KORR-Ausland/Tunesien/Frankreich/Konflikte/Soziales/ Ben Ali wird nervös: Aufstand rüttelt an seiner Macht Von Ulrike Koltermann, dpa (Mit Bild) =
Der tunesische Präsident wird nervös. Die Aufständischen rütteln an seiner Machtbasis. Bislang haben seine Ankündigungen nicht dazu beigetragen, die Lage zu beruhigen. Selbst in Tunis herrscht Chaos.
Paris (dpa) - So oft hat sich der tunesische Präsident noch nie im Fernsehen geäußert. Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen wandte er sich am Mittwoch an seine Landsleute. Allmählich scheint er nervös zu werden. Der ursprüngliche Protest gegen die Arbeitslosigkeit hat sich längst zu einer Massenbewegung ausgeweitet, die seine Machtbasis erschüttert. So etwas hat es in Tunesien in den 23 Jahren, in denen er an der Spitze des Landes steht, noch nicht gegeben.
Jeeps mit bewaffneten Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge rollten am Mittwoch erstmals seit Beginn des Konflikts durch die Straßen von Tunis und deren Vorstädte. Das Zentrum erlebte seine erste Straßenschlacht mit Steinwürfen und Tränengas, unweit der französischen Botschaft. Unterdessen verbreiten sich die grausamen Bilder der Todesopfer der vergangenen Tage immer weiter, von Mobiltelefon zu Mobiltelefon sowie im Internet.
Die Ankündigung von 300 000 neuen Arbeitsplätzen hat offensichtlich niemanden beeindruckt. «Mit welchem Geld will er das denn schaffen», zitierte die Zeitung «Le Monde» einen jungen Tunesier. «Und wenn er das Geld hat, warum hat er es nicht schon längst getan?» Ob der Wechsel des Innenministers oder die Freilassung inhaftierter Demonstranten zur Beruhigung der Lage beitragen, ist noch nicht absehbar.
Stattdessen machen wilde Gerüchte die Runde: So soll die Polizei manche Plünderungen regelrecht inszeniert oder zumindest durch bewusstes Wegsehen ermöglicht haben. Dies erlaube der Regierung, die Demonstranten als kriminelle Banden darzustellen - wenn nicht gleich als «Terroristen», wie Ben Ali sie in einer seiner Ansprachen bezeichnete.
Bislang basierte die tunesische Gesellschaft auf einem unausgesprochenen Deal: Relativer Wohlstand und Entwicklung im Vergleich zu den Nachbarstaaten gegen einen staatlichen Maulkorb. Der Präsident holte mit der rechten Hand ausländische Investoren ins Land und steckte mit der linken Oppositionelle und kritische Journalisten ins Gefängnis. Unterdessen sorgte der Trabelsi-Clan seiner Frau dafür, dass der Reichtum einer kleinen Elite vorbehalten blieb.
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat Ben Ali lange kritiklos gewährenlassen. «Die Freiheit macht Fortschritte», hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ihn noch 2008 gelobt. Zu dem gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte, die zahlreiche Demonstranten erschossen haben, hat Sarkozy sich bislang noch nicht geäußert.
Die französische Zurückhaltung hat ihren Grund auch darin, dass Ben Ali als Bollwerk gegen den Islamismus gilt: Besser einen Despoten als einen Schwächling, unter dem die Islamisten groß und stark werden könnten. Möglicherweise entpuppt sich diese Strategie als Fehlschlag. Bislang wurden bei den Demonstrationen noch keine religiösen Slogans gebrüllt. Aber eine hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven sind immer auch ein guter Nährboden für extremistische Ideologien.
Noch sind es «nur» die Polizisten und nicht die Soldaten, die auf die eigene Bevölkerung schießen. Wenn sich dies ändern sollte, dann wäre es der Beginn eines Bürgerkriegs im Maghreb.