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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: lotfi59872]
#341092
11/01/2011 22:41
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ameiseN
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Marlis]
#341116
12/01/2011 09:31
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: LOE110209]
#341118
12/01/2011 09:54
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Gewalt in Tunesien "Feindliche Elemente, vom Ausland bezahlt" Mittwoch, 12. Januar 2011 02:40 - Von Alfred Hackensberger Das Flugzeug soll schon bereitstehen, mit dem der tunesische Präsident seine Familie im Notfall ausfliegen lassen will. Es sieht schlecht aus für Zine al-Abidine Ben Ali. So schlecht wie noch nie in seiner 24-jährigen Amtszeit, in der er gegen jede Kritik hart vorgegangen ist.
Nun ist der Protest nicht mehr zu stoppen, trotz massiven Polizeieinsatzes. Bis auf Weiteres bleiben alle Schulen und Universitäten geschlossen, was Studenten in mehreren Städten nicht hindert, auf die Straße zu gehen. "Die Polizei feuerte willkürlich auf die jugendlichen Demonstranten, die nicht gewalttätig waren und nur ihr Recht auf Arbeit einforderten. 27 Menschen starben am Sonntag, zwölf am Montag", berichtete Ahmed Najib Chebbi, der Führer der oppositionellen Demokratischen Progressiven Partei. Die Regierung spricht von 14 Toten seit Beginn der Proteste im Dezember. Andere Quellen reden von bis zu 70 Toten. Auch am Dienstag starben mindestens vier Menschen.
Parteichef Ahmed Najib Chebbi lieferte eine andere Version, als sie Präsident Ben Ali in seiner zweiten Fernsehansprache zu den Unruhen gab. "Feindliche Elemente, vom Ausland bezahlt, die ihre Seele dem Extremismus und Terrorismus verschrieben haben", erklärte ein sichtlich angeschlagener Ben Ali, seien für die Proteste verantwortlich. "Maskierte Banden haben Regierungseinrichtungen, ja, sogar Zivilisten in ihren Wohnungen angegriffen." Danach versprach er die Schaffung von 300 000 neuen Arbeitsplätzen innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Fünf Milliarden Dollar Soforthilfe "Wir haben die Botschaft der Demonstranten verstanden", erklärte der tunesische Kommunikationsminister Samir al-Obaidy. Man habe bereits fünf Milliarden Dollar als Soforthilfe für bestimmte Regionen bereitgestellt. Das Vorgehen der Polizei und des Geheimdienstes sprechen jedoch eine andere Sprache: In den Wochen zuvor waren zu Hunderten kritische Journalisten, Gewerkschaftler, Blogger und sogar ein Rapper verhaftet worden.
Maßnahmen, die in Tunesien niemanden überraschen. Ben Ali hatte 1987 von seinem kranken Vorgänger Habib Bourguiba das Amt übernommen und ist seit Tunesiens Unabhängigkeit 1956 damit erst der zweite Präsident des Landes. Unter seiner Regentschaft wurde Tunesien zu einem Sicherheitsstaat, der fest in der Hand des Geheimdienstes ist. Oppositionsparteien werden überwacht, Zeitungen zensiert und verboten. Der Zugang zum Internet ist limitiert. Tunesien liegt auf dem Pressefreiheits-Index von "Reporter ohne Grenzen" 2010 auf Position 164 von insgesamt 178 Ländern.
Seit seinem Amtsantritt vor 24 Jahren erreichte Ben Ali bei allen Präsidentschaftswahlen nie weniger als 94 Prozent der Stimmen. Die totale Kontrolle der Gesellschaft ermöglichte es Ben Ali zudem, ein System der Korruption einzurichten, mit dem er sich und seine Familie bereichert. In den kürzlich von Wikileaks veröffentlichten Depeschen der US-Botschaft in Tunis vom Juni 2009 heißt es: "Ob Geld, Dienstleistungen, Grundstücke, Häuser, die gesamte Familie Ben Alis bekommt, was sie will." Sie sei der "Nexus" der tunesischen Korruption. Wer von den Geschäftsleuten des Landes wirklich erfolgreich sein will, für den sei eine Heirat in die große Familie Ben Alis unabdinglich. Der Clan von Ben Ali werde "Die Familie" genannt, mit mafiaähnlichen Strukturen.
