ben Ali war am Freitag nach 23 Jahren an der Macht gestürzt worden. Auslöser seines Abgangs waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich in der vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet.
Nach Angaben der Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay kamen bei den gewaltsamen Unruhen der vergangenen Wochen mehr als 100 Menschen ums Leben. Die Zahl umfasse Menschen, die in den vergangenen fünf Wochen erschossen worden seien, sich aus Protest das Leben genommen hätten oder bei Gefängnisunruhen gestorben seien. Die tunesische Regierung hatte zuletzt von 78 Toten und 94 Verletzten gesprochen.
Die Gerechtigkeit müsse wiederhergestellt und die Kriminellen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Pillay. Eine Uno-Mission wird nächste Woche nach Tunesien reisen, um die dortigen Behörden zu unterstützen.
Die Experten sollen um die Gewalttaten untersuchen und die Übergangsregierung bei Fragen der Grundrechte beraten. Das tunesische Aussenministerium habe dem zugestimmt.
Im Einklang mit EU und USA
Zu Côte d'Ivoire sagte Calmy-Rey, die politische Lage bleibe gespannt. Es gebe weiterhin zwei Regierungen, jene unter Präsident Laurent Gbagbo, die de facto über die Macht im Land verfügt, sowie jene unter Präsident Alassane Ouattara, die international weitgehend anerkannt sei.
Auch die Schweiz habe den Wahlsieg von Ouattara anerkannt. Der Schweizer Finanzplatz solle nicht als Hort für möglicherweise illegal erworbene Vermögenswerte Gbagbos dienen. Der Bundesrat vereist auf die Massnahmen anderer Länder: Die EU hatte beschlossen, die Vermögenswerte von Gbagbo und seinem Umfeld einzufrieren, und auch die USA blockierten gewisse Vermögen.
Die Verordnungen zu Tunesien und der Elfenbeinküste traten bereits am Mittwoch in Kraft. Sie gelten drei Jahre lang. Die Behörden der betroffenen Länder haben nun die Möglichkeit, ein Rechtshilfegesuch an die Schweiz zu richten.
http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/politik/schweiz/art331,71851