Militär rückt ins Zentrum von Tunis ein

Im Urlaubsland Tunesien verschärft sich die Lage wegen der anhaltenden Proteste gegen die Regierung: Im Zentrum der Hauptstadt Tunis ist das Militär aufgefahren. Präsident Ben Ali hat seinen Innenminister entlassen und bereits einen Nachfolger eingesetzt.

Tunis - Die Proteste in Tunesien haben die Hauptstadt des Landes erreicht: Das Militär ist ins Zentrum von Tunis eingerückt, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Vor der Zentrale des Staatsfernsehens und der französischen Botschaft in Tunis seien Armeefahrzeuge aufgefahren, Soldaten patrouillierten vor den Gebäuden.

Am Dienstag hatten sich in einem Vorort von Tunis Jugendliche und die Polizei Straßenschlachten geliefert. Ein Bus sei in Brand gesetzt worden. Die Beamten feuerten Augenzeugen zufolge in die Luft und setzten Tränengas ein.

Die Demonstranten fordern bei den seit Tagen anhaltenden Unruhen mehr Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen. In Tunesien liegt die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen bei über 30 Prozent. Ohne Beziehungen und Gefälligkeiten ist kaum ein Job zu finden, selbst ein Universitätsabschluss schützt nicht vor Erwerbslosigkeit. Auslöser der Proteste war die Selbstverbrennung eines arbeitslosen Hochschulabsolventen Mitte Dezember.

Die von ausländischen Kamerateams gedrehten Bilder beweisen jedoch, dass der Unmut nicht mehr allein Sache der Jugend ist: Geschäftsleute in Anzügen und Mütter mit Einkaufstüten am Arm sind in den Reihen der Demonstranten zu sehen. Auch Plakate mit dem Slogan "Nieder mit der Diktatur" lassen darauf schließen, dass es inzwischen um mehr geht als nur Jugendarbeitslosigkeit. Aus dem spontanen Aufbegehren ist ein Flächenbrand geworden.

Bei den Ausschreitungen kamen zahlreiche Menschen ums Leben. Am Dienstagabend korrigierte die Regierung die Zahl der Toten bei den Unruhen nach oben - 21 Zivilisten seien getötet worden. Doch die Internationale Vereinigung der Menschenrechtsligen zählt deutlich mehr Opfer: Sie sprach von mindestens 35 Toten seit dem Wochenende, Gewerkschafter gehen von 70 Toten aus.

Es ist der schlimmste Ausbruch von Gewalt in Tunesien in der 23-jährigen Amtszeit von Präsident Zine al-Abidine Ben Ali. Dieser gerät nun zunehmend unter Druck. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der tunesische Innenminister entlassen worden sei. Nachfolger werde der Staatssekretär Ahmed Friaa, teilte Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi mit.

Zugleich habe der Präsident angeordnet, alle bei den jüngsten Krawallen Festgenommenen freizulassen. Vorwürfen der Korruption und des Fehlverhaltens von Beamten sollten in einem Untersuchungsausschuss nachgegangen werden.

Unterdessen wächst in Frankreich der Unmut über die Zurückhaltung der französischen Regierung. Präsident Nicolas Sarkozy hat sich bislang noch nicht öffentlich geäußert, sein Sprecher hat lediglich allgemein zur Ruhe gemahnt. Weil der tunesische Präsident und sein autoritäres Regime "als Bollwerk gegen den Islamismus gelten, schließt man seit Jahren die Augen vor inhaftierten Oppositionellen und geknebelten Medien", schreibt die Zeitung "Le Canard Enchaîné".

kgp/hen/Reuters/dpa

Quelle: Spiegel online