Für die Jugend Tunesiens, die jetzt auf die Straße geht, ist die Bereicherung ein Affront. Rund 30 Prozent sind arbeitslos, bei den Akademikern sogar um zehn Prozent mehr. Je höher die Qualifikation, desto geringer die Chance, einen Job zu finden. Der 26-jährige Mohammed Bouazizi, der sich am 17. Dezember selbst anzündete und seinen Verbrennungen erlag, war ein Musterbeispiel dafür: ein Universitätsabsolvent, der Früchte verkaufen musste, um zu überleben. "Hier ist es nichts Außergewöhnliches", sagte ein Geschäftsmann der französischen Tageszeitung "Le Monde", "wenn ein Tankwart ein Diplom in Soziologie und eine Putzfrau eines für Englische Sprache hat."
Ein Phänomen, das es in anderen nordafrikanischen Ländern auch gibt. "Jugendarbeitslosigkeit ist der gemeinsame Nenner der drei Länder Tunesien, Algerien und Marokko", meint Khalid Cherkaoui, der Präsident des Marokkanischen Zentrums für Menschenrechte. In Algerien lieferten sich erst vor einer Woche Demonstranten wegen der Erhöhung von Lebensmittelpreisen Straßenschlachten mit der Polizei.
Berlin reagierte mit Besorgnis auf die Eskalation der Gewalt. "Wir beobachten die angespannte Situation in Tunesien mit Sorge und rufen alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf", erklärte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP). Das Auswärtige Amt gab für Tunesien unterdessen einen Sicherheitshinweis heraus. Auf der Homepage des Ministeriums heißt es: "In letzter Zeit ist es vermehrt zu Demonstrationen zu sozialen Themen gekommen." Dabei habe es "mehrere Tote und Verletzte" gegeben. "Touristen waren bisher nicht betroffen." Der Rat: "Reisende sollten Menschenansammlungen meiden und besondere Vorsicht walten lassen." Das Auswärtige Amt unterscheidet zwischen einem Sicherheitshinweis und einer drastischeren Reisewarnung (siehe Kasten).
Urlauber behalten die Ruhe Die Reiseveranstalter in Deutschland sind trotz der Entwicklungen in Tunesien gelassen. Bei Thomas Cook, Tui und L'Tur heißt es auf Nachfrage der Berliner Morgenpost, es habe keine Rücktritte oder Stornierungen von Reisenden gegeben, die einen Urlaub in Tunesien gebucht hätten. Auch hätte niemand wegen der Proteste früher abreisen wollen. Touristengebiete seien nicht betroffen von den Unruhen, die Urlauber würden über die Lage auf dem Laufenden gehalten. Stornierungen und Umbuchungen seien nicht kostenlos machbar: Je näher der Reisetermin liegt, desto teurer werde eine Stornierung, heißt es. 600 000 Deutsche machen pro Jahr in Tunesien Urlaub.
Trotz sozialer Ungleichheit, Korruption und mangelnder Demokratie wurde bisher kein internationaler Druck ausgeübt. Im Gegenteil: Die EU pumpte zwischen 2007 und 2010 300 Millionen Euro an Finanzhilfe ins Land. 60 Prozent davon alleine in die Wirtschaftspolitik "für Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz mit der EU". 75 Prozent der Exporte Tunesiens gehen in Länder der EU und 75 Prozent aller Importe des nordafrikanischen Landes kommen aus der EU. Vorrangige Handelspartner sind Frankreich, Deutschland und Italien.
Quelle: Berliner Morgenpost
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Dilan*]
#341120
12/01/2011 09:57
12/01/2011 09:57
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Leitartikel Tunesien, ein Dampfkochtopf Thomas Frankenfeld Brutalität löst die sozialen Probleme des Landes nicht.
Ein Aufatmen ging 1987 durch Tunesien, als der damalige Ministerpräsident Zine al-Abidine Ben Ali den greisen Staatspräsidenten Habib Bourguiba absetzte. Bourguiba, der Vater der tunesischen Unabhängigkeit, hatte das Land 30 Jahre mit autoritärer Härte regiert und 1984 die "Brotunruhen" blutig niederschlagen lassen. 84 Menschen starben, fast 600 wurden verletzt. Und nun war er viel zu senil geworden, um Tunesien in die Zukunft führen zu können.
Ein Vierteljahrhundert später scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Nur diesmal ist es Bourguibas Amtsnachfolger al-Abidine selber, der vom Volk als halsstarriger Despot attackiert wird und der seine Sicherheitskräfte in die protestierende Menge feuern lässt.
