Original geschrieben von: Batall_DJE
Das ist 1 Stadt in TN, oder lass es 2 oder 5 sein.

Solange es keinen Plan, keine Organisation und keinen adäquaten Ersatz gibt, und die Bevölkerung sich nicht einig ist, ...
... solange ist es zum Scheitern verurteilt und zieht nur Repressalien nach sich.

Liebe Grüsse.


Ja, ich stimme Dir zu.

Es sieht so aus, als ob es sich um einen eher anarchistischen Aufstand handelt, bestehend aus mehreren Gruppen mit den verschiedensten Ideen und Idealen, die derzeit nur das nächste Ziel, die Beseitigung der momentanen Autorität, eint.

Was danach kommt, darüber machen sich viele überhaupt keine Gedanken, bei einigen Videos hat man gar den Eindruck, daß viele Beteiligten die Vorgänge für ein Abenteuer halten und von der Atmosphäre mitgerissen werden (so etwas ist auch aus Krawallen in Deutschland bekannt). Viele Blogger hingegen sitzen zuhause und schwadronieren von hehren Idealen, während die Opposition weder die Kontrolle über die Straße, noch über die Blogger, dafür aber Kontakte zu Politik und Wirtschaft hat. Dann mischen dort dort noch untereinander zerstrittene Gewerkschaften, teils marxistische, mit und als I-Tüpfelchen weniger und mehr Radikale aus Religionskreisen.

Eines ist der Aufstand in Tunesien derzeit ganz sicher nicht: ein vereinter Kampf für Demokratie und Menschenrechte.

Wenn der Aufstand jetzt Erfolg hat, und das ist gut möglich, wird das nichts an der wirtschaftlichen Lage Tunesiens ändern - ganz im Gegenteil, denn erst einmal müssen die Schäden bezahlt, Finanzen entflechtet und Beziehungen repariert werden und wenn die erhofften positiven Änderungen nicht eintreten, dann wird den nächsten Aufstand geben.

Nächster Punkt ist der Polizeiapparat - der wird bestehen bleiben, oder will man jeden Polizisten durch jemand anderen ersetzen? Wie will man in kurzer Zeit eine Administration, die in mehr als 20 Jahren gewachsen ist, beseitigen oder ändern - gnaz von der Mentalität abgesehen, die einen wesentlichen Teil des Verhaltens bestimmte (Bossgehabe, Abschiebung von Verantwortung, etc.) und erst einmal weiterleben wird. Werden sich die, die jetzt ihrem Ärger Luft machen, das bieten lassen?
Wird der Nachbar dem anderen Nachbarn trauen, wenn der Polizist oder Informant gewesen ist? Wird eine Welle der Denunzierung einsetzen?

Die sachgerechteste Lösung dürfte wohl so etwas sein, wie Ersatz des Regimes durch eines, das Änderungen auf den Weg bringt, aber noch aus der alten Garde stammt, danach freie Wahlen mit schrittweiser Demokratie und Öffnung der Gesellschaft.

Das Problem ist - ich sehe einen solchen Weg nicht, ich sehe es auch nicht, daß alle liberalen und weltoffenen Oppositonspolitiker ihre Vorstellung von einer Wandlung durchsetzen können, denn das würde eine zeitlang dauern und hieße, erst einmal in eine Talsohle hinabzusteigen. Diejenigen, die heute demonstrieren, wollen aber Änderungen sofort, die Blogger wollen Demokrtaie sofort und die Opposition will Einfluß sofort, etc. etc.

Ich glaube daß Tunesien eine harte Zeit, speziell ökonomisch, bevorsteht und ich glaube nicht daran, daß es "Demokratie" und "Freiheit" in nahe absehbarer Zeit geben wird, ganz egal, wie dieser Aufstand nun ausgeht. Zudem wird die Zukunft Tunesiens auch davon abhängen, was weiterhin in den angrenzenden Ländern geschehen wird, ob sich Aufstände nach Algerien ausbreiten, wie dort darauf reagiert wird, ob Libyen Einfluß auf den Süden Tunesiens zu gewinnen sucht und wie sich die Großinvestoren von der arabischen Halbinsel verhalten werden.

Auf der anderen Seite ist Tunesien ein Land von 11 Millionen Einwohnern plus 1 Million Auslandstunesiern, es hat keine Ressourcen und keine Forschung und Wissenschaft. Das Land wird daher niemals eine Top-Priorität auf der politischen Landkarte der Großmächte oder der ökonomischen Landkarte des Großkapitals einnehmen - einmal ganz davon abgesehen, daß sich Europa und die USA selbst in den kommenden Jahren mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen wird.

Womöglich ist Tunesien da schon eine Art Lehrstück, das man aufmerksam beobachten sollte...