Samstag, 15. Januar 2011
Präsidenten-Wechsel, Brände, PlünderungenTunesien versinkt im Chaos
Tunesien im Umbruch: Das Land hat binnen 24 Stunden drei Präsidenten, der langjährige Machthaber Ben Ali flüchtet ins Exil. Im Land wird geplündert und gebrandschatzt. Bis zu 50 Menschen sterben bei einem Gefängnisbrand. Deutsche Urlauber werden ausgeflogen.
Chaos und Gewalt in Tunesien. Nach der Flucht von Machthaber Zine el Abidine Ben Ali ins Exil wurden binnen 24 Stunden zwei Übergangs-Präsidenten ernannt. Immer wieder kommt es in dem beliebten Urlaubsland zu Plünderungen. Bei einem Gefängnisbrand im Küstenort Monastir starben nach Angaben von Ärzten bis zu 50 Menschen. Am Samstag marschierte Militär im Stadtzentrum von Tunis auf. Über der Hauptstadt lagen Rauchsäulen. Schon in der Nacht hatten Brandstifter trotz Ausgangssperre Feuer in einem Bahnhof gelegt.
Soldaten beruhigen aufgebrachte Männer.
Am Samstag ernannte der Verfassungsrat mit Foued Mbazaa (77) einen weiteren Übergangs-Präsidenten. Zunächst hatte Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Amtsgeschäfte von Präsident Ben Ali übernommen, der das Land seit fast einem Vierteljahrhundert mit harter Hand regiert hatte. Ben Ali hatte sich am Freitag nach blutigen Protesten gegen sein Regime nach Saudi-Arabien abgesetzt. Mbazaa soll Neuwahlen vorbereiten. Oppositionspolitiker hatten bereits kritisiert, dass die Ernennung Ghannouchis als Interim- Präsident verfassungsrechtlich bedenklich sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief Tunesien dazu aufgerufen, eine Demokratie aufzubauen und bot dazu Deutschlands Hilfe an.
Luftraum wieder geöffnet
Nach dem Gefängnisbrand in Monastir erhöhte sich die Zahl der Menschen, die seit Beginn der Unruhen in dem Mittelmeerland ums Leben gekommen waren, auf mehr als 130. Nach ersten Erkenntnissen hatten Häftlinge ihre Matratzen in Brand gesteckt. Die Flammen hätten dann schnell auf das gesamte Gebäude übergegriffen. Viele Häftlinge starben in den Flammen. Als andere zu fliehen versuchten, schossen Wärter auf die Menschen.
Der zwischenzeitlich gesperrte Luftraum über dem Land wurde indes wieder geöffnet. Noch am Samstag wollen Reiseveranstalter mehrere tausend Urlauber nach Deutschland zurückfliegen. Viele Touristen saßen zunächst fest, nachdem Ben Ali vor seiner Flucht noch den Ausnahmezustand verhängt und den Luftraum gesperrt hatte. Am späten Freitagabend waren die ersten deutschen Touristen dann an den Flughäfen in Düsseldorf und Berlin angekommen.
Ben Ali im Königreich willkommen
Eine Rückkehr Ben Alis ist ausgeschlossen, nun muss das Land einen neuen Weg finden.
Die Proteste, die sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit richteten, hatten sich in den vergangenen Tagen immer mehr zum Aufstand gegen den Präsidenten entwickelt, der fast ein Vierteljahrhundert an der Macht war. Ben Ali war am frühen Samstagmorgen im saudi-arabischen Dschiddah eingetroffen. Man habe Ben Ali und seine Familie im Königreich willkommen geheißen, meldete die saudische Nachrichtenagentur SPA. Ben Ali hatte nach französischen Medienberichten zuvor vergeblich versucht, in Paris zu landen.
Die Hintermänner der Plünderungen in Tunesien blieben vorerst im Dunkeln. Kriminelle Banden hätten von dem Chaos profitiert und Geschäfte geplündert, sagte der Oppositionspolitiker Mustafa Ben Jaafar dem französischen Sender France Info. Auch Verwaltungsgebäude seien angegriffen worden. Vor Reportermikrofonen äußerten mehrere Tunesier dagegen den Verdacht, dass Angehörige der Miliz das Machtvakuum nutzten und an Plünderungen beteiligt wären.
Merkel fordert "echte Demokratie"
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte an die Adresse des zu dem Zeitpunkt noch amtierenden Interimspräsidenten Ghannouchi zu einem grundlegenden Politikwechsel aufgerufen. "Ich appelliere an Sie, den jetzt erfolgten tiefen Einschnitt in der tunesischen Geschichte zu einem Neuanfang zu nutzen", erklärte Merkel. Es sei unabdingbar, die Menschenrechte zu respektieren und Pressefreiheit sowie Versammlungsfreiheit zu garantieren, forderte die Kanzlerin. "Gehen Sie auf die protestierenden Menschen zu und führen Sie wirkliche Demokratie ein." Zugleich sagte Merkel die Unterstützung Deutschlands und der Europäischen Union für einen solchen Neuanfang zu.
Touristen sprechen vor Journalisten über die Lage im Urlaubsland.
Die EU-Kommission dringt ebenfalls auf einen friedlichen Wandel in dem Mittelmeerland. "Wir mahnen alle Parteien, Zurückhaltung zu zeigen und Ruhe zu bewahren, um weitere Opfer und Gewalt zu vermeiden", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Der Schlüssel für die weitere Entwicklung sei der Dialog.
Auch die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Die tunesische Regierung müsse "in diesem Moment des bedeutenden Wandels" das Recht ihres Volkes respektieren, sich friedlich zu versammeln und seine Ansichten zu äußern, forderte US-Außenministerin Hillary Clinton. Die Vereinigten Staaten verfolgten die rapiden Entwicklungen ganz genau, so die Außenministerin. Sie rief zu freien und fairen Wahlen in naher Zukunft sowie zu Reformen auf.
http://www.n-tv.de/politik/Tunesien-versinkt-im-Chaos-article2368361.html