DPA 16.41 Uhr

Ben Ali wird nervös: Aufstand rüttelt an seiner Macht Von Ulrike Koltermann, dpa (Mit Bild)

--------------------------------------------------------------------------------

bdt0577 3 pl 492 dpa 4301

KORR-Ausland/Tunesien/Frankreich/Konflikte/Soziales/
Ben Ali wird nervös: Aufstand rüttelt an seiner Macht
Von Ulrike Koltermann, dpa
(Mit Bild) =

Der tunesische Präsident wird nervös. Die Aufständischen rütteln an
seiner Machtbasis. Bislang haben seine Ankündigungen nicht dazu
beigetragen, die Lage zu beruhigen. Selbst in Tunis herrscht Chaos.

Paris (dpa) - So oft hat sich der tunesische Präsident noch nie im
Fernsehen geäußert. Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen wandte
er sich am Mittwoch an seine Landsleute. Allmählich scheint er nervös
zu werden. Der ursprüngliche Protest gegen die Arbeitslosigkeit hat
sich längst zu einer Massenbewegung ausgeweitet, die seine Machtbasis
erschüttert. So etwas hat es in Tunesien in den 23 Jahren, in denen
er an der Spitze des Landes steht, noch nicht gegeben.

Jeeps mit bewaffneten Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge rollten am
Mittwoch erstmals seit Beginn des Konflikts durch die Straßen von
Tunis und deren Vorstädte. Das Zentrum erlebte seine erste
Straßenschlacht mit Steinwürfen und Tränengas, unweit der
französischen Botschaft. Unterdessen verbreiten sich die grausamen
Bilder der Todesopfer der vergangenen Tage immer weiter, von
Mobiltelefon zu Mobiltelefon sowie im Internet.

Die Ankündigung von 300 000 neuen Arbeitsplätzen hat
offensichtlich niemanden beeindruckt. «Mit welchem Geld will er das
denn schaffen», zitierte die Zeitung «Le Monde» einen jungen
Tunesier. «Und wenn er das Geld hat, warum hat er es nicht schon
längst getan?» Ob der Wechsel des Innenministers oder die Freilassung
inhaftierter Demonstranten zur Beruhigung der Lage beitragen, ist
noch nicht absehbar.

Stattdessen machen wilde Gerüchte die Runde: So soll die Polizei
manche Plünderungen regelrecht inszeniert oder zumindest durch
bewusstes Wegsehen ermöglicht haben. Dies erlaube der Regierung,
die Demonstranten als kriminelle Banden darzustellen - wenn nicht
gleich als «Terroristen», wie Ben Ali sie in einer seiner Ansprachen
bezeichnete.

Bislang basierte die tunesische Gesellschaft auf einem
unausgesprochenen Deal: Relativer Wohlstand und Entwicklung im
Vergleich zu den Nachbarstaaten gegen einen staatlichen Maulkorb. Der
Präsident holte mit der rechten Hand ausländische Investoren ins Land
und steckte mit der linken Oppositionelle und kritische Journalisten
ins Gefängnis. Unterdessen sorgte der Trabelsi-Clan seiner Frau
dafür, dass der Reichtum einer kleinen Elite vorbehalten blieb.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat Ben Ali lange kritiklos
gewährenlassen. «Die Freiheit macht Fortschritte», hatte Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy ihn noch 2008 gelobt. Zu dem gewaltsamen
Vorgehen der Sicherheitskräfte, die zahlreiche Demonstranten
erschossen haben, hat Sarkozy sich bislang noch nicht geäußert.

Die französische Zurückhaltung hat ihren Grund auch darin, dass
Ben Ali als Bollwerk gegen den Islamismus gilt: Besser einen Despoten
als einen Schwächling, unter dem die Islamisten groß und stark werden
könnten. Möglicherweise entpuppt sich diese Strategie als Fehlschlag.
Bislang wurden bei den Demonstrationen noch keine religiösen Slogans
gebrüllt. Aber eine hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven
sind immer auch ein guter Nährboden für extremistische Ideologien.

Noch sind es «nur» die Polizisten und nicht die Soldaten, die auf
die eigene Bevölkerung schießen. Wenn sich dies ändern sollte, dann
wäre es der Beginn eines Bürgerkriegs im Maghreb.