Mittlerweile ist da Thema auf den Titelseiten deutscher Zeitungen angekommen:


Neue Unruhen in Tunesien

Zahl der Opfer steigt / Internationaler Druck auf Tunis wächst / Berlin rät von Reisen ab.

TUNIS (dpa/wan). Die gewaltsamen Proteste in Tunesien mit Toten und Verletzten greifen immer stärker auf die Hauptstadt Tunis über. Die von der Staatsführung verhängte nächtliche Ausgangssperre zeigte wenig Wirkung. In Tunis lieferten sich Polizei und etwa 300 Demonstranten am Donnerstag Straßenschlachten. Das Regime geht weiterhin mit aller Härte gegen Demonstranten vor. Bislang kamen nach Angaben von Menschenrechtlern mindestens 66 Menschen ums Leben.
Die Proteste, die sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit richteten, zielen immer mehr auf das Regime von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali, der das Land seit 23 Jahren autoritär regiert. In Tunis wurden mindestens zwei Demonstranten nach Augenzeugenberichten von Polizisten erschossen, die auf Häuserdächern stationiert waren. Sicherheitskräfte umzingelten den Sitz der größten tunesischen Gewerkschaft. Die Regierung sagte vorläufig alle Sportwettkämpfe ab.

In Sidi Bouzid, wo die Unruhen mit der Selbstverbrennung eines arbeitslosen Hochschulabsolventen Mitte Dezember begonnen hatten, hielt der Generalstreik den zweiten Tag in Folge an. Dort gingen mehr als 10 000 Menschen auf die Straße und forderten den Rücktritt von Ben Ali. Die tunesische Presse berichtet inzwischen auch offen über die Unruhen.

Präsident Zine el-Abidine Ben Ali räumte erstmals indirekt den Einsatz unangemessener Gewalt seiner Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen im Land ein. "Ich habe das Innenministerium angewiesen, künftig auf ungerechtfertigte Waffengewalt zu verzichten", sagte er am Donnerstag in seiner dritten Fernsehansprache seit Beginn der Massenproteste. Der 74-Jährige ließ außerdem anklingen, dass er 2014 nicht mehr bei der Präsidentschaftswahl antreten werde.

Die Menschenrechtsorganisation FIDH legte am Donnerstag eine neue Opferbilanz vor. Demnach sind bislang 66 Todesopfer namentlich identifiziert. Unter ihnen ist ein franko-tunesischer Hochschuldozent. Der 38-Jährige unterrichtete an der Universität von Compiègne im Norden von Paris und war zu einem Austausch in Tunesien. Eine 67-Jährige mit sowohl schweizerischer als auch tunesischer Staatsbürgerschaft war am Mittwoch in Dar Chaabane getötet worden.

Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich zutiefst besorgt über die Lage im Land. "Wir verurteilen jegliche Gewalt", sagte er. Die EU drängt Tunesien zu Reformen. Dies sei angesichts der Unruhen das Hauptziel des Dialoges mit dem Land, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.

Das Auswärtige Amt in Berlin verschärfte am Donnerstag seine Sicherheitshinweise für den nordafrikanischen Staat und rät von Reisen ab, die nicht unbedingt notwendig sind. Reiseveranstalter schätzen, dass sich 10 000 Urlauber in Tunesien aufhalten. Erste Reiseveranstalter bieten kostenlose Umbuchungen an. Marktführer TUI und der Thomas-Cook-Konzern erklärten, das dies zunächst für alle Anreisen bis einschließlich 24. Januar gelte. Bislang ist keiner der Urlaubsorte Tunesiens am Mittelmeer von der Gewalt betroffen.

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