Tunesien 2011 - das ist ein Dampfkochtopf, dessen Deckel dem ungeheuren Druck nicht länger gewachsen scheint. Das rasante Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahrzehnte kombiniert sich in explosiver Weise mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, gestiegenen Lebenshaltungskosten und einem repressiven Regime. Al-Abidine hat offenbar nicht die sozialen Konsequenzen des Umstandes begriffen, dass Tunesiens wirtschaftlicher Erfolg nur einer relativ kleinen Schicht zugute kommt. Sein hastiges Versprechen, 300 000 Arbeitsplätze bis 2012 zu schaffen - zusätzlich zu jenen 50 000, die er bereits der tunesischen Unternehmerschaft versprochen hat -, wirkt kaum glaubwürdig angesichts eines Zehn-Millionen-Volkes, das mit galoppierender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Erstaunlich ist auch, dass er mit einem Mal auf die Idee kommt, die verarmten Provinzen mit milliardenschweren Investitionen sanieren zu wollen.
Der tunesische Dampfkochtopf weist aber noch ein besonders gefährliches Element auf: Al-Abidine hat sich um die kompromisslose Bekämpfung des militanten Islamismus verdient gemacht - eine wichtige Sache in einem Touristenland. Doch falls es ihm nicht gelingt, die soziale Krise zu entschärfen, falls er vor allem weiterhin den Fehler begeht, die vielen Verzweifelten in seinem Land als Terroristen zu stigmatisieren und die Armee auf sie zu hetzen, könnte er dem Islamismus in Scharen Sympathisanten zutreiben. Tunesiens Problem dabei ist, dass al-Abidine bereits 74 Jahre alt, in der Wolle gefärbter Militärgeheimdienstler und gelernter Autokrat ist. Ein echtes Umdenken in Richtung Pluralismus und Umverteilung ist von ihm kaum zu erhoffen.
Quelle: Hamburger Abendblatt
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Cheker]
#341121
12/01/2011 10:00
12/01/2011 10:00
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Europas VersäumnisStatt demokratische Kräfte in Tunesien und Algerien zu stützen, schweigt die EU
In Tunesien und in Algerien rebelliert die Jugend gegen Regime, die ihre Länder seit Jahrzehnten misslich bewirtschaften. Die Ursachen der Revolten sind ähnlich: In Algerien regiert der 73-jährige Präsident Abdelaziz Bouteflika seit 1999. In Europa gilt er als das kleinere Übel gegenüber den Islamisten, die nur durch das Militär von der Macht abgehalten wurden. Unter Bouteflika begann eine autoritäre "Versöhnungspolitik", die dem Land den Anschein von Stabilität beschert hat. Es gedeiht aber vor allem Korruption. In den Städten hungert die Jugend nach Perspektiven. Die Hälfte aller Algerier ist jünger als 25.
Die demografische Konstellation ist in Tunesien ähnlich brisant. Seit 23 Jahren wird das Land mit harter Hand von Zine al-Abidine Ben Ali regiert. Auch er profilierte sich als Bollwerk gegen die islamistische Bedrohung. Deshalb schwieg Europa, als er bürgerliche Freiheiten stutzte, bis es keine Opposition mehr gab. Ben Ali beschimpft Demonstranten als "Terroristen" und lässt die Polizei schießen. Zugleich verspricht er per Fernsehansprache "300 000 Arbeitsplätze". Er klingt wie ein Wüsten-Ceausescu, weit von der Realität entfernt.
Millionen junger Nordafrikaner werden sich nicht mit leeren Versprechungen abspeisen lassen. Doch von europäischen Politikern hört man nur Beschwichtigungen, die Ratlosigkeit mühsam kaschieren. Staatsminister Werner Hoyer erklärt, "nicht Gewalt, nur Dialog" könne die Lage verbessern. Hübsch gesagt, fruchtet aber wenig bei einem Regime, das erst schießt und dann monologisiert. Die Phantomzeichnung einer EU-Außenministerin, Catherine Ashton, ließ immerhin um die "Freilassung von Bloggern" bitten. Währenddessen verniedlichte der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand: Tunesien eine Diktatur zu nennen sei "vollkommen übertrieben".
Die greisen maghrebinischen Herrscher werden ihre Völker nicht ewig in Schach halten können. Das Versäumnis Europas, demokratische Kräfte nicht rechtzeitig unterstützt zu haben, könnte sich deshalb bald bitter rächen.
Quelle: Die Welt
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