|
 |
 |
 |
 |
Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Alina 7ayati]
#341968
16/01/2011 06:57
16/01/2011 06:57
|
Joined: Jan 2008
Beiträge: 916 DJE seit 1999
Batall_DJE
Mitglied
|
Mitglied
Joined: Jan 2008
Beiträge: 916
DJE seit 1999
|
Guten Morgen,
hier nun ein ausführlicherer Bericht von Djerba über die letzten 24 Stunden (gerade steht das Internet und ich habe Zeit):
Generell erst einmal: Es ist ruhig derzeit.
In der Nacht vom 14. auf den 15.01.11 gab es noch einiges an Krawallen. Das waren vor allem Jugendliche und junge Männer, die mit dem Militär hier Katz und Maus gespielt haben. Das Ganze war auf ein paar Strassen in Houmt Souk, Midoun und Ouled Amor beschränkt. Verbrannter Müll auf den Strassen, ein paar zerschlagene Fensterscheiben und leergeräumte Baustellen mit jeder Menge verbranntem Baumaterial und ein roter Staubteppich durch die Klinker waren die Folge. Vereinzelte Schüsse.
Am Morgen des 15.01.11 lief das Leben langsam an. Morgens um 07:30 Uhr kaum Taxis, fast alle Läden zu, Verkauf in den Hanuts erst mal durch die Hintertür. Der Campion in Midoun soll ausgebrannt sein, ist zu, von aussen sieht man nichts. Im Laufe des Tages öffneten dann mehr Geschäfte. Müll wurde zusammengefegt und beiseite geräumt, Strassen weitestgehend gereinigt. Es wurde wenig geklaut, die Schäden an den Geschäften hielten sich in Grenzen. Die jungen Männer schwebten am Vormittag alle 2 Meter über dem Boden und brüsteten sich damit, dass sie es dem Militär gezeigt haben in der Nacht. Dieses war z.B. in Midoun im Zentrum stationiert. Sie sind dann immer hin, haben mit irgendwas geschmissen, daraufhin hat das Militär in die Luft gefeuert, ist den Werfern ein Stück nach und hat sich wieder an seinen Standpunkt zurückgezogen. Laut den Jungs hätten sie aber eh keine Chance gehabt, sie zu erwischen, da die alle neu seien auf Djerba und sich in den verwinkelten Gassen von Ouled Amor nicht auskannten. Ab nachmittags ca. 14:30 Uhr sah man vermehrt junge Männer in dunkler Kleidung mit Schal und Mütze Richtung Midoun aufbrechen, und das bei Sonnenschein und fast 20°C. Die Frage ist, was wollten die da?!? Ab Vormittag gab es Leute vom Militär, die 'vernünftig' aussehende Passanten angesprochen haben und um Hilfe gegen die Plünderer gebeten haben. Sie haben eine Art Bürgerwehr gegrûndet, die dann mit dem Militär losgezogen ist. Prompt haben sie auch 2 Autos mit bewaffneten Männern und Hehlergut erwischt. Danach wurden andere Plünderer 'gefunden', nachdem 'Tipps' aus der Bevölkerung kamen. Aber man organisierte sich zu sinnvollen Aufgaben. Die jungen Manner waren gegen 15:30 Uhr fleissig dabei Steine und mögliches Material für die kommende Nacht an der Strasse aufzuschichten... Sie wurden dann aber auch von der Bürgerwehr rekrutiert. Man erklärte ihnen, dass die Plünderer und Randalierer alle zur Mafia 'dieser Familie' gehören, und dass jeder, der da mitmacht, auch zu 'denen' gehört. Es sei alles organisiert, um das tunesische Volk zu zerstôren und gegeneinander aufzuwiegeln. Da das nun wirklich nicht in Ordnung ist, schwenkten sie alle um, zogen mit Stöcken etc. los, um die Bösen zu suchen. Der Slogan war:'Lieber sterben 10 von uns, als dass 1 von denen weitermacht.'. Sie haben sogar die, von ihnen selbst verursachten Zerstörungen der letzten Nacht aufgeräumt.
Und siehe da, die Bösen waren so eingechüchtert, dass kaum einer von ihnen aufgetaucht ist und es so eine erstaunlich ruhige Nacht gab. Zweck erfüllt.
Entschuldigt bitte meinen Sarkasmus. Ich weiss, dass es in weiten Teilen des Landes ganz anders aussieht. Und ich bin heilfroh, dass es hier insgesamt so ruhig geblieben ist!!! Was ja unter anderem daran liegt, dass sie Djerba ziemlich abgeschottet haben. Aber ich komme mir ein bisschen vor wie auf einem Abenteuer-Spielplatz. Und mich machen so gut und auf den (auch zeitlichen) Punkt zusammenpassende Umstände immer misstrauisch. Das Ganze hätte auch ganz anders laufen können, wenn von der anderen Seite jemand überzeugend zu weiteren Tumulten aufgerufen hätte, was ja ,Allhamdulillah, nicht passiert ist. Aber vielleicht ist eine neue Instrumentalisierung und neue Aufgabenverteilung das sinnvollste in diesen Tagen.
Interessant ist übrigens, dass die deutschen Reiseveranstalter alle ihre Gäste ausfliegen. Die Holländer, Belgier und Schweizer sind schon durch, die hatten hier nur wenige Gäste. Nur die Franzosen, die haben gestern neue Gäste hergeflogen. Das wiederum hat dazu geführt, dass viele von den deutschen Gästen plötzlich bleiben wollten. Das sei Alles nur Panikmache von den Reiseveranstaltern, und es sei alles gar nicht so schlimm, sie hätten kaum was mitbekommen. Erst auf eventuelle Versorgungs-Engpässe und eventuelle Aufhebungs-Verträge hingewiesen, lenkten viele von ihnen ein. Es gibt aber Unbelehrbare, die unbedingt bleiben wollen.
Das Alles soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier Tote gegeben hat und das Alles eben doch kein Spiel ist! Deswegen sah es z.B. in Zarzis auch stellenweise ganz anders aus.
Liebe Grüsse und einen ruhigen Tag für Alle!
Alles lediglich meine bescheidene und subjektive Sichtweise, welche ich - meistens - im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte kundtue
|
|
|
|
 |
 |
 |
 |